Die deutsche Autoindustrie befindet sich im Krisenmodus. Ein Autogipfel bei Robert Habeck sollte Lösungen bringen. Das kam dabei heraus.
Die deutsche Autoindustrie schlittert immer tiefer in die Krise. Besonders prekär sieht die Situation bei Volkswagen aus: In Wolfsburg wird zwischen Management, Betriebsrat und IG Metall bereits intensiv um Werksschließungen und Massenentlassungen gerungen. Die Premiummarken BMW und Mercedes haben mit eklatanten Gewinneinbrüchen zu kämpfen. Und die Zulieferer merken ebenfalls längst den Abschwung; erste Insolvenzen scheinen der Vorbote größeren Unheils zu sein.
Wenn es der deutschen Autoindustrie schlechtgeht, ist meist eine der ersten Maßnahmen ein Treffen der Vertreter von Autoindustrie und -lobby sowie Gewerkschaften auf höchster politischer Ebene. Einen solchen "Autogipfel" gab es bereits mehrfach; den letzten vor knapp einem Jahr im Bundeskanzleramt. Dieses Mal spielte sich alles eine Ebene tiefer und bescheidener ab: Gastgeber war Bundeswirtschaftsminister
Die Ergebnisse des Autogipfels
Auf Einzelmaßnahmen haben sich die Teilnehmer nicht verständigt. Stattdessen soll die einhellige Meinung der Runde gewesen sein, dass es keine Schnellschüsse geben sollte. "Wir brauchen klare und verlässliche Signale für den Markt. Über Jahre. Was wir nicht brauchen, sind Kurzschlüsse und Strohfeuer", sagte Habeck nach dem Treffen. Kurzfristige Kurswechsel wie zuletzt beim Ende 2023 überstürzt einkassierten Umweltbonus für E-Autos sollen sich nicht wiederholen. Die Gespräche mit der Autoindustrie würden fortgesetzt und die Bundesregierung werde über passende Maßnahmen beraten. Falls welche kommen, dann sollen sie stets rückwirkend gelten.
Doch was haben sich die Beteiligten im Vorfeld vom neuerlichen Autogipfel versprochen? Was forderten die Industrie und die Arbeitnehmervertreter? Was ist die Politik bereit, anzubieten? Hier stellen wir die Positionen der einzelnen Vertreter dar.
Was fordert die Autoindustrie?
"Wir müssen über die CO2-Regulierung in Europa reden", sagte Mercedes-Chef Ola Källenius vor dem Autogipfel im Interview mit dem "Handelsblatt". Man könne die Kundenwünsche nicht ignorieren, und die Kunden wollen gerade nicht so viele Elektroautos kaufen wie gewünscht. "Das haben wir in der Branche vor einigen Jahren optimistischer eingeschätzt", gab der Schwede zu. "Um die CO2-Vorgaben der EU ab 2025 einzuhalten, müsste der Elektroanteil schlagartig von zehn auf 25 Prozent steigen. Das ist kaum zu erreichen", so Källenius weiter. Er wünschte sich Erleichterungen, "wie auch immer diese aussehen". Es brauche eine pragmatische Lösung statt milliardenschwerer Strafzahlungen, "sonst schwächen wir das System".
Mit seiner Forderung befindet sich Källenius auf einer Linie mit dem europäischen Autobranchenverband ACEA – und mit Volkswagen. Hans Dieter Pötsch, der Aufsichtsratsvorsitzende des VW-Konzerns, sieht, dass die Elektromobilität mehr Zeit benötigt, um sich durchzusetzen. "Deshalb müssen die CO₂-Ziele für 2025, 2030 und 2035 adjustiert und an die Realität angepasst werden", sagte Pötsch laut dpa in einer Rede auf den "Wiener Elektrotagen". Die Politik habe der Industrie Vorgaben gemacht, ohne dass die notwendige Infrastruktur vorhanden gewesen sei und "ohne darüber nachzudenken, ob die Kundinnen und Kunden da mitmachen".
BMW geht in dieser Hinsicht auf Distanz zu den – je nach Thema und Sichtweise – Konkurrenten oder Mitstreitern. Für eine Verschiebung der Ziele bestehe keine Notwendigkeit, heißt es laut "Handelsblatt" in München. Diese Haltung ist verständlich, schließlich verkauft BMW deutlich mehr Elektroautos als die schwäbische und niedersächsische Konkurrenz, was die Gefahr milliardenschwerer Strafzahlungen für die Bayern eindämmt. Folgerichtig vertreten die Entscheider im Vierzylinder-Hochhaus die Ansicht, dass die Politik nicht diejenigen belohnen dürfe, die in den vergangenen Jahren ihre Hausaufgaben nicht gemacht hätten.
