General Motors verabschiedet sich aus dem Geschäft für autonom fahrende Robotaxis. Damit wird das ehemalige Prestige-Projekt "Cruise" zum Milliardengrab.
General Motors hat bei seiner Tochter Cruise den Stecker gezogen. Damit reagieren die Amerikaner nicht nur auf die immer härter umkämpfte Situation auf dem Robotaxi-Markt, sondern auch auf die Schwierigkeiten nach dem Unfall im Herbst 2023. Damals wurde eine Frau in San Francisco mehrere Meter von einem autonomen Taxi mitgeschleift. Sie überlebte schwer verletzt. Doch der damalige Cruise-Chef Kyle Vogt trat zurück. Auch der Chief Operations Officer Dan Kan musste gehen – beide hatten die Firma mitgegründet.
Video: Im Video: Tesla Robotaxi
In den folgenden Monaten strich GM bereits die Entwicklungsgelder rigoros zusammen. Dennoch lagen die Verluste in Milliardenhöhe. Den massiven Investitionskürzungen war für Cruise ein Entzug der Testzulassung in Kalifornien vorausgegangen. Vollautonom fahrende Fahrzeuge von Cruise hatten in San Francisco mehrfach pro Tag Rettungsfahrzeuge blockiert oder durch ruckartiges Bremsen Auffahrunfälle verursacht. Zum Unfall mit der Fußgängerin sollen Cruise-Verantwortliche gegenüber US-Ermittlungsbehörden zudem wichtige Details zurückgehalten haben, was zum Lizenzentzug geführt hatte (mehr dazu weiter unten). Daraufhin hatte Cruise seinen Testbetrieb komplett eingestellt sowie die Produktion des Robotaxis Origin pausiert.
Know-how wird genutzt, Mitarbeiter werden verteilt
Jetzt bekommt die für die Erforschung des vollautonomen Fahrens zuständige Abteilung neue Aufgaben. Die Mitarbeiter sollen ihre Erfahrungen in anderen Bereichen des GM-Konzerns einbringen. Künftig wird es autonom fahrende GM-Modelle wohl nur noch in Privathand geben. Damit überlässt General Motors das Robotaxi-Feld dem größten Konkurrenten Waymo. Die Google-Tochter chauffiert Fahrgäste bereits durch mehrere amerikanische Städte wie San Francisco, Los Angeles oder Phoenix.
Waymo verwendet hauptsächlich umgebaute Jaguar iPace als Robotaxis. Laut eigenen Aussagen kommen diese Autos bereits auf wöchentlich 150.000 Fahrten mit Passagieren an Bord. Übrigens gibt es noch mehr Konkurrenten, die wegen der milliardenschweren Investitionen aber hauptsächlich von den gigantischen Tech-Unternehmen finanziert werden. Amazon beispielsweise hat dafür die Firma Zoox gegründet. Apple hat sich dagegen mittlerweile aus dem Geschäftsfeld zurückgezogen.
GM Cruise-Robotaxi "Origin" im Detail
Produziert hatte GM die eigenen Robotaxis Origin in der Factory Zero in Detroit-Hamtramck. Der Origin ist ein von vornherein auf vollautonomes Fahren ausgelegtes Auto, das kein Lenkrad und keine Pedale hat – es gibt nicht mal einen Platz für den Fahrer. Mit dem zum Robotaxi umgebauten und bis vor kurzem eingesetzten Chevrolet Bolt hat der busförmige Origin nichts zu tun. Bisher hat GM nach eigenen Angaben nur eine kleine Zahl von Vorserien-Origin hergestellt – dabei sollte 2023 die Serienproduktion anlaufen. Das Großraum-Taxi hat GM zusammen mit Honda entwickelt – eine Erprobung sollte ab 2026 auch in Japan stattfinden.
Robotaxi-Betrieb personalintensiv und teuer
Nachdem die GM-Robotaxi-Tochter Cruise ihre Testfahrten komplett ausgesetzt hat, kommen auch Informationen zu den Betriebskosten des Dienstes ans Licht. Die New York Times berichtete schon 2023, dass GM pro Quartal circa 600 Millionen Dollar in die Erprobung pumpen musste – das sind aktuell umgerechnet circa 562 Millionen Euro. Gegenüber den Vorjahreskosten bedeutet dies eine Steigerung um 42 Prozent. Jedes Robotaxi hat GM 150.000 bis 200.000 Dollar (140.500 bis 187.333 Euro) gekostet. Zur Einordnung: Der als Basisfahrzeug eingesetzte Chevrolet Bolt kostet als Neuwagen aktuell 27.000 Dollar (25.290 Euro).
