Die Grundidee von Circunomics klingt so einfach wie überzeugend: Warum eine ausgediente Elektroauto-Batterie aufwendig recyclen, um einen überschaubaren Teil der Inhaltsstoffe wiederzuverwenden, wenn man den kompletten Alt-Akku einfach noch ein paar Jahre weiternutzen kann? Dann nicht mehr in einer anspruchsvollen Anwendung wie dem E-Auto, sondern beispielsweise in einem stationären Groß-Speicher zur Netzstabilisierung. Dort kann selbst ein Akku, der nicht mehr genug Reichweite für ein E-Fahrzeug aufweist, noch eine ganze Zeit lang unter entspannten Temperatur- und Last-Bedingungen seiner Speicherarbeit nachgehen.
Die Kilowattstunde zum halben Preis
Die Verwendung von günstigen Gebraucht-Akkus spart Betreibern von stationären Speicheranlagen viel Geld: Statt 130 bis 150 Euro pro Kilowattstunde Energieinhalt bei neuen Batterien sind es bei Gebrauchtzellen nur 60 bis 80 Euro/kWh. Die entspannten Lade- und Temperatur-Bedingungen in einer stationären Anwendung verlangsamt die fortschreitende Alterung der Zellen. Und das Klima profitiert auch gleich noch mit. So entfallen auf die Produktion einer Antriebsbatterie derzeit noch 30 bis 50 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes eines Elektroautos – also für den Bau des Fahrzeugs plus Stromerzeugung für die Ladevorgänge während der Nutzung. Wird ein Akku nach beispielsweise acht Jahren im Auto nochmals acht Jahre stationär verwendet, reduziert er damit seinen CO2-Fußabdruck grob auf die Hälfte. Statt zu versuchen, die Chemikalien der Batterie wiederzuverwenden, will Circunomics lieber die übrig gebliebenen Kilowattstunden recyclen.
KI errechnet den Gesundheitszustand der gebrauchten Batterien
Daher hat Circunomics einen Online-Marktplatz entwickelt, auf dem Autohersteller ausgediente Antriebsbatterien an Industriekunden wie Speicherpark-Betreiber verkaufen können. Das große Problem bei ausrangierten Batterien ist jedoch, dass keiner so richtig sagen kann, wie viel vom ursprünglichen Energieinhalt sich noch erhalten hat, sprich wieviel Leben noch in den Zellen steckt. Um zu sicheren Werten zu kommen, müsste jeder einzelne Akku aufwendigen Lade- und Entlademessungen unterzogen werden, was sehr viel Zeit, Platz und Geld kosten würde. Daher hat das Circunomics-Team um die Firmengründer Jan Born und Felix Paul Wagner ein KI-basiertes Verfahren entwickelt, das den Gesundheitszustand (State of Health, kurz SoH) eines Akkus aus den Daten der Batteriesteuergeräte berechnet.
Wird ein Akku im Auto betrieben, fallen permanent technische Daten an wie die Anzahl und Intensität von Ladevorgängen, aber auch Temperatur- oder Spannungsverläufe während der Fahrt oder beim Parken. Diese Daten werden entweder im Auto gespeichert oder in regelmäßigen Abständen per Internetverbindung auf die Server der Hersteller gefunkt. Eine mit entsprechenden Vergleichsdaten trainierte KI kann aus solchen Daten den Gesundheitszustand des Akkus in Prozent errechnen. Ein Akku mit 70 Prozent SoH ist in der Lage, noch 70 Prozent seines ursprünglichen Energieinhaltes zu speichern.
Kein zweites Ebay für Alt-Akkus
Ohne die technischen Daten aus seiner Nutzungszeit ist der Akku für die problemlose Weiterverwendung unbrauchbar, weshalb Circunomics auch kein zweites Ebay für Altakkus werden möchte, sondern sich ausschließlich an Hersteller wendet. Diese können vor dem Ausbau des Energiespeichers nämlich die Daten aus den Steuergeräten oder Servern auslesen und mit der eigens entwickelten Software von Circunomics den SoH berechnen. Anschließend wird die Batterie auf dem Online-Marktplatz angeboten, wo sie von Großabnehmern geordert werden kann.
KI findet den optimalen Einsatzzweck
Künstliche Intelligenz kommt auch hier zum Einsatz: Nicht jeder Alt-Akku eignet sich gleich gut für alle Anwendungsfälle: So sind zur Netzstabilisierung nur kurze und wenig intensive Lade- und Entladevorgänge von Nöten, während die Speicherung von regenerativ erzeugtem Strom die Zellen stärker beansprucht. Mit Hilfe von Methoden Künstlicher Intelligenz werden die zum Abnehmer passenden Stromriegel ausgesucht und vermittelt.
Der Marktplatz von Circunomics lief 2022 an und konnte 2023 im ersten vollen Geschäftsjahr bereits Akkus mit einem Gesamt-Speichervolumen von 280 Megawattstunden vermitteln. Zwei große Autohersteller machen schon mit und verkaufen Akkus, die nicht mehr mobil eingesetzt werden können. Doch das soll nur der Anfang sein: Die 2023 gestartete Batterieinitiative der EU macht den Herstellern nämlich schon heute Vorschriften, wie sie mit den vielen Lithium-Ionen-Batterien umgehen müssen, die in den nächsten Jahren produziert werden. Ab 2027 benötigt jede einzelne Batterie einen Batteriepass. Der Pass enthält Informationen über die Herkunft des Rohmaterials, die Herstellung, die Kapazität und den Zustand der Batterie. Ab 2030 müssen 70 Prozent der Batteriebestandteile wiederverwendet werden. Das Ziel ist eine möglichst lückenlose Kreislaufwirtschaft aller Bestandteile. Wer sich für das Recyclen von Batterien interessiert, dem sei unser Podcast mit der Expertin Kim Kreiskoether von der RWTH Aachen empfohlen. Recycling-Quoten von 70 Prozent oder mehr sind heute noch nicht umsetzbar, vor allem, was das begehrte Aktivmaterial im Inneren der Zellen betrifft. Umso besser also, wenn der Akku vor seiner Zerlegung noch ein paar Extra-Schichten schiebt. © auto motor und sport
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