Die KTM-Krise reicht weit über Österreichs Grenzen hinaus. Ein Mittelständler aus Nordrhein-Westfalen gibt Einblick, was die KTM-Insolvenz für ihn bedeutet: MOTORRAD-Interview mit KTM-Zulieferer Brehmer, der die Lenkerarmaturen für das neue Automatik-Getriebe AMT entwickelt hat.
Nicht nur die Mitarbeiter bei Europas größtem Motorrad-Hersteller trifft die KTM-Krise hart, auch zahlreiche Zulieferer sind davon betroffen. Ihre Rechnungen werden nicht bezahlt, sie hängen in der Luft und wissen nicht, wie es weitergeht – oder ob es überhaupt weitergeht. Zudem sieht das von KTM am 29. November 2024 beantragte Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung vor, dass bei einem Gelingen der Sanierung den Gläubigern nur eine Quote von 30 Prozent angeboten wird, zahlbar innerhalb von zwei Jahren. Auf 70 Prozent ihrer offenen Rechnungen bleiben sie demnach sitzen.
Von Brehmer für KTM entwickelt: Lenkerarmaturen fürs Automatik-Getriebe AMT
Zu den KTM-Zulieferern und damit zu den zahlreichen Gläubigern gehört die deutsche Brehmer GmbH & Co. KG aus Wiehl bei Köln. Der mittelständische Betrieb mit rund 100 Beschäftigten entwickelt seit über 20 Jahren neue Produkte im Bereich Mechatronik und Elektronik, von Schaltern und Steckverbindungen über elektronische Wegfahrsperren bis hin zu Sensoren und Tarnscheinwerfern. MOTORRAD sprach mit Firmengründer Thomas Brehmer und seinem Sohn Robin Brehmer, dem kaufmännischen Leiter und Mitgesellschafter, über die Zusammenarbeit mit KTM sowie die Auswirkungen der KTM-Insolvenz auf ihre Firma.
Video: Kurz erklärt: KTM AMT Getriebe Patent und Modell
Was genau haben Sie für KTM entwickelt und produziert?
Die Lenkerschalter, die auch das automatisierte Schaltgetriebe bedienen, das KTM in seinen künftigen Modellen anbieten will. Das sind mechatronisch extrem anspruchsvolle Produkte, da geht es nicht um On/Off, sondern um Bits und Bytes. Diese Armaturen kombinieren Mechanik, Elektronik und eben auch Firm- und Software. Wir haben in die Entwicklung bis zur jetzigen Serienreife drei Jahre Forschung gesteckt, es war unser erster Auftrag von KTM.
Wann haben Sie von der KTM-Insolvenz erfahren?
Wir bekamen Ende November ein Schreiben, in dem ein Sanierungsverfahren angekündigt wurde. Von Insolvenz war da nicht die Rede. Aber am 29. November wurde ja dann der Insolvenzantrag gestellt.
War die Krise vorher für Sie nicht abzusehen?
Nein, das war bis dahin für uns unvorstellbar. Ich war kurz zuvor noch auf der Messe in Mailand, wo KTM seine neuen Modelle präsentierte. Arno Ebner von der KTM Forschungs- und Entwicklungs GmbH, die unser Ansprechpartner war und die jetzt ebenfalls insolvent ist, hat mir den Stand gezeigt. Klar habe ich mir gedacht: Hoffentlich geht das alles gut, eine Restrukturierung hatte KTM da ja bereits angekündigt. Aber mit einer Insolvenz hatte ich nicht gerechnet, erst recht nicht so schnell und in diesem Ausmaß. Man spricht ja von drei Milliarden Euro Schulden.
Video: Pit Stop for the Future_ Strengthening KTM (1080p)
Wie stark trifft Sie die KTM-Insolvenz?
Für uns ist das extrem hart. Wir stehen noch, aber wir wanken. Unser Gesamtkonstrukt ist in Gefahr. Zum Glück steht unser ganzes Team in dieser existenzbedrohenden Lage zusammen. Wir haben sofort unsere beiden Hausbanken einbezogen, denn unsere Liquidität war gefährdet, und von deren Seite haben wir vorerst Unterstützung bekommen.
Wie groß war das Auftragsvolumen von KTM, wie viel Prozent Ihrer Aufträge macht das aus?
Das Auftragsvolumen beläuft sich 2024 auf circa 1,5 Millionen Euro. Für nächstes Jahr hatten wir mit einem Volumen von 1,9 Millionen Euro gerechnet, bei einem Gesamtumsatz von gut 20 Millionen Euro.
Das sind rund zehn Prozent, das klingt gar nicht nach so viel.
Ja, aber dazu kommen die Investitionen! Wir sind im Motorradbereich ein sehr junges Unternehmen, wir haben vor vier Jahren mit dem Favoritentastenschalter der BMW K 1600 angefangen, dann kamen KTM und später Triumph dazu. Für die KTM-Lenkerschalter haben wir enorme Investitionen getätigt, sie reichen von einer neuen, hochmodernen Produktionsstraße bis hin zu einem 15-köpfigen Projekt-Team für die dreijährige Entwicklung der Schalter.
Video: Im Video: KTM-Zulieferer Brehmer
Hat KTM überhaupt schon etwas bezahlt?
Ja, eine halbe Million der rund 1,5 Millionen Euro für dieses Jahr. Circa eine Million ist also allein für 2024 noch offen.
Nun liegt die Eröffnung der Sanierung in Eigenverwaltung, also die Insolvenz, ja schon Wochen zurück. Was ist seither passiert?
KTM hat allen Ernstes die schon bezahlten 500.000 Euro von uns zurückgefordert.
Wie bitte?
Ihr habt schon richtig gehört. Die Forderung kam über die beteiligte Bank. Vielleicht ist das in einer solchen Situation ja normal, keine Ahnung. Aber ist es nachvollziehbar, wenn ich sage, dass mich das wütend macht?
Doch, durchaus. Wie hoch ist der Schaden für Sie insgesamt?
Wir sind noch dabei, das genau zu beziffern. Aber ich schätze das auf gut eine Million Euro allein für die Investitionen, mindestens. Dazu kommt noch der neue Standort, den wir für den KTM-Auftrag eingerichtet haben. Und natürlich haben wir unsererseits schon Material bei Zulieferern bestellt, beispielsweise die Wippschalter für die manuelle Betätigung der Automatik. Die wurden schon geliefert – für 100.000 Euro. Insgesamt haben wir aktuell Material für rund eine Million Euro im Zulauf, die Verträge sind nicht stornierbar. Unseren Zulieferern ist es egal, ob KTM insolvent ist, die wollen ihr Geld. Berechtigterweise.
Eine äußerst unangenehme Situation. Wie kommen Sie da wieder raus?
Wir haben glücklicherweise auch Entwicklungen aus ganz anderen Bereichen, darunter einen patentierten Infrarot-Scheinwerfer. Daher bin ich zu Rheinmetall nach Wien geflogen, dort ist deren Sitz für Militärfahrzeuge, und habe gesagt: "Uns hat ein Österreicher in Bedrängnis gebracht, es wäre schön, wenn uns andere Österreicher da wieder raushelfen." Rheinmetall ist zu unserer Erleichterung darauf