Entgegen anderslautenden Medienberichten attestiert auto motor und sport auf Basis umfangreicher und aufwendiger Einzel- und Vergleichstest Fahrzeugen aus China bestenfalls durchschnittliche Eigenschaften. Modelle der Marke Nio, BYD, Great Wall Motors und MG weisen weder besonders effiziente Antriebe, außerordentliche Lade-Performance, harmonische Fahreigenschaften noch brillante digitale Features und eingängige Bedienung auf.
Handelt es sich also um schlechte Produkte? Nein, denn keines der Fahrzeuge fiel bislang durch. Zwar ging beim ersten Test der Polestar 2 während einer Verbrauchsfahrt der Antrieb einfach aus und jüngst verweigerte ein Smart #1 Brabus die Beschleunigungsmessung. Im weiteren Verlauf funktionierten Polestar-Modelle allerdings problemlos und Smart berichtet nach eingängiger Prüfung des Testwagens von einem Fehler am Fahrpedal, will ihn zum Nachtest schicken.
Bei klassischen Tugenden haben die Etablierten Vorteile
Insgesamt zeigt sich allerdings, dass die Modelle chinesischer Hersteller offenbar weniger sorgfältig abgestimmt werden als die der etablierten Konkurrenz. So fehlt es beispielsweise dem Nio ET7 an einem ordentlichen Federungskomfort, obwohl er das in diesem Segment bieten sollte. Nio selbst erklärte gar den Porsche Taycan als klaren Gegner des ET7. Im Vergleichstest stellte sich jedoch heraus, dass die Fahrdynamik nicht ansatzweise das Niveau des Porsche erreichte.
Sowohl die Effizienz des Antriebs als auch der gesamte Fahrkomfort blieben hinter den Erwartungen zurück, die Bedienung erwies sich als komplex, die Assistenzsysteme als recht übergriffig (also ebenfalls nicht akribisch appliziert). Die im Einkauf extrem teure und umfangreiche Sensorik des Nio (Insider sprechen von Kosten in Höhe von etwa 15.000 Euro) nützt ihm also ebenso wenig wie die bei Continental eingekaufte Luftfederung, denn beides ist unzureichend abgestimmt. In Summe ergab der 1.000-Punkte-Test eine bemerkenswert hohe Differenz von 81 Punkten.
Im Test schwächeln auch chinesische Kompaktwagen
Also schlägt die Stunde der Chinesen in den günstigen Segmenten, beispielsweise bei den Kompakten? Nein, denn auch hier stellen sich schnell einige Schwäche heraus. Ein Vergleichstest zwischen BYD Dolphin, Great Wall Motors Ora 03, Curpa Born und Opel Astra Electric zeigt, dass hier ebenfalls die Fahrzeuge aus China den Eindruck hinterlassen, nicht konsequent zu Ende entwickelt worden zu sein.
Ganz gleich ob Ergonomie, Sitze, Abstimmung von Lenkung und Fahrwerk, aber auch die Effizienz des Antriebs und der Ladeleistung: Opel und Cupra zeigen, wie es richtig geht. Hinzu kommt, dass der BYD mit einem Bremsweg von 38,4 Metern aus 100 km/h bemerkenswert schlecht verzögert. Der Ora benötigt 38,0 Meter. Die etablierte Konkurrenz? 33,1 Meter der Cupra, 35,9 Meter der Opel. Da wirken die Übersetzungsfehler im Infotainmentsystem sowie die mangelnde Heizleistung und die Geräusche aus der Lüftung beim BYD eher wie eine Randnotiz. Das Ergebnis: Ein Punkterückstand von 97 Zählern auf den Sieger (Cupra Born) und 82 auf den Zweitplatzierten (Opel Astra Electric).
Chinesische Schwächen: Assistenzsysteme, Infotainment, Laderoutenplanung
In diesem Zusammenhang relativiert sich überdies das Preisniveau der neuen Player. Gemessen an dem, was sie können, sind sie schlicht zu teuer. Das gilt selbst für den MG4, der sich im Vergleichstest gegenüber dem Kia Niro EV beweisen musste – und noch am besten von allen chinesischen Modellen abschnitt. Am Ende siegt der Kia mit kleinerem, aber deutlichem Vorsprung von 36 Punkten. Immerhin überzeugt beim MG4 die Kombination aus vergleichsweise niedrigem Verbrauch und kurzer Ladezeit.
Vor allem zeigt keines der aktuell getesteten chinesischen Fahrzeuge eine herausragende Leistung in Eigenschaften, die stark softwarebasiert sind. Dazu zählen beispielsweise das Infotainment-System oder die Fahrer-Assistenzsysteme. Stattdessen gibt es oft Ausfälle einzelner Systeme oder es fehlt schlicht Grundlegendes, wie die für E-Fahrzeuge unerlässliche Laderoutenplanung. Das sieht übrigens auch der ADAC so, der in einer aktuellen Auswertung zu dem Schluss kommt: "Bei den Assistenzsystemen. Verkehrszeichenerkennung, Spurhalte- und Abstandssysteme ein wiederkehrendes Manko" sah. Die Systeme "funktionierten oftmals nur unzuverlässig".
"Auch bei der Bedienung läuft nicht immer alles reibungslos, was vor allem an der starken Fokussierung auf Touchscreens liegt. Komplexe Menüstrukturen in Kombination mit teils träge reagierenden Displays, Softwarefehlern und falschen Übersetzungen sorgen immer wieder für Probleme bei der Steuerung von Klimaanlage, Navigation oder Entertainment", so der Automobilclub weiter. Hier hätte auto motor und sport einen deutlichen Vorsprung für die als Software-affin bekannten chinesischen Produkte erwartet.
Billig ist nicht günstig
Nach den umfangreichen, objektiven Vergleichstests jedoch ergibt sich nun ein anderes, wenngleich sehr klares Bild: Es gibt noch viel zu tun für die neuen Wettbewerber aus China. Die nominell oft günstigeren Preise können die aktuell zu beobachtenden Schwächen aus auto-motor-und-sport-Sicht nicht ausgleichen, zumal sie sich womöglich ungünstig auf das Restwertverhalten der Fernost-Fahrzeuge auswirken dürfte. Da der Wertverlust unterm Strich der größte Kostenfaktor für Autokäufer ist, relativeren sich die vergleichsweise günstigen Kaufpreise.
Hinzu kommt bei chinesischen Autobauern ein teils dünnes Händlernetz. Der Betrieb in der Nähe ist für viele Käufer immer noch erster Ansprechpartner, wenn es um Garantie, Wartung oder gar Defekte und Fahrzeugwechsel geht. Wer hier lange nach Kontakten suchen muss oder Zeit in Warteschleifen verbringt, zahlt am Ende auch drauf. © auto motor und sport
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