Nach vielen Jahren äußert sich der ehemalige VW-Vorstandschef Martin Winterkorn am Mittwoch (14. Februar 2024) erstmals wieder zu seiner Rolle im VW-Abgasskandal. Anlass ist ein Verhandlungstag im Rahmen des bereits seit 2018 laufenden Kapitalanleger-Musterverfahrens (KapMug) gegen Volkswagen und die Dachgesellschaft Porsche SE vor dem Oberlandesgericht Braunschweig. In diesem Zivilverfahren werfen die Anleger die Frage auf, welche Konzernverantwortlichen wann von den Abgasbetrügereien wussten. Das ist entscheidend für die Frage, wann die Öffentlichkeit nach dem Wertpapierhandelsgesetz hätte informiert werden müssen. Die Klägerinnen und Kläger wollen dadurch Entschädigungen für ihre Verluste erreichen. Insgesamt geht es um etwa 4,4 Milliarden Euro.

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Winterkorn sagt darin als Zeuge aus. In einer ersten persönlichen Erklärung zum Start der Verhandlung wies Winterkorn die Schuld für den Dieselskandal von sich. Der heute 76-Jährige sei in die Entscheidung, Entwicklung und den Einsatz der verbotenen Abschalteinrichtungen "nicht eingebunden" gewesen, sagte der Ex-VW-Chef dem NDR zufolge. "Ich habe diese Funktion weder gefordert noch gefördert oder ihren Einsatz geduldet", wird Winterkorn bei "merkur.de" zitiert. Er habe erst "sehr spät" und "zunächst nur unvollständig" von Problemen mit den US-Behörden erfahren, ergänzte er laut dpa. Hätte er von dem millionenfachen Betrug im Konzern gewusst, so Winterkorn weiter, "hätte ich nicht gezögert, die Vorgänge aufzuklären." Notfalls wäre er selbst in die USA geflogen, um mit den Behörden zu sprechen.

"Wenig glaubhaft und erhellend"

Die Anwälte der Klägerseite zeigen sich von seiner – auf vorerst zwei Tage angesetzten – Aussage bisher wenig begeistert. Sie sei wenig glaubhaft und erhellend. Zudem verweist der ehemalige Automanager immer wieder auf Erinnerungslücken und gab an, keine Fragen zu beantworten, die den Zeitraum zwischen dem 27. Juli 2015 und seinem Rücktritt kurz nach Auffliegen des Dieselskandals im September desselben Jahres betreffen. Ein interessantes Detail gab "Wiko" allerdings vor Gericht zum Besten. "Welt" zufolge habe man sich 2012 im Auto-Lobbyverband VDA darauf geeinigt, dass die Abweichung beim Verbrauch zwischen Labor und Kundenanwendung nicht den Faktor drei übersteigen solle. Bedeutet: In der Autoindustrie war man sich damals schon im Klaren darüber, dass es eine Diskrepanz von Verbrauch und damit auch bei den Emissionen zwischen Prüfstand und Straße gebe.

Dass sich Winterkorn zurückhaltend äußert, kommt nicht überraschend. Denn er begibt sich mit seiner Zeugenaussage auf heikles juristisches Terrain: Was er im Kapitalanleger-Musterverfahren sagt, könnte auch in zwei Strafverfahren von Belang sein. Obwohl er sich vor diesem Hintergrund auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen könnte, wolle er dennoch aussagen, um "meine Sicht auf die Ereignisse" zu schildern.

Anklagen vor dem Landgericht Braunschweig

Einerseits wird Winterkorn vor dem Landgericht Braunschweig vorgeworfen, vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags im Januar 2017 uneidlich falsch ausgesagt zu haben. Der Staatsanwaltschaft zufolge habe er "bewusst falsche Angaben" gemacht, zu welchem Zeitpunkt er über die Manipulations-Software informiert worden war. Winterkorn hatte damals bestritten, vor dem Bekanntwerden des Dieselskandals im September 2015 von den Manipulationen an Diesel-Fahrzeugen gewusst zu haben. Inzwischen liegen laut Staatsanwaltschaft Beweise vor, der Ex-Manager habe im Mai 2015 erstmals von der Abschalteinrichtung erfahren. Zudem sei diese Thematik im Rahmen eines "Schadenstisches" im Juni 2015 Gegenstand eines Meetings mit ihm gewesen.

