BMW-Motorrad-Chef-Designer Alexander Buckan stellt sich im Interview mit MOTORRAD auch kritischen Fragen zur viel diskutierten neuen BMW R 1300 GS Adventure.

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Kommen wir direkt zur BMW R 1300 GS Adventure, die Anfang Juli vorgestellt wurde. Viele waren ja sprachlos, und die Kommentare waren ... nicht so positiv. Ärgert oder verletzt Dich so etwas als verantwortlicher Designer?

Nein, denn das Gute ist ja, dass es auch jede Menge positives Feedback gibt, und insofern gleicht sich das am Ende wieder aus. Ich glaube, wir alle wissen, dass die GS Adventure im Vergleich zum Vorgängerfahrzeug echt eine Revolution und ein riesiger Wurf ist. Dass das vielleicht beim ersten Hinsehen erst mal polarisiert, das ist absolut klar. Und ich finde es toll, wenn sich die Leute damit auseinandersetzen. Je mehr man die GS Adventure für sich erschließt, desto mehr wird man sie lieben, da bin ich mir ganz sicher. Denn da stecken jede Menge coole Ideen dahinter, die den Gebrauchswert des Fahrzeugs wahnsinnig erhöhen. Diese "Schultern" zum Beispiel. Wenn man auf dem Fahrzeug sitzt und dann von oben auf dieses Fahrzeug schaut, dann stellt man fest, dass diese "Schultern", also die obere Form des Tanks, nahezu horizontal sind.

Da könnte man natürlich im ersten Ansatz sagen: Das gefällt mir nicht. Aber wenn man dann ein bisschen darüber nachdenkt, dann ergibt das komplett Sinn, weil man diese Fläche auch für sich erschließen kann. Man kann dort Dinge ablegen, zum Beispiel die Sonnenbrille oder das Portemonnaie, wenn man an eine Mautstation ranfährt. Was man mit normal abfallend gestylten "Schultern" eben so nicht kann. Oder Ihr seid irgendwo im Feld und müsst mal irgendetwas reparieren. Wo legt man verflucht nochmal diese Schrauben ab? Hier weiß ich ganz genau, ich kann die da oben ablegen, statt sie in den Dreck zu treten. Das finde ich extrem spannend. Aber daraus ergibt sich eben eine Eckigkeit, die wahnsinnig Sinn ergibt aus meiner Sicht. Oder dass man jetzt diese Radiator-Cover eben auch so erschlossen hat, dass man zusätzlich etwas verzurren oder eine zusätzliche Tasche einhängen kann. Also das ist echt ein spannendes Bike, und ich habe mich wahnsinnig darauf gefreut, dass es endlich der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Ich glaube fest daran: Nach einer gewissen anfänglichen Diskussion wird das Ding einschlagen wie eine Bombe.

Video: Im Video: BMW R 1300 GS Adventure mit Zubehör

Gibt es denn gesellschaftliche Trends oder Mode-Trends, die Euch beeinflussen?

Unbedingt, ja. Ich glaube, ein Designer ist erstmal per se jemand, der diese ganzen gesellschaftlichen Trends generell aufsaugt wie ein Schwamm, dekodiert und dann am Ende in eine Form, in ein Konzept überführt. Das beste Beispiel ist unsere aktuelle R 1300 GS Adventure. Man merkt ja, wie beliebt grundsätzlich die aktuellen Offroad-Fahrzeuge sind, also auch vierrädrige, und wie diese Fahrzeuge dann auch immer weiter aufgebrezelt und optimiert werden, um damit dann gegebenenfalls um die Welt fahren zu können. Der eine oder andere tut das vielleicht auch, aber trotzdem ist das gerade ein gesellschaftlicher Trend, der natürlich am Ende auch ein Stück weit in Form gegossen wurde.

Was ist für Dich einfacher? Ein neues Retro-Bike, eine neue GS oder ein Elektroroller, wo vielleicht noch eher ein weißes Blatt Papier vor Dir liegt? Oder hat jedes Segment seine eigenen Spielregeln?

