Junge Liebhaber seien wie Camembert: Wenn sie reif werden, laufen sie einem davon, behauptete die Grande Dame des frühen französischen Films, Françoise Rosay. Vergibt man sein Herz und sein Geld nach Stuttgart, steht dann ein Mercedes-Kombi auf dem Händlerhof, der noch grün hinter der Rückbank ist? Liegt die Hofausfahrt an einem hohen Bordstein und ist die Zufahrtstraße schlecht, schweben die Sorgen aus dem Fenster wie die brandneue E-Klasse über die Unebenheiten – sie ist beim Federungskomfort auf einem eigenen Planeten unterwegs.
Video: Das Mercedes E-Klasse T-Modell (S 214) im Detail
Es braucht schon die Schlechtwegestrecken im Bosch-Prüfzentrum Boxberg, um ein leichtes Stoßen der Vorderachse festzustellen und den Aufbau in größere Schwingungen zu versetzen. Öffentlich befahrbare Straßen überflauscht der Mercedes mit optionaler Airmatic-Luftfederung an allen Rädern sanft und sorgfältig. Das Mercedes-typische Nachschwingen bei stärkeren Anregungen ist weniger ausgeprägt als wir es von anderen Baureihen kennen, ohne dass der Federungskomfort leidet.
Feines Schwergewicht
Ebenfalls erstklassig: die Geräuschdämmung gegen Wind-, Fahrwerks-, und Abrollgeräusche. Stille im großen Stil? Nein. Zum einen pfeifen die Lüftungsdüsen auf hoher Gebläsestufe, was wir im Klimaanlagenkapitel abwerten, und zum anderen ist der vierzylindrige Teil des Motorenduos nicht das letzte Wort an Kultiviertheit. Klar, hier geht‘s um Kritik auf sehr hohem Niveau, aber der Zwei-liter-Turbo läuft gerade bei niedrigem Tempo etwas brummig.
Da der Elektromotor zwischen Verbrenner und Getriebe sitzt, spürt man die Schaltrucke der Automatik. Der Neunstufer beherrscht zwar die sanfte, nicht jedoch die ganz fixe Tour. Dennoch ist der Antriebsstrang in seinen PHEV-Eigenschaften kaum zu schlagen. Kombiniert schieben beide Motoren kräftig und spontan an, die Elektroreichweite beträgt selbst im Winter 89 Kilometer, und das rein elektrische Fahren wird im Alltag dadurch gefördert, dass man die Batterie dank der 595 Euro teuren Schnelllade-Option in rund einer halben Stunde wieder füllen kann. Die vollen 55 kW Ladeleistung müssen zwar im Menü aktiviert werden, dennoch lädt der Benz konkurrenzlos schnell. Auch an der Wallbox mit 11 kW dreiphasig. Auf Langstrecken wird der Strom bis zum letzten Kilometer nach Navi clever genutzt. All das ist auch nötig, um sein Effizienzpotentzial auszunutzen. Nach PHEV-Schema ist er der sparsamste, beim mit leerem Akku gefahrenen hybridischen Verbrauch fließt der meiste Sprit in seine vier Brennräume.
Keine Hinterradlenkung
Das liegt auch an seiner Schwülstigkeit, denn 2.256 kg Leergewicht sind selbst in dieser Klasse ein echtes Brett. Nicht, dass es ihn davon abhalten würde, seinen Konkurrenten gehörig um die Ohren zu fahren. Zugunsten des Kofferraums bleibt dem T-Modell die Hinterradlenkung verwehrt, dennoch fertigt er jung und dynamisch wie er ist 5er und V90 im Slalom sowie Ausweichtest ab. Mit starker Servounterstützung um die Mittellage fehlt Gefühl beim Anlenken, dennoch stimmt die Präzision. Feedback? Etwas schummerig. Das Handling rangiert irgendwo zwischen Raddampfer und Slotcar. Man gibt einen Einlenkbefehl, dem er gemäß seines Gewichts gelassen folgt, nur dass Geschwindigkeit und Einlenkintensität keine Rolle zu spielen scheinen. Traktion und Fahrstabilität sind top, die Traktion beachtlich, die Regelelektronik präzise. Selbst beim Wendekreis braucht der E weniger Platz als der allradgelenkte BMW.
Innen überrascht die thronende Sitzposition auf hochkomfortablen Massagesesseln, denen etwas Schulter- und Beinhalt fehlt. Ebenfalls an Bord: der optionale MBUX-Superscreen inklusive separatem Display für Mitfahrer zum Filme schauen oder für Apps. Dank flacher Menüs toucht es sich einfach, wenn auch ablenkend durch die Funktionen. Shortcuts, wie etwa für die Deaktivierung der Tempomlimitwarnung, helfen. Fahrmodi wechselt man über eine haptische Taste.
