Fisker kommt aus dem Abwärtsstrudel nicht mehr heraus. Der E-Auto-Bauer steckt mitten in der Insolvenz und muss verschiedene Rückrufe durchführen. Bei Letzteren gibt es ein Hin und Her bei der Frage, wer die Kosten übernimmt.
Es steht schlecht um den amerikanischen Elektroautobauer Fisker. Am Montag (17.6.2024) hatte Fisker im Bundesstaat Delaware ein Verfahren mit Gläubigerschutz nach Kapitel 11 des US-Insolvenzrechts beantragt. Der Schritt kündigte sich schon seit Wochen an. Vermögenswerte von etwa 500 Millionen bis eine Milliarde Dollar stünden Verbindlichkeiten zwischen 100 Millionen Dollar und 500 Millionen Dollar gegenüber.
Rückrufe bei Fisker
Zu allen wirtschaftlichen und finanziellen Problemen gesellen sich auch noch technische: Das in Manhattan Beach, Kalifornien, ansässige Unternehmen muss bei seinem Elektro-SUV Ocean (siehe Fotoshow) parallel gleich fünf verschiedene Rückrufe koordinieren. Drei davon lassen sich per Over-the-Air-Software-Update beheben: Zum Ersten kann der E-SUV anlasslos in einen Schutzmodus wechseln, was möglicherweise zu einem Verlust der Motorleistung führt. Zweitens: In Nordamerika entsprechen die Anzeigen und Warnsymbole des Ocean nicht den "Federal Motor Vehicle Safety Standards" (FMVSS) und müssen deshalb geändert werden. Und drittens kann sich die Rekuperation unerwartet verringern.
Zu allem Überfluss erfordern zwei weitere Rückrufe Werkstattbesuche seitens der Fisker-Kundschaft. Ein Kommunikationsfehler mit der elektrischen Wasserpumpe kann dazu führen, dass das Hochspannungs-Batterie-Managementsystem (BMS) in den Notlaufmodus wechselt, was einen Verlust der Antriebsleistung zur Folge hat. Außerdem können die äußeren Türgriffe defekt sein und infolgedessen klemmen oder die Türen gar nicht öffnen. Von mindestens zwei der fünf erwähnten Aktionen sind alle bisher weltweit ausgelieferten Ocean-Exemplare betroffen, also gut 11.000 Autos. Trotz seiner Insolvenz hat Fisker nun verlauten lassen, die Kosten für die Begutachtung, Ersatzteile und Reparatur selbst zu übernehmen.
Kunden sollten Kosten erst selbst tragen
Damit legt der Hersteller eine Kehrtwende hin, denn die Kundinnen und Kunden mussten kürzlich noch fürchten, auf einem Großteil der Kosten sitzenzubleiben. Fisker teilte bis Dienstag (18. September 2024) nämlich Folgendes auf seiner Website mit: "Bitte beachten Sie, dass die Arbeitskosten im Zusammenhang mit der Inspektion und Reparatur von Ihnen, dem Fahrzeugbesitzer, getragen werden müssen." Der Hersteller berief sich dabei auf sein Insolvenzverfahren und seine finanzielle Situation, die lediglich zulasse, dass der Autobauer die Kosten für die Ersatzteile tragen könne.
Zumindest in den USA hätte sich Fisker damit wohl juristisch auf Glatteis begeben. Die US-Verkehrssicherheitsbehörde "National Highway Traffic Safety Administration" (NHTSA) fordert im Falle eines Rückrufs, dass der Hersteller entweder das Fahrzeug kostenlos repariert, es durch ein identisches oder ähnliches Fahrzeug ersetzt oder den vollen Kaufpreis abzüglich einer angemessenen Wertminderung erstattet. Damit gelten in den USA kundenfreundlichere Gesetze als hierzulande. Laut ADAC gibt es in Deutschland bei einem Rückruf keine rechtliche Verpflichtung auf Übernahme der erforderlichen Reparaturkosten oder für einen Leihwagen in der Ausfallzeit. Um ihr Image und den Erfolg der Rückrufaktion nicht zu gefährden, übernehmen die Hersteller jedoch üblicherweise freiwillig die Reparaturkosten.
"Erhebliche Zweifel" an der Fortführungsfähigkeit
Die Rückrufe und all ihre Begleiterscheinungen sind ein weiterer Rückschlag in diesem an Misserfolgen für Fisker reichen bisherigen Jahr 2024. Bereits Ende Februar teilte der US-Elektroautobauer mit, dass das Unternehmen angesichts der klammen Finanzlage "erhebliche Zweifel" an der Fortführungsfähigkeit der Firma habe. Man sei zwar auf der Suche nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten, könne aber nicht garantieren, dass diese Bemühungen erfolgreich sein werden.
Nach eigenen Angaben stand man in Verhandlungen mit einem großen Automobilhersteller über eine Partnerschaft, die eine Investition in Fisker sowie die gemeinsame Entwicklung einer oder mehrerer Plattformen für Elektroautos und eine Produktion in Nordamerika umfasse. Am 1. März 2024 berichteten die Nachrichtenagenturen Reuters und Bloomberg, dass es sich bei diesem Automobilpartner um Nissan handeln könnte. Im Gegenzug für ein Investment in Höhe von 400 Millionen Dollar könnte der japanische Autobauer Zugriff auf die für den Fisker Kayak (ehemals Alaska) entwickelte Pick-up-Plattform erhalten, hieß es damals.