Definitiv, das ist ja genau das, was mich auch so bei diesem Job begeistert. Jedes einzelne Fahrzeug und jede einzelne Zielgruppe haben ganz eigene Prämissen. Und diese Prämissen musst du als Designer für dich neu sortieren. Eine RT lebt natürlich von großen Kunststoffflächen, die aerodynamisch und ergonomisch optimiert werden, wo es auch viel um Stauraum geht. Bei einer GS Adventure dagegen geht es nicht um Großflächigkeit, sondern um authentische Materialien und eine enorm robuste Formsprache. Hier wird die Grundstruktur des Fahrzeugs mehr in Szene gesetzt. Das ist eine völlig andere Herangehensweise. Oder bei so einem Retro-Fahrzeug wie der R 20: Da sind die Dinge eher additiv, weil es da natürlich auch um das Thema Customizing geht. Das heißt, ein Bauteil erfüllt eine Funktion, während bei so einer GS Adventure unter Umständen den Bauteilen auch mehr Funktionalitäten zugeordnet werden. Das ist ein ganz anderer, integrativer Ansatz. Bei unseren Retro-Bikes steht natürlich auch das Thema Proportion noch mehr im Vordergrund. Da kommen ganz andere Materialien zum Tragen. Du musst permanent über deine Routinen springen, aber das macht unsere Arbeit eben so vielfältig und interessant.

Das heißt aber auch, dass ganz viele Teile, die der Laie vielleicht als Designspielerei abtut, eigentlich einen technischen Hintergrund haben, richtig?

Ganz oft. Es hängt ein bisschen davon ab, in welchem Segment wir uns bewegen. Es gibt durchaus auch Fahrzeuge, wo es absolut legitim ist, auch ein bisschen mehr rein über die Optik zu kommen. Aber gerade bei so einem wirklich extremen Werkzeug wie unserer neuen 1300er-GS Adventure hat das gesamte Design einen starken technischen Hintergrund.

Es hält sich ja zumindest unter den Motorradfahrern hartnäckig die Mär, dass Italiener einfach schöne Motorräder machen können und andere eben nicht. Wie reagierst Du als Designer darauf? Dir wurde ja quasi schon bei der Geburt abgesprochen, ein guter Designer zu werden.

Ich glaube schon, dass die Italiener wirklich lange diesen Nimbus der emotionalen Motorräder hatten. Die deutschen Motorräder waren eher zweckmäßig. Wenn man zurückschaut, wo das Motorrad herkam, dann war es nach dem Krieg ein reines Fortbewegungsmittel, auf das man angewiesen war, da musste das funktionieren. Wenn du eine BMW hattest, dann wusstest du: Die funktioniert, die sprang an. Und das war mit anderen Motorrädern vielleicht nicht immer so der Fall. Aber nach dem großen Motorradmarkensterben in den 1960er-Jahren wurde das Motorrad von einem rein rationalen Fortbewegungsmittel mehr zu einem Luxusgut, und da spielt natürlich die Emotion immer mehr eine Rolle. Ich glaube, in den letzten zehn Jahren ist da bei BMW Motorrad wahnsinnig viel passiert, die Marke wurde kontinuierlich jünger, dynamischer und ist mittlerweile auf einem extremen Niveau, was die emotionale Wahrnehmung betrifft. Und das führen wir natürlich fort.

Video: Das neue BMW R20 Concept im Video

Wenn Design auch immer einen Sinn hat, gibt es für Dich als Fachmann trotzdem "Design-Gurken"?

Ich habe ein Faible für Underdogs und für solche Sachen, die vielleicht ein bisschen verrückt sind. Also wenn du in die Motorradgeschichte abtauchst, gab es ja einige Skurrilitäten, die ich aber trotzdem irgendwie ganz cool finde. Zum Beispiel so eine Megola aus den 1920er-Jahren, mit Sternmotor. Oder guck zum Beispiel in die 1970er-Jahre, diese französischen 24-Stunden-Renner, die ja auch total skurril aussahen. Aber die wurden halt auf ihren Zweck hin entwickelt. Für mich gibt es da jetzt nicht so die Gurke oder sowas, es gibt eher so viele positive Design-Beispiele.

Was sind denn für dich Design-Ikonen?

