Garching/ München - Im Stop-and-go-Verkehr lesen oder einen Film schauen? Nicht nur als Beifahrer oder auf der Rückbank ist das erlaubt, sondern bei geeigneter technischer Ausrüstung eines Autos auch auf dem Platz hinter dem Lenkrad.
Möglich ist das zum Beispiel in der aktuellen S-Klasse von Mercedes: Sie fährt "hochautomatisiert" auf Level 3 - gemäß der maßgeblichen Klassifizierung der Organisation SAE International.
Das bedeutet: Fahrer oder Fahrerin kann Lenkrad und Verantwortung an das Auto abgeben, muss auf Anforderung durch das System aber kurzfristig die Fahraufgabe wieder übernehmen können. BMW bietet im neuen 7er das Level 2+ an. Das Auto fährt zwar selbstständig, doch eine Person hinterm Steuer bleibt für die Überwachung der Verkehrssituation verantwortlich.
Was das automatisierte Fahren betrifft, sind solche Autos technologische Leuchttürme. Doch lassen wir uns jetzt alle bald im eigenen Auto umherkutschieren? Oder wird es zum Problem, wenn immer mehr automatisierte auf noch von Menschen gelenkte Autos treffen?
Kein schneller Durchbruch für Level-3-Fahrzeuge
Zunächst werde es noch mindestens zehn Jahre dauern, bis sich Fahrassistenten nach Level 3 durchsetzen, sagt Professor Markus Lienkamp vom Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik an der Technischen Universität München (TUM). "Allein die Sensoren und Kameras kosten zwischen 3000 und 4000 Euro, der Verkaufspreis des Staupiloten als Option liegt bei rund 6000 Euro. Rein wirtschaftlich wird sich das für Kompakte und Kleinwagen in den nächsten Jahren nicht rechnen", sagt Lienkamp.
Einen Durchbruch für Level-3-Fahrzeuge erwartet so schnell auch Andreas Rigling nicht, der beim ADAC das Testzentrum für aktive Fahrzeugsicherheit leitet: "Erst wenn diese Assistenzsysteme bei Geschwindigkeiten von etwa 130 km/h absolut sicher arbeiten, wird die Nutzung zum Regelfall und nicht wie bisher zur Ausnahme."
Theoretisch sind zwar seit Beginn des Jahres bis zu 130 km/h bei Level 3 erlaubt, den Herstellern fehlt aber noch die Zulassung für die höhere Geschwindigkeit. Die Autos am Markt fahren aktuell automatisiert maximal 60 Stundenkilometer.
Das automatisierte Fahren ist in Deutschland bislang auf bestimmte Verkehrssituationen auf der Autobahn beschränkt, etwa bei Staus. In den USA erlauben einige Bundesstaaten den Betrieb autonomer Fahrzeuge im Straßenverkehr.
Assistenzsysteme als Risiko
Andere EU-Staaten verlangen in jedem Fahrzeug dagegen noch einen verantwortlichen Fahrer. Das könnte bei Systemen nach Level 2+ Rigling zufolge zur Herausforderung werden: Es bestehe das Risiko, dass sich Fahrer zu sehr auf Assistenzsysteme verlassen, obwohl sie jederzeit in der vollen Verantwortung bleiben. Zudem entstehe kein richtiger Vorteil, da der Fahrer weiterhin den Blick auf die Straße richten muss.
Auch Jan Becker ist Experte für autonomes Fahren. Er lehrt zu diesem Thema an der Stanford University und hat mit seinem Unternehmen Apex.AI eine Betriebssoftware für automatisiert fahrende Autos entwickelt. Er sieht im Stau-Assistenten eher eine Komfortausstattung: "Wirklich nötig ist sie nicht." Eine Behörde wird das System daher nicht allgemein vorschreiben, anders als bei ABS oder ESP. Der schnellen Verbreitung wird auch das nicht dienen.
Aufgrund der aufwendigen Technik scheint auch die Nachrüstung eine nur theoretische Option. "Der Aufwand ist viel zu hoch", sagt Professor Lienkamp. Technisch möglich sei es zwar, Bestandsfahrzeuge entsprechend auszustatten. Doch es sei aussichtslos. Nachgerüstet werden müssten redundant arbeitende "sicherheitsrelevante Systeme" bei Lenkung, Bremsen, Steuergeräten.
Kaum Nutzen für private Pkw
Einen großen Nutzen für private Pkw scheint das automatisierte Fahren ohnehin nicht zu haben. Lienkamp meint: "Betriebswirtschaftlich ergibt das automatisierte Fahren mehr Sinn für Robotaxen, Linienbusse oder Lastwagen." Also bei gewerblich genutzten Fahrzeugen, die täglich sehr viele Stunden in Betrieb sind.
Doch auch wenn sich automatisierte Fahrzeuge durchsetzen sollten, ganz unter sich werden sie wohl nie sein, schätzt Andreas Rigling: "Mischverkehr wird es auf den Straßen immer geben, alleine schon durch Oldtimer."
Laut Professor Lienkamp könne es grundsätzlich zum Problem werden, dass Mensch und Maschine die Verkehrsregeln unterschiedlich auslegen: "Das natürliche menschliche Fahren weicht häufig von den Verkehrsregeln ab." Computergelenkte Autos sind da genauer. Was aber auch von Vorteil sein kann: Zum Beispiel im Stop-and-go-Verkehr würde ein Computersystem Lücken schneller schließen und dadurch Stauwellen entgegenwirken.
Mehr Harmonie verspricht die sogenannte Car-to-X-Kommunikation. Dabei können Autos und Verkehrssysteme, zum Beispiel Ampeln, Informationen zu Verkehr und Zustand von Straßen miteinander teilen. Und Fahrer oder Systeme darauf entsprechend reagieren.
Autonom und allein
Doch bis das reibungslos klappt und die passende Infrastruktur steht, wird es noch Jahre dauern. "Die Autoindustrie hat sich bisher auf keinen Standard festgelegt. Ob die Kommunikation später über W-Lan oder 5G läuft, ist derzeit noch nicht entschieden", bemängelt Professor Lienkamp. Für hochautomatisierte Fahrzeuge ist das erst einmal egal: Sie müssen so sicher sein, dass sie alleine klarkommen - autonom eben. © dpa
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