Verhandlungen mit Partner gescheitert
Wie Reuters mit Bezug auf Insider weiter berichtete, könnte Nissan einen eigenen sowie den Fisker Pick-up auf dieser Plattform in einem US-Nissan-Werk produzieren. Der japanische Autobauer besitzt Montagewerke in Mississippi und Tennessee. Für Nissan hätte ein Deal einen schnellen Einstieg in den US-Markt für elektrisch angetriebene Pick-ups ebnen können. Fisker hätte sich mit der Investition Zeit erkaufen können, um den Absatz seines Elektro-SUV Ocean in Schwung zu bringen. Zudem hätte Fisker noch den Serienanlauf des Elektrokleinwagens Pear finanzieren müssen, der eigentlich 2025 starten sollte.
In einer Pflichtmitteilung vom 25. März 2024 teilt Fisker allerdings mit, dass die Verhandlungen mit einem potenziellen Partner gescheitert sind. Die Aktie des Autobauers stürzte daraufhin ins Bodenlose ab. Die New Yorker Börse beabsichtigte zu diesem Zeitpunkt, der Aktie die Notierung abzuerkennen. Mit dem Scheitern der Verhandlungen verlor Fisker zudem vermutlich die Finanzierungszusage des polnischen Investmentfonds CVI, der dem Autobauer 150 Millionen Dollar aufgeteilt in vier Tranchen geben wollte, die Investition aber wohl an einen erfolgreichen Partnereinstieg geknüpft hatte. CVI ist bereits durch 2025 fällige Wandelschuldverschreibungen mit Fisker verbunden. Fisker wollte daraufhin alle strategische Optionen prüfen, darunter auch gerichtliche oder außergerichtliche Restrukturierungen oder Kapitalmarkt-Transaktionen, hieß es in der Pflichtmitteilung weiter.
Angeblich weitere Interessenten vorhanden
Laut einem Bericht von Business Insider von Ende April sollen vier weitere große Autobauer an einem Einstieg bei Fisker interessiert gewesen sein. Henrik Fisker bestätigte die Gespräche angeblich gegenüber der Belegschaft in einer Mitarbeiterversammlung. Namen wurden aber nicht genannt.
Unabhängig von den Verhandlungen mit möglichen Partnern hatte Fisker bereits am 18. März 2024 die Produktion seines aktuell einzigen Modells gestoppt. Der Elektro-SUV Ocean wurde bei Magna in Steyr gefertigt. Die Produktionsunterbrechung sollte zunächst sechs Wochen dauern. Die "Kleine Zeitung" aus Graz berichtete unterdessen, dass der anhaltende Produktionsstopp rund 1.000 Mitarbeiter bei Magna den Job kostet. Schon Ende 2023 hatte der Auftragsfertiger vom Zwei- aufs Einschichtsystem umgestellt und sich von 450 Mitarbeitern getrennt. Ende April wurden wegen schlechter Auftragslage weitere 500 Kündigungen ausgesprochen.
Magna muss Millionensumme abschreiben
In seinem Quartalsbericht vom 3. Mai 2024 vermerkte Magna darüber hinaus, dass im laufenden Jahr keine weitere Fertigung für Fisker geplant sei. Die Produktionsunterbrechung dürfte damit ein Produktionsende bedeuten. Der Auftragsfertiger beziffert die Abschreibungen und Restrukturierungskosten im Zusammenhang mit Fisker auf insgesamt 316 Millionen Dollar; 97 Millionen Dollar betreffen die Aktivitäten in Graz.
Parallel versucht Fisker, bereits gebaute Exemplare des Ocean mit riesigen Rabatten noch abzuverkaufen. Wie "Business Insider" mit Bezug auf Quellen bei Fisker berichtete, räumte der Autobauer bereits im Frühjahr 2024 seine Zentrale in Kalifornien. Mitarbeiter wurden gebeten, ihre Arbeitsplätze zu verlassen. In der ersten Mitteilung über die unsichere Zukunft von Fisker im Februar wurden bereits mögliche Kündigungen für Ende Juni angedroht. Weiteren Medienberichten zufolge geht Henrik Fisker wohl selbst nicht mehr von der Rettung seiner Firma aus. Die Insolvenz und damit das Aus des E-Auto-Bauers scheinen damit unausweichlich.
Klage wegen offener Rechnungen
Weiterer Ärger droht Fisker von anderer Seite. Nach Informationen der US-Website "Techcrunch" hat der deutsche Entwicklungsdienstleister Bertrand gegen den US-Autobauer eine Klage angestrengt, weil noch Zahlungen für Entwicklungsdienstleistungen für die Modelle Alaska und Pear offen seien. Bereits seit August 2023 wurden vereinbarte Abschläge nicht avisiert. Insgesamt stehen Zahlungen in Höhe von rund 13 Millionen Dollar aus. Der gesamte Entwicklungsauftrag wurde zu Vertragsbeginn im Mai 2022 mit 35 Millionen Dollar bewertet.
Genauso viel Geld, also umgerechnet 32,5 Millionen Euro, soll übrigens die Villa wert sein, die Firmenchef Henrik Fisker gerade zu verkaufen versucht. Sie liegt in der kalifornischen Metropole Los Angeles und bietet einen Blick auf den weltberühmten Sunset Strip zwischen Hollywood und Beverly Hills. © auto motor und sport
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