Video: Das kann die Verne Robotaxi-App
Heruntergerechnet kamen auf jedes Robotaxi bei Cruise 1,5 Angestellte. Und die Angestellten hatten gut zu tun: Alle vier bis zehn gefahrene Kilometer hat ein Robotaxi ein derart schweres Problem gemeldet, dass die Angestellten eingreifen mussten. Von vollautonomer Fahrt waren die Taxis also weit entfernt. Ferner hatten die Cruise-Verantwortlichen eine Anwaltskanzlei beauftragt, das Verhalten des Unternehmens bei einem schweren Unfall zu untersuchen. Angeblich hatten Cruise-Mitarbeiter nach einem schweren Unfall (siehe fünfter Absatz) den Ermittlungsbehörden nicht sämtliche verfügbaren Daten, darunter belastendes Filmmaterial, zur Verfügung gestellt.
Cruise-Insider zweifelten am Projekt
Sowohl die California Highway Patrol als auch das DMV untersuchten den Fall. Beide Behörden sollen von Cruise unvollständiges Videomaterial zu dem Vorfall erhalten haben – der Teil mit dem Wiederanfahren nach dem Unfall fehlte. Vom zweiten Teil des Videos hatte die DMV erst von einer weiteren ungenannten Regierungsbehörde erfahren. Das DMV betonte: "Wenn ein unverhältnismäßiges Risiko für die öffentliche Sicherheit besteht, kann das DMV Genehmigungen sofort aussetzen oder widerrufen. Es gibt keine festgelegte Zeit für eine Aussetzung". Seit Juni 2022 durfte Cruise vollautonome Fahrzeuge im kalifornischen San Francisco testen. Inzwischen waren auch Cruise-Fahrzeuge in Seattle (Washington), Washington D.C. und Austin (Texas) unterwegs.
Die New York Times zitierte schon damals Cruise-Insider, die davon ausgingen, dass der Robotaxi-Anbieter die Probleme nicht schnell beheben kann. Eigentlich wollte Cruise in Kürze auch mit Tests in Japan beginnen – dieser Testbetrieb dürfte inzwischen ebenso vom Tisch sein. GM-Geschäftsführerin Mary Barra ging lange davon aus, dass Cruise 2030 bereits 50 Milliarden Dollar (46,83 Milliarden Euro) Umsatz erwirtschaftet.
Vier Unfälle mit Fußgängern bekannt
In San Francisco waren vier Vorfälle bekannt, in denen Robotaxis der Firma Cruise Fußgänger angefahren hatten. Daraufhin mussten mindestens zwei Fußgänger ins Krankenhaus. Über zwei der Vorfälle sind bei der US-Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA (National Highway Traffic Safety Administration) Meldungen eingegangen, von zwei weiteren hatte die Behörde über Internetvideos erfahren. Beamte untersuchten die Unfälle gründlich.
Der eingangs erwähnte Unfall ist möglicherweise der bisher schwerste: Dabei hat ein Robotaxi der GM-Tochter Cruise bei Dunkelheit auf der zentralen Marketstreet an einer roten Ampel gewartet. Als die Ampel für die Fahrzeuge auf Grün geschaltet hat, ist das Cruise-Taxi losgefahren. Zu diesem Zeitpunkt hat eine Fußgängerin die Fahrbahn betreten, woraufhin sie ein mit einem menschlichen Fahrer besetztes Auto gestreift hat. Dadurch stürzte die Fußgängerin vor das unbesetzte Taxi, das trotz einer Vollbremsung nicht mehr rechtzeitig anhalten konnte. Die Frau geriet unter das Taxi, Feuerwehrleute mussten sie mit Spezialwerkzeug befreien. Die schwer verletzte Frau kam in ein Krankenhaus – der menschliche Fahrer beging Unfallflucht. Erst eine Woche später kam heraus, dass das Cruise-Robotaxi nochmal angefahren ist und das Unfallopfer noch einige Meter mitgeschleift hat.
Häufiges Blockieren von Rettungswegen
Cruise und Waymo durften in San Francisco kostenpflichtige Fahrten in vollautonomen Fahrzeugen anbieten – trotz lauter Kritik der Stadt-Feuerwehr, die bereits 75 Vorfällte mit Robotaxis registriert hatte. Die Feuerwehrleute weisen auf zahlreiche Vorfälle hin, in denen Robotaxis Rettungsarbeiten behindert haben – im Schnitt soll es täglich zu drei solcher Behinderungen kommen. Außerdem ist bereits ein Feuerwehrauto mit einem Cruise-Taxi kollidiert. Anfang September 2023 sollen zwei Cruise-Taxis einem Rettungswagen den Weg blockiert haben – dies soll dazu beigetragen haben, dass die zu rettende schwer verletzte Person nicht überlebt hat. Daraufhin durfte Cruise nur noch 200 anstelle von 400 Robotaxis in San Francisco testen. Kreuzungsblockaden von zusammengerotteten Robotaxis gab es inzwischen bereits mehrere. Einige Einwohner von San Francisco fühlen sich anscheinend von den autonomen Robotaxi-Flotten terrorisiert. Sowohl gegen Fahrzeuge von Cruise als auch von Waymo gab es nach US-amerikanischen Medienberichten schon Sabotage-Versuche – beispielsweise durch das Aufstellen von Verkehrskegeln an dafür nicht vorgesehenen Orten. © auto motor und sport
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.