Also tatsächlich die Fahrzeuge, die ich eben schon genannt habe, auch wenn sie vielleicht für den einen oder anderen wirklich skurril wirken. Vertrauter ist man wahrscheinlich eher mit einer Ducati 916. Die hat mich zum Beispiel damals im Studium massiv geprägt. Das Fahrzeug ist schon wirklich eine Revolution gewesen, so clean, wie die war, die hat dann wirklich auch eine ganze Generation an Superbikes geprägt. Die MV Agusta F4, die dann kam, war auch ein Meisterwerk. Ach, es gibt so viele wunderbare Beispiele. Die Aprilia Moto 6.5 von Philippe Starck, wo mal ein Designer ein Fahrzeug gemacht hat, der sich eigentlich auf Industrie-Design und Architektur spezialisiert hat. Dieses Bike ist ja wirklich aufgeräumt und im wahrsten Sinne des Wortes eine runde Sache. Und egal, ob man dieses Fahrzeug mag oder nicht – du schaust kurz hin und kannst dich gar nicht dagegen wehren. Du bleibst da hängen, weil daran einfach so viele interessante Details sind. Oder bei Scootern, Vespa ist auch definitiv eine Design-Ikone. Aber auch ein Honda Helix zum Beispiel, dieser vollverkleidete Scooter. Der ist echt witzig und schon wieder so weird, dass ich den heute schon wieder fahren würde. Und natürlich ist unsere Boxer-GS für mich auch ein ikonisches Design seit über 40 Jahren.

Wie viel von einer ersten Skizze steckt letztlich in der Serien-Version? Ist das nicht ein Tauziehen mit allen, die daran beteiligt sind, mit Ingenieuren und anderen Kollegen?

Also das ist immer so ein Ping-Pong-Spiel mit den einzelnen Fachfraktionen. Und das ist ja genau auch das, was Design ausmacht. Da möchte ich auch mit diesem Irrglauben aufräumen, dass Design gleich Styling ist. Also Styling ist ein Teilaspekt. Das macht am Ende 5 oder 10 Prozent von so einem Fahrzeug aus. Aber Design ist ja viel mehr, nur der Begriff ist unterschiedlich konnotiert in der Gesellschaft. Das Gesamtkonzept, das ist das Design. Da gehört das Motorenkonzept dazu, das Fahrwerkskonzept, die Karosserie und eben auch das Styling.

Und doch sind es diese 5 oder 10 Prozent, auf die es dann oft auch reduziert wird.

Das ist reine Wahrnehmungspsychologie. Du siehst das Fahrzeug das erste Mal, und das Erscheinungsbild wirkt sofort auf dich – Daumen hoch, Daumen runter. So ist es mit einem Design, obwohl da wie gesagt so viel mehr drinsteckt.

Und dann kommt noch der rechtliche Rahmen dazu.

Das ist ein superwichtiger Punkt. Was glaube ich vielen Eurer Leser nicht so richtig bewusst ist, ist das Thema Homologation. Und da reden wir nicht nur über Deutschland, unsere Fahrzeuge werden ja weltweit verkauft. Das heißt, du musst alle Märkte berücksichtigen, und jeder Markt hat seine eigenen Anforderungen. Und du musst die ideale Schnittmenge daraus generieren. Auch deswegen sind teilweise die Dinge so, wie sie sind.

Man sieht ja auch immer den Unterschied zwischen Euren Concept-Bikes und der Serie. Da sieht man mal mehr, mal weniger noch die Verwandtschaft. Aber klar, der Kennzeichenträger muss halt irgendwo dran.

Da kommst du nicht drumherum, da gibt es aber auch gute Design-Lösungen. Ganz interessante Beispiele sind CE 04 oder CE 02. Die haben wir ja damals auch als Showbikes vorgestellt, und die waren schon zu 90 Prozent an dem dran, was dann auch in Serie gekommen ist. Auch das Beispiel GS Adventure: Dieses Fahrzeug hatten wir intern schon mehrfach vorgestellt, und über die Zeit waren wir echt sehr, sehr nah an dem dran, wie es mal ursprünglich entworfen wurde. Das kann schon gut funktionieren. Es hängt ein bisschen auch vom Designer und vom Team ab.