Mit dem Doppelbildschirm hält auch die Kamera auf dem Armaturenbrett Einzug, mit der Passagiere an Videokonferenzen teilnehmen können. Ob man das braucht? Weniger als einen praktischen Kofferraum. Den bietet der Mercedes nicht, obwohl er trotz der größten Batterie das größte maximale Stauvolumen offeriert. Es mangelt an Fächer und Ablagen, weswegen das Ladekabel unmotiviert an einem Karabiner hängend im Laderaum umher rutscht. Ebenfalls unmotiviert wirkt die Verarbeitung im Detail. Zwar sind viele Materialien haptisch wie optisch erste Klasse. Auf der Schlechtwegestrecke gibt aber keiner der drei Kombis mehr Knarzgeräusche von sich als der Mercedes. Und das klavierlack-überzogene Konsolenfach in der Mitte wirkt mit welligem Lack eher nach Gehversuch im ersten Ausbildungsjahr statt Gesellenstück.
Glückt die Abschiedstour?
Nun zum BMW, ein letztes Mal G31, genannt 5er Touring: Wem die jugendliche Verspieltheit der E-Klasse mit ihren Riesendisplays, Selfiekamera und Lenkrad-Touchfeldern zu viel wird, findet in diesem 5er die zu erwartende Reife. Aber nach der Limousine läuft uns schon bald auch der Touring davon: Im Frühling steht die Ablösung an.
Und wie sieht die Reife aus? Da wäre die klassische, simple Fahrzeugbedienung dank vieler Tasten und das recht intuitive Infotainment samt Dreh-Drück-Steller. Die schiere Funktions- und Menüfülle bedarf Gewöhnungszeit, im Gegensatz zu den Touchsystemen reduziert die Routine aber tatsächlich die Ablenkung, da man sich nahezu blind mit haptischem Feedback via Dreh-Drück-Steller durch die Menüs klickt.
Während der hochkompetente Plug-in-Hybridantrieb im Mercedes eine echte Verbrenner-Alternative über die niedrigere Dienstwagensteuer hinaus darstellt, kommt im 530e bald der Wunsch nach einer traditionelleren Motorisierung auf. Das liegt nur teils am Antrieb selbst, denn keiner läuft so ruhig wie er, mit einer so souveränen Akustik bei gleichzeitig niedrigstem hybridischen Verbrauch. Trotz nominell geringster Leistung beschleunigt er den Mercedes aus. Die Automatik schaltet neuronal präzise, aber nur, wenn der Verbrenner mitarbeitet. Wie beim Mercedes sitzt der E-Motor zwischen Verbrenner und Getriebe. Im elektrischen Fahrmodus verliert die ZF-Box etwas Contenance, fährt ruppig an und schaltet mit spürbaren Zugkraftunterbrechungen. Dazu liefert die kleinste Batterie im Feld die geringste E-Reichweite bei einer wenig motivierenden Ladeleistung von 3,7 kW. Es ist viel mehr die Brillanz der restlichen Motoren des 5ers, besonders der Sechszylinder, die man sich einfach mehr herbeisehnt als den an sich ordentlichen, aber eben nicht brillanten Vierzylinder-PHEV.
Auch, da er sich scheinbar lähmend auf sonst so herausragende Eigenschaften des 5ers legt. Der Federungskomfort mit Luftfedern an der Hinterachse gefällt überwiegend, auf kurzen, harten Unebenheiten fehlt es ihm aber an der gewohnten Souveränität, besonders im Vergleich zum Flausche-Komfort der E-Klasse. Dazu rumpelt sein Fahrwerk leicht, was wir von anderen Modellen der 5er-Baureihe so nicht kennen. Handlingseitig wird es sogar leicht enttäuschend, da er seine markentypische Kurvenwilligkeit, die sich über die nach einer tauben Mittellage zackig ansprechende Lenkung ausdrückt, nicht auf die Straße kriegt.
Schon immer war die G30/31-Baureihe leichter als alle Konkurrenten. Selbst als PHEV bleibt der BMW unter zwei Tonnen. Das niedrigere Gewicht, die Allradlenkung, die direkte Lenkansprache: alles suggeriert Dynamik, von der außer zartem Übersteuern am Kurvenausgang aber nicht viel übrigbleibt. In der Kurvenmitte fällt er seltsam in sich zusammen. Wankbewegungen manifestieren das Bild eines gemütlichen, souveränen, aber irgendwie etwas markenfernen 5ers, der sich in Slalom und Ausweichtest gar hinter dem V90 anstellen muss und mit kleinem 46-Liter-Tank zu oft an der Tanke steht (Mercedes: 50 l, Volvo: 60 l). Immerhin bietet er den praktischsten Kofferraum, da noch Platz für das Ladekabel in einem Unterflurfach bleibt. Wie der Mercedes kann er seine Energie via Navigation einteilen.
