Bis 2050 soll der Ausstoß an Treibhausgasen in der EU auf Null gesenkt werden – das ist das zentrale Element der europäischen Klimastrategie "Green Deal". Als wichtigstes Zwischenziel für diesen Marathon gilt die drastische Senkung der CO₂-Emissionen im Verkehrs-Sektor. So soll die Neuwagenflotte bis 2035 komplett auf emissionsfreie Antriebe umgestellt sein. Aber noch immer tragen drei Viertel aller neu in der EU zugelassenen Pkw einen Verbrenner unter der Haube. Der Wandel sei laut dem Europäischen Rechnungshof – dem luxemburgischen Kontrollorgan der Brüsseler EU-Politik – kaum mehr zu schaffen.
"Wir müssen mit Bedauern feststellen, dass die meisten herkömmlichen Autos trotz ehrgeiziger Ziele und strenger Anforderungen immer noch so viel CO₂ ausstoßen wie vor 12 Jahren," sagt Nikolaos Milionis, Mitglied des Europäischen Rechnungshofs. Zwar sind die Motoren effizienter geworden, doch würde das durch immer schwerere Autos (im Schnitt rund 10 %) und immer leistungsstärkere Motoren zunichtegemacht.
EU-Politik soll Pläne anpassen
Offiziell haben sich EU-Parlament und Kommission dazu verpflichtet, die Klimaschutzpläne im Jahr 2026 noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Doch der Europäische Rechnungshof veröffentlichte bereits in den vergangenen Jahren immer wieder Untersuchungsberichte, aus denen hervorgeht, dass längst die ersten Zwischenziele verfehlt wurden. Nachbesserungen wären jetzt dringend nötig.
Dabei kritisieren die Luxemburger primär die starke Abhängigkeit von importierten Rohstoffen aus Drittländern sowie die industrielle Unabhängigkeit von Staaten wie China oder der Republik Kongo. "Die EU muss sicherstellen, dass sie ihren Ehrgeiz beim Klimaschutz nicht mit einer Schwächung ihrer industriellen Souveränität bezahlt. Auch sollte die Erreichung der Klimaziele die Bürgerinnen und Bürger finanziell nicht überfordern," heißt es in der Erklärung. Die USA schafften beispielsweise mit einem gigantischen Förderprogramm – dem sogenannten "Inflation Reduction Act" – ein fruchtbareres industrielles Klima für Zukunftstechnologien.
Elektroautos sind eine Zwickmühle für die EU
Die Prüfer stellten fest, dass batteriebetriebene Elektrofahrzeuge entscheidend sind beim ehrgeizigen Streben nach einer emissionsfreien Fahrzeugflotte. Doch die europäische Batterieindustrie sei im globalen Wettbewerb zurückgeblieben. Weniger als 10 % der weltweiten Batterieherstellung erfolgten hier. Und dabei handele es sich zumeist um außereuropäische Unternehmen. Weltweit produziere China mit 76 % aller Fahrzeugbatterien den Löwenanteil.
"Elektroautos können in der Tat zu einem doppelten Dilemma für die EU werden: zwischen ökologischen Prioritäten und Industriepolitik und zwischen Umweltzielen und den Kosten für die Verbraucher," sagt Annemie Turtelboom, Mitglied des Europäischen Rechnungshofs.
Ein besonderes Hindernis für die Batterieindustrie der EU stelle ihre starke Abhängigkeit von Rohstoffeinfuhren aus Drittländern dar, mit denen sie keine geeigneten Handelsabkommen geschlossen hat. So stammten 87 % der Rohlithium-Importe in die EU aus Australien, 80 % der Mangan-Importe aus Südafrika und Gabun, 68 % des Rohkobalts aus der Demokratischen Republik Kongo und 40 % des Graphits aus China. Die Abhängigkeit von Einfuhren von stark nachgefragten Rohstoffen führe nicht nur zu Kostenzwängen. Ebenso seien viele der Ursprungsländer innenpolitisch instabil oder stellten für die strategische Autonomie Europas sogar geopolitische Risiken dar. Hinzu kämen soziale und ökologische Bedingungen, unter denen diese Rohstoffe abgebaut werden.
Zu wenige öffentliche Ladepunkte
Um den Markt für Elektroautos zu fördern, fehle es laut Europäischem Rechnungshof auch an einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur. Die sei gerade erst in Deutschland, Frankreich und den Benelux-Ländern akzeptabel. Ganz Europa mit einem Elektroauto zu durchqueren, sei allerdings immer noch schwierig. Vor allem in Ost-Europa mangelt es an Ladepunkten.
Plug-in-Hybride sind Mogelpackung
Dazu stellten die Prüfer des Rechnungshofs fest, dass Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge nach wie vor als "emissionsarm" eingestuft werden. Dabei würden die unter Laborbedingungen gemessenen Emissionen und die Emissionen auf der Straße um durchschnittlich 250 % auseinander liegen. Für das Klima und die Schutzziele handele es sich bei dieser Fahrzeug-Kategorie um eine Mogelpackung, wenn sie nicht entsprechend genutzt werden.
Tatsächlich wird die Kombination aus E-Motor und Verbrenner bei Plug-in-Hybriden von vielen Dienstwagenfahrern nicht effizient genug genutzt. Wird der Akku beispielsweise nie am Stecker geladen, verbrauchen die Fahrzeuge oft deutlich mehr als konventionell angetriebene. Von den geschönten Verbrauchsangaben aus dem WLTP-Zyklus werden diese Fahrzeuge nur träumen können.
Alternative Kraftstoffe nicht tragfähig
Die Umweltfreundlichkeit von Biokraftstoffen werde laut Europäischem Rechnungshof überschätzt. Für Biokraftstoffe seien Rohstoffe erforderlich. Durch deren Erzeugung könnten Ökosysteme aus dem Gleichgewicht geraten, und die Produktion könne sich nachteilig auf die biologische Vielfalt, die Boden- und die Wasserqualität auswirken. Es stelle sich die ethische Frage, ob die Erzeugung von Kraftstoffen Vorrang vor der Erzeugung von Lebensmitteln haben sollte. Zudem reiche die im Inland erzeugte Biomasse nicht aus, um eine ernsthafte Alternative zu herkömmlichen fossilen Brennstoffen sein zu können.
"Da sie nicht flächendeckend verfügbar sind, stellen Biokraftstoffe keine zuverlässige und glaubwürdige Alternative für Autos dar", so Nikolaos Milionis, Mitglied des Europäischen Rechnungshofs. Andere alternative Kraftstoffe wie E-Fuels oder Wasserstoff würden häufig als potenzielle Nachfolger von Benzin und Diesel genannt. Die EU-Prüfer bemängeln jedoch, dass ein klarer und stabiler Fahrplan zur Bewältigung der langfristigen Probleme der Branche – verfügbare Brennstoffmenge, Kosten und Umweltfreundlichkeit – fehle. © auto motor und sport
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