Es kommt also darauf an, wie der Designer drauf ist. Wie bist Du denn drauf? Was würdest Du denn gerne machen? Was schwebt dir noch vor?

Naja, ich glaube, ich bin tatsächlich jemand, der sich mit Revolutionen einfacher tut als mit Evolutionen. Also ich bin jemand, der gerne die Dinge hinterfragt, durchaus auch gerne zerlegt und dann ganz neu aufbaut. Aber das heißt nicht, dass ich nicht auch gerne ein evolutionäres Fahrzeug oder den Nachfolger eines Fahrzeuges designe.

Der Boxer ist ja sowas von charakteristisch für BMW. Wie schön ist es eigentlich für einen Designer, ein Motorrad drumherum zu bauen?

Also ich liebe ihn. Ich mag den Boxer wahnsinnig gerne, weil er aus meiner Sicht das Thema Motorrad auf die Spitze treibt. Der Motor ist ja das Herz eines Zweirads, und das wird eigentlich nicht besser in Szene gesetzt als bei einem Boxer. Es ist auch semantisch so ein wahnsinnig cooles Ding: Das, was heiß ist, das hängst du in die Luft. Also die Zylinder nach draußen zu setzen, aus der Karosserie heraus, damit sie gekühlt werden können, das ist eine fantastische Geschichte. Deswegen habe ich ehrlich gesagt niemals Probleme damit gehabt, dem Boxer ein neues Gewand zu geben oder das mit einer Karosserie zu versehen.

Jetzt kommen ja 2 Liter Hubraum auf den Boxer zu, irgendwo müsst Ihr das ja aufnehmen, und das steht ja leider nicht gerade in der Stromlinie.

Ich sehe da überhaupt keinen Widerspruch. Dieser Boxer-Motor, das ist eine Ikone, die einfach kultiviert gehört und die uns hoffentlich noch lange, lange begeistern wird.

Video: Vorstellung: BMW ASA - Neue Automatik für die BMW R 1300 GS

Werden Motorräder tendenziell größer? Oder doch eher kleiner?

Letztendlich werden die Fahrzeuge immer mehr mit neuer Technik aufgerüstet. Zum Beispiel Radar. Es werden aber auch alte Techniken durch neue ersetzt, wie zum Beispiel LED-Scheinwerfer, die weniger Platz und Bauraum erfordern. Andererseits kommen auch Zusatzfunktionen hinzu, die raumfordernd sind. Und das müssen wir entsprechend mit in das Fahrzeug integrieren. Da ist es aus meiner Sicht wichtig für uns als Designer, dass wir dann auch diese Flexibilität haben, von bekannten Sehgewohnheiten abzuweichen und das zuzulassen. Aber genauso ist dann auch der Käufer oder unser Publikum aufgefordert, sich auf dieses Spiel einzulassen. Man muss den Dingen auch die Zeit geben, dass sie sich entfalten können und dass sie sozusagen in die Sehgewohnheit übernommen werden. Wichtig ist es, dass wir versuchen, Mehrfach-Funktionalitäten in die Bauteile zu bekommen. Denn am Ende des Tages muss ein Fahrzeug auch ein attraktives Gewicht und Volumen haben, damit es als zugänglich empfunden wird.

Eine abschließende Frage: Welches Bauteil macht Dir die größten Sorgen, wenn Du an ein Motorrad rangehst? Wir hatten ja schon über gesetzliche Rahmenbedingungen gesprochen, und der Auspuff ist so ein immer wiederkehrendes Thema…

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Die an ein Motorrad gestellten Geräuschanforderungen werden immer herausfordernder. Und deswegen ist es mir wichtig, die höheren Schalldämpfervolumina ideal zu verpacken. Man sieht ja jetzt schon die Tendenz, dass so ein Schalldämpfervolumen aufgesplittet wird in Vorschalldämpfer und Endschalldämpfer. Du brauchst als Designer diese Flexibilität, dich da zu öffnen und mit dieser Situation dann eben auch kreativ umzugehen.

Hier gibt's das gesamte Interview als Podcast zum Nachhören:  © Motorrad-Online

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