Wer in der Schweiz leben retten will, riskiert womöglich seinen Führerschein. Ein neues Gesetz bestraft nämlich auch Rettungskräfte, wenn sie im Einsatz mit erhöhter Geschwindigkeit unterwegs sind. Doch wie ist das hierzulande? Was dürfen Polizei, Feuerwehr und Sanitäter mit Blaulicht und Martinshorn?
Geht es darum, Leben zu retten, zählt jede Sekunde. Je schneller die Helfer an einem Unfallort ankommen, desto größer sind die Überlebenschancen der betroffenen Personen. Und auch Polizisten müssen bisweilen ordentlich Gas geben, wenn es darum geht, eine Straftat zu verhindern oder einen Flüchtenden zu fassen. Mit Blaulicht und Einsatzhorn ist das kein Problem - mag man meinen. In der Schweiz sorgt nun ein neues Gesetz für Aufsehen, das rasende Rettungskräfte mit anderen Temposündern gleichsetzt.
Via Sicura: Das umstrittene Gesetz in der Schweiz
Seit dem 1. Januar 2013 müssen sich Rettungskräfte in der Schweiz auch im Einsatz an geltende Tempolimits halten. Blaulicht und Martinshorn berechtigen nicht mehr zum Übertreten von Geschwindigkeitsbegrenzungen, berichtet das Schweizer Portal "Blick.ch". Fährt ein Feuerwehrmann mit Tempo 70 durch eine 30er-Zone oder ein Polizist außerorts mit Tempo 140 hinter einem Kriminellen her, begehen beide eine Straftat. Als Konsequenz drohen ein Führerscheinentzug von einem Jahr und ein Jahr Gefängnis.
Ziel des Gesetzes: Weniger Verkehrstote
Eingeführt wurde das Gesetz namens Via Sicura, um die Zahl der Verkehrstoten zu reduzieren. Laut dem Bundesamt für Statistik in der Schweiz verunglückt im dortigen Straßenverkehr durchschnittlich eine Person pro Tag tödlich. Was der Gesetzgeber allerdings vergessen hat, ist eine Ausnahmeregelung für Blaulichtfahrten. Theoretisch müssen sich jetzt also auch Rettungskräfte im Einsatz an geltende Tempolimits halten, wenn sie sich nicht strafbar machen wollen.
Fehlende Ausnahmeregelung soll ergänzt werden
Die Polizei in der Schweiz spricht von einem "perversen Effekt", die Feuerwehr spricht davon, dass sie die tägliche Arbeit nicht mehr machen könne. "Als diese Geschwindigkeitslimiten eingeführt wurden, dachte das Parlament nur an Raser, nicht aber an Leute, die Leben retten müssen", zitiert "Blick.ch" Corina Eichenberger, FDP-Nationalrätin und Präsidentin der Parlamentarischen Gruppe Feuerwehr. Eine bislang fehlende Ausnahmeregelung soll nun so schnell wie möglich ergänzt werden, einen Vorstoß will SVP-Nationalrätin Andrea Geissbühler einreichen.
Sonderrechte im deutschen Straßenverkehr
In Deutschland besitzen Rettungskräfte wie Polizei, Feuerwehr und Sanitäter, aber auch Katastrophenschutz, Bundeswehr und Zolldienst bestimmte Sonderrechte, die sie von den Vorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) befreien. Unter bestimmten Voraussetzungen dürfen Fahrzeugführer dann zum Beispiel Tempolimits überschreiten, die Gegenfahrbahn befahren, Rotlicht an der Ampel ignorieren, eine Einbahnstraße entgegen der Fahrtrichtung befahren oder im Halteverbot halten. Wer unter welchen Voraussetzungen dazu berechtigt ist, regelt § 35 der StVO.
Grenzen der Sonderrechte für Rettungskräfte
Dort heißt es in Abs. 5a: "Fahrzeuge des Rettungsdienstes sind von den Vorschriften dieser Verordnung befreit, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden." Dieses Sonderrecht ist fahrzeuggebunden. Sanitäter dürfen sich also nur im Rettungswagen über die Vorschriften der StVO hinwegsetzen. Des Weiteren schränkt Abs. 8 des § 35 die Inanspruchnahme der Sonderrechte weiter ein: "Die Sonderrechte dürfen nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden", schreibt die StVO vor.
Übermaßverbot beim Übertreten der StVO-Regeln
Liegen die Voraussetzungen vor, sind also Menschenleben in Gefahr, berechtigt das dennoch nicht zum übermäßigen Gebrauch der Sonderrechte. Die Regeln der StVO dürfen immer nur in dem Maße übertreten werden, wie es zum Erreichen des Ziels erforderlich ist, informiert das Portal "Recht im Rettungsdienst". Rettungskräfte dürfen andere Verkehrsteilnehmer nicht mehr als nötig behindern oder gar gefährden.
In einem Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf von 1991 heißt es: "Fahrer von Einsatzfahrzeugen haben auch den bei der Ausübung von Sonderrechten geltenden und sich aus § 1 StVO ergebenden Grundsatz zu beachten, darauf bedacht zu sein, dass bei der Einsatzfahrt keine anderen Verkehrsteilnehmer zu Schaden kommen." Experten empfehlen daher, die Geschwindigkeitsübertretungen auf 20 Prozent zu begrenzen.
Blaulicht und Einsatzhorn sollen warnen
Zwar ist eine besondere Kennzeichnung von Fahrzeugen nicht erforderlich, wenn es darum geht, Sonderrechte wahrzunehmen. Allerdings empfiehlt die Verwaltungsvorschrift zu § 35 StVO, dass "bei Fahrten, bei denen nicht alle Vorschriften eingehalten werden können, […] wenn möglich und zulässig, die Inanspruchnahme von Sonderrechten durch blaues Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn angezeigt werden" soll. Insbesondere bei schnellen Einfahrten in Kreuzungen ist daher der Einsatz von Blaulicht und Martinshorn ratsam.
In der bisherigen Rechtsprechung haben Rettungswagenfahrer bereits mehrmals eine Teilschuld zugesprochen bekommen, wenn sie nicht davon ausgehen konnten, dass entgegenkommender oder Querverkehr ausreichend vor dem schnellen Einsatzfahrzeug gewarnt ist. Das Oberlandesgericht Hamm sprach in einem Urteil von 1996 beispielsweise: "Die Vorsicht des Sonderrechtsfahrers muss umso größer sein, je weiter er sich über die sonst geltenden Verkehrsvorschriften hinwegsetzt. Bei einer unübersichtlichen Kreuzung kann es geboten sein, nur mit Schrittgeschwindigkeit zu fahren."
Wegerecht nach § 38 StVO
Ist ein Einsatzfahrzeug ohne Blaulicht und Martinshorn unterwegs, hat es zudem keinen Anspruch darauf, dass ihm andere Verkehrsteilnehmer Platz machen. Das sogenannte Wegerecht, das in § 38 der StVO geregelt ist, wird erst mit dem gleichzeitigen Einschalten von Blaulicht und Einsatzhorn geltend gemacht. Um einem Rettungswagen mit Blaulicht und Martinshorn den Weg freizumachen, dürfen Autofahrer selbst kleinere Verkehrsverstöße begehen, zum Beispiel Haltelinien überfahren oder auf den Gehweg ausweichen. Wer das Wegerecht des Einsatzwagens hingegen ignoriert, begeht eine Ordnungswidrigkeit, die mit einem Bußgeld geahndet wird, womöglich aber auch zivil- oder strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht - immerhin stehen Menschenleben auf dem Spiel. © 1&1 Mail & Media/ContentFleet
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