Ebenfalls vor dem Braunschweiger Landgericht muss sich Winterkorn wegen einer zweiten Anklage verantworten. Das Gericht hatte bereits Anfang September 2020 die Anklage wegen Betrugs zugelassen. Der damalige VW-Boss und vier weitere – teilweise ehemalige – VW-Mitarbeiter müssen sich seit September 2021 in einem öffentlichen Verfahren den Vorwürfen stellen. Neben Betrug werden den fünf Angeklagten auch noch andere Straftaten vorgeworfen. "Beide Vorwürfe treffen nicht zu", sagte Winterkorn nun bei seiner Zeugenaussage im Anlegerprozess.

Gewerbs- und bandenmäßiger Betrug

In einer Mitteilung heißt es, die Kammer habe "hinsichtlich des Angeklagten Prof. Dr. Winterkorn einen hinreichenden Tatverdacht – d. h. eine überwiegende Verurteilungswahrscheinlichkeit – wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs bejaht." Bei den übrigen Angeklagten sieht das Gericht einen "hinreichenden Tatverdacht wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs in Tateinheit mit Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall und mit strafbarer Werbung beziehungsweise wegen Beihilfe zu diesen Delikten."

Als hinreichenden Tatverdacht sieht das Landgericht Braunschweig, dass Käufer bestimmter Fahrzeuge aus dem VW-Konzern über die Abschalteinrichtungen in der Motorsteuerungs-Software getäuscht worden seien. Dazu waren die Einhaltung der Stickoxid-Emissionen lediglich auf dem Testprüfstand gewährleistet. Die Käuferinnen und Käufer hätten dadurch einen Vermögensschaden erlitten.

Gericht geht weiter als die Staatsanwaltschaft

Mit der Anklage des banden- und gewerbsmäßigen Betrugs (§ 263 Absatz 5 Strafgesetzbuch) geht die Kammer sogar einen Schritt weiter als die Staatsanwaltschaft. Sie hatte lediglich den Vorwurf eines Betrugsvergehens im besonders schweren Fall (§ 263 Absatz 1, Absatz 3 Strafgesetzbuch) erhoben. Der bandenmäßige Betrug sieht eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zehn Jahre vor, in minder schweren Fällen bis zu fünf Jahren. Der besonders schwere Betrugsfall sieht nur eine Gefängnisstrafe bis zu fünf Jahre oder eine Geldstrafe vor.

"Der Vorwurf des Betrugs betrifft insgesamt etwa 9 Millionen Fahrzeuge, die in Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika verkauft worden sein sollen. Es steht ein Vermögensschaden der Käufer in Höhe von insgesamt mehreren 100 Millionen Euro im Raum. Drei der Angeklagten wird eine Beteiligung an der Tat allerdings nicht für den gesamten Tatzeitraum, der sich von 2006 bis 2015 erstrecken soll, zur Last gelegt, sodass sich der Tatverdacht für diese Angeklagten auf entsprechend geringere Fahrzeugzahlen und Schadenssummen bezieht", so das Gericht.

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Weiterer Vorwurf: Steuerhinterziehung

Ein weiterer Vorwurf ist die Steuerhinterziehung, die etwa 6.800 Fahrzeuge betrifft, die fälschlicherweise nach "Euro 6" eingestuft sind. Diese Modelle haben zwischen 2011 und 2013 eine Kfz-Steuerbefreiung von jeweils bis zu 150 Euro erhalten. Entsprechend geht das Gericht von einem Steuerschaden von 820.000 Euro aus. Deshalb wird hier ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung angenommen. Ein weiterer Tatvorwurf ist die mittelbare Falschbekundung unter anderem wegen der unrichtigen Angaben zur EU-Typzulassung. Einen Tatverdacht der Untreue sieht das LG Braunschweig jedoch nicht. Der Termin für die Hauptverhandlung wird noch bekannt gegeben.

Hinweis: In der Fotoshow stellen wir Ihnen den aktuellen Vorstand des VW-Konzerns vor.  © auto motor und sport

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