Rüstiger Harmoniker
Der Volvo kippt seine elektrische Energie, sofern der Battery-Hold-Modus nicht aktiviert ist, einfach auf die Hinterachse. Ist Energie vorhanden und passen Tempo plus Gaspedalstellung? Voila, wir fahren elektrisch. Das kann man smarter regeln, ebenso könnte er schneller als mit 3,7 kW laden, aber der Volvo ist mit Debütjahr 2016 der Reifste hier. Plug-in-Hybrid-Antrieb bedeutet bei ihm automatisch Allrad. Der Elektromotor sitzt nämlich an der Hinterachse, der Verbrenner greift vorn an. Heißt: der Volvo fährt angenehmer im Elektromodus, da kein Getriebe den kerzengeraden Kraftfluss der E-Maschine unterbricht.
Zudem wagt er es, Madame Rosay zu widersprechen: Trotz sieben Jahre Bauzeit ist der große Kombi längst noch nicht weg. Stattdessen brachte Volvo seinen Baureihen mit kleinen Updates langsam das Federn und damit mehr Reife bei. Der V90 macht da keine Ausnahme. Mit luftgefederter Hinterachse und Stahlfedern vorn federt er fast auf dem Niveau des 5ers, auf dem Boxberg-Schlechtwegeparcour sogar besser. Leichte, kurze Unebenheiten vermiesen ihm die Bilanz, da man sie stärker spürt und der Volvo auf der Autobahn hopsiger rüberkommt als BMW und Mercedes. Ganz nebenbei knarzt sein hochwertiger Innenraum auf den Rüttelpisten am wenigsten.
Souverän auch der Antrieb: Mehr Dampf bietet keiner der Konkurrenten. Greifen im Volvo beide Motoren an und hat die Automatik nach einer Gedenksekunde den passenden Gang parat, entwickelt der V90 unter dumpfen Vierzylinderbrummen einen wuchtigen Vortrieb, der abrupt an der 180-km/h-Schranke endet.
Bei schmierigen Straßenverhältnissen hilft ihm sein Achshybrid-Antrieb mit Traktion, ohne mit der Finesse eines permanenten Allrads trumpfen zu können. Bei der Effizienz fehlen ihm ein paar Zehntel. Die Lenkung arbeitet hinreichend direkt, sehr harmonisch und linear ohne Gefühlsausbrüche in Richtung Hibbeligkeit, leider auch nicht in Richtung Feedback. Trotzdem wirkt sie verbindlicher als in früheren Testwagen und steuert den 2,1-Tonner souverän über die Pässe. Klar, mitreißend fährt der stoische V90 nicht gerade, dafür versöhnt er innen mit seiner feinen, stilsicheren Machart – sieht man von dem etwas eigenartigen Glaswählhebel ab – und den sehr bequemen, gut ausgeformten Wollsitzen. Zwar wurde er stets upgedatet, navigiert nun schnell und staubewusst via Google-Maps. Doch es ist nicht alles Google, was glänzt: Die Sprachsteuerung stellte sich über den gesamten Testzeitraum taub und wollte nicht mal Naviziele finden. Und die Volvo-Fahrassistenz wirkt nervöser als bei der Konkurrenz.
Bequem, aber tragschwach
Der Aufbau des V90-Touchscreens ist simpel und logisch, braucht jedoch für einige alltägliche Einstellungen unnötig lange Bedienwege. Die dritte Menüebene für die Antriebseinstellungen eines Hybridsystems ist zu tief. Es fehlen haptische Tasten und Shortcuts.
Im Fond bietet er den größten Normsitzraum bei niedrigster Innenhöhe. Die kurzen Beinauflagen verhindern eine noch komfortablere Sitzposition. Der Kofferraum bietet das kleinste Maximalvolumen. Viel hinderlicher ist die geringe Zuladung von nur 453 kg. Insgesamt vereint der V90 seine guten, gekonnt evolutionierten Eigenschaften zu einem sehr harmonischen Ganzen, schafft es aber nur beim Antrieb, Mercedes oder BMW Punkte wegzunehmen.
Die junge E-Klasse zeigt sich reif, dafür laufen ihr die Kosten davon. Schon der Grundpreis ist hoch, in der getesteten AMG Line Premium steigt der Testwagenpreis mit bewertungsrelevanten Extras auf über 90.000 Euro. Immerhin verbaut Mercedes inzwischen eine ordentliche Serienausstattung. Der BMW kommt weitaus günstiger, da er ohne M- oder Luxury-Linie antritt und sich auf das wesentliche konzentriert. Dafür fehlt ein wenig Serienausstattung. Der Volvo liegt im Grundpreis auf BMW-Niveau, bietet als Plus aber bereits zahlreiche Extras. Trotzdem muss er sich hinter BMW und Mercedes einreihen. Der 5er schafft es mit guter Bedienung, dem dank der leichten Karosserie geringeren Verbrauch und den niedrigeren Kosten fast noch an der E-Klasse vorbei.
Die spielt jedoch ihre junge fahrdynamische, komfortseitige und multimediale Brillanz aus. Ein besser fahrender Oberklasse-Kombi muss erstmal gebaut werden. Darauf einen Camembert. © auto motor und sport
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