Menschen steigen auch für Ultrakurzstrecken ins Auto. Rational ist das nicht, hat aber viel mit gelerntem Verhalten und unserer geistigen Faulheit zu tun.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Carina Frey (RiffReporter) dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Meine Nachbarin arbeitet in der Kita. Jeden Morgen steigt sie in ihr Auto und fährt 500 Meter zu ihrem Arbeitsplatz. Ein Einzelfall? Keineswegs: In unserer Kleinstadt fahren Menschen mit dem Auto zum Bäcker ums Eck oder den einen Kilometer zum Sportverein, um dort zu erzählen, dass sie sich wieder mehr bewegen wollen.

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Keine Frage: Das Auto ist ein praktisches Fortbewegungsmittel. Vor allem auf dem Land, wo Busse und Bahnen selten oder mit großen Umwegen fahren. Doch die mittlere Distanz, die Menschen hierzulande mit dem Auto zurücklegen, liegt bei mageren 6,7 Kilometern. Viele Wege, für die wir das Auto nutzen, sind also sogar noch kürzer. Viele dieser Strecken ließen sich problemlos mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurücklegen.

Wir sind kognitive Faulenzer

Trotzdem steigen Menschen ins Auto, obwohl viele rationale Gründe dagegensprechen: Auf kurzen Strecken spart das Auto kaum Zeit, ein kühler Motor verbraucht vergleichsweise viel Sprit und inzwischen dürfte sich herumgesprochen haben, dass Autofahren die Umwelt belastet und mehr Bewegung der Gesundheit nutzt: 150 Minuten körperliche Aktivität pro Woche empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Erwachsenen als Minimum. Fast die Hälfte der Bevölkerung (42 Prozent) bewegt sich weniger.

Man müsse keinem Sport nachgehen, betonen die Fachleute. Fahrradfahren oder zügiges Gehen reichten aus. Schon mit einem 20-Minuten-Spaziergang am Tag sind wir also im grünen Bereich. Fünf Minuten zu Fuß zum Bäcker laufen, fünf Minuten zurück – damit ist das halbe Tagespensum geschafft. Trotzdem steigen Menschen ins Auto. Warum ist das so?

"Wir Menschen sind kognitive Faulenzer. Wir entwickeln mit der Zeit Routinen", erklärt Jens Schade, Verkehrspsychologe an der Technischen Universität Dresden. "Wenn ich seit 20 Jahren mit dem Auto fahre, dann ist die Nutzung so routiniert, dass ich nicht mehr darüber nachdenke." Heißt: Menschen nehmen für alle Strecken das Auto, weil sie sich daran gewöhnt haben. Ob der Pkw für die Strecke tatsächlich die richtige Wahl ist, wird nicht mehr hinterfragt.

Routinen machen blind

Diese Gewohnheiten – Jens Schade spricht von "Habits" – formen wir schon früh im Leben. Laut der Verkehrsstudie "Mobilität in Deutschland" legen Kinder bis zu ihrem neunten Lebensjahr die Hälfte aller Wege mit dem Auto zurück. Sie werden "in ihrer Sozialisation damit stark auf dieses Verkehrsmittel geprägt", heißt es in der Studie.

Die Gewohnheit lässt uns nicht nur immer wieder ins Auto steigen. Sie sorgt auch dafür, dass sich unser Blick verengt. "Je stärker der Habit, desto weniger nimmt man andere Möglichkeiten der Mobilität überhaupt wahr", sagt Schade. "Informationen, die nicht zur Gewohnheit passen, werden ignoriert."

Vor 15 Jahren versuchte das Bundesumweltministerium mit einer Werbekampagne, Menschen davon zu überzeugen, auf kurzen Strecken das Auto stehenzulassen. Die beauftragte Agentur warb mit Botschaften wie "Besser, Sie nehmen ab als die Eisberge. Fahren Sie Rad." Oder: "Für den Klimaschutz müssen wir das Rad nicht neu erfinden. Nur häufiger nutzen."

Die wissenschaftliche Auswertung zeigte viele positive Effekte. Jeder fünfte Befragte gab an, aufgrund der Kampagne häufiger zu Fuß zu gehen, statt mit dem Auto zu fahren, 15 Prozent stiegen häufiger aufs Fahrrad um.

Es braucht Zuckerbrot und Peitsche

Besonders effektiv sind Impulse zur Verhaltensänderung in Phasen des Umbruchs. Wenn Eltern ein Kind bekommen oder Menschen in eine neue Stadt ziehen, bilden sie neue Routinen aus. Manche Städte bieten inzwischen Mobilitätsberatungen an, die Zugezogene auf Angebote wie Car-Sharing hinweisen. Andere geben kostenlose Zeitkarten für den öffentlichen Nahverkehr aus. Die Stadt Frankfurt/Main will Neubürgerinnen und Neubürgern sowie Eltern mit Neugeborenen zukünftig ein Monatsticket für den ÖPNV schenken.

Der Ansatz ist gut, reicht laut Jens Schade aber nicht aus. Um Gewohnheiten zu durchbrechen, brauche es starke Interventionen. Mobilitätsforscherinnen und -forscher setzen auf eine Kombination aus Zuckerbrot und Peitsche: Attraktive Angebote wie gute Radwege laden die Menschen ein, öfter aufs Rad zu steigen. Der gezielte Abbau von Parkplätzen wiederum kann dafür sorgen, dass Menschen weniger Auto fahren, weil die Parkplatzsuche mühsam wird.

Heißt: Solange vor jedem Supermarkt, jedem Bäcker, jeder Buchhandlung, jedem Sportverein freie Parkplätze zur Verfügung stehen, werden Menschen auch für kürzeste Stecken ins Auto steigen – weil sie immer Auto fahren.

Verwendete Quellen

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