Direkte E-Auto-Kaufprämien dürften sich jedoch die meisten deutschen Autohersteller wünschen. Insbesondere Volkswagen, das dem "Spiegel" zufolge bereits ein konkretes Modell ausgearbeitet hat. Demnach soll es beim Kauf eines Elektroautos eine staatliche Prämie von 4.000 Euro geben, während der Hersteller zusätzlich einen Preisnachlass von 2.000 Euro gibt. Damit ergäbe sich ein Modell, das der bis Dezember 2023 ausgeführten Förderpraxis recht nahekommt. "Kaufprämien können kurzfristig stimulieren", sagte Konzernchef Oliver Blume der ARD. In Summe zähle jedoch "das gesamte Paket, zu dem auch Steuermodelle und Preismodelle für Strompreise gehören".
Was wünschen sich die Gewerkschaften?
Die IG Metall forderte der "Bild" zufolge ein "schnelles, neues Förderpaket, das den Verkauf von E-Autos ankurbelt". Die weltweit größte Einzelgewerkschaft der Welt ist der Ansicht, dass dies den Herstellern und den Zulieferern, die bereits Milliarden in die E-Mobilität investiert hätten, helfen und so Arbeitsplätze sichern würde. Dies würde "den deutschen Herstellern im Wettlauf mit außereuropäischen Herstellern neuen Schwung geben".
Was bietet die Politik?
In Bezug auf die CO₂-Grenzwerte der EU wies Habeck darauf hin, dass die Grenzwerte 2026 ohnehin auf den Prüfstand kommen sollen. Auf Wunsch der Autoindustrie will er sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass dies bereits ein Jahr früher geschieht. Zudem scheint der Bundeswirtschaftsminister in Sachen E-Auto-Förderung grundsätzlich gesprächsbereit zu sein: "Was die Politik immer wieder prüfen muss, ist, ob wir die Marktsignale richtig setzen und noch verstärken können", sagte er zuletzt bei einem Besuch des VW-Werks in Emden, dessen Zukunft unklar zu sein scheint. Wie genau eventuelle Maßnahmen aussehen könnten, konkretisierte er nicht. Er ließ immerhin durchblicken, dass eine potenzielle neue E-Auto-Förderung auch rückwirkend gelten könnte.
Eindeutigere Ideen hat die SPD formuliert. Politiker der Kanzlerpartei brachten bereits eine E-Auto-Förderung nach französischem Vorbild ins Spiel, darunter einen staatlichen Zuschuss beim Leasing eines E-Autos. Eine weitere Idee ist einem Positionspapier zufolge eine Neuauflage der Abwrackprämie. Wer ein altes Verbrennermodell zugunsten eines Elektroautos aufgibt, soll staatlich unterstützt werden. Beim Kauf eines Neuwagens soll der Zuschuss 6.000 Euro betragen, bei einem Gebrauchtwagen 3.000 Euro. Das Papier enthält zudem die Forderung, dass Wallboxes, Batteriespeicher und Ladesäulen wieder staatlich gefördert werden sollen.
Von einer neuerlichen Abwrackprämie hält die FDP gar nichts. "Eine Abwrackprämie verzerrt den Markt, bevorzugt eine ohnehin geförderte Industrie und belastet den Staatshaushalt", schreibt Reinhard Houben, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, beim Kurznachrichtendienst X. Der Regierungspartner von SPD und Grünen in der Ampelkoalition will lieber grundlegende Wirtschaftsreformen umsetzen. Die Union ist ebenfalls kein Fan des Vorschlags. "Die damalige Abwrackprämie hat bei der Autonachfrage außer einem kurzen Strohfeuer nichts gebracht", sagte Ulrich Lange, CDU/CSU-Fraktionsvize im Bundestag, dem "Stern" zufolge. Stattdessen habe es Chaos bei der Abwicklung und Missbrauch gegeben.
Die Union schließt sich lieber den Wünschen der Autoindustrie nach gelockerten CO₂-Vorgaben an. Sowohl Lange als auch Manfred Weber argumentieren in diese Richtung. CSU-Politiker Weber, der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament, fordert gar eine komplette Neuordnung der europäischen CO₂-Gesetzgebung: "Wir brauchen eine Generalrevision aller Gesetze und Vorschriften für die Autoindustrie", sagte er der "Augsburger Allgemeinen". Wenn zehntausende von Arbeitsplätzen wackelten, dann sei keine Zeit für Bußgeldzahlungen.
Hinweis: In der Fotoshow präsentieren wir Ihnen die aktuell meistverkauften Elektroautos auf dem deutschen Markt. © auto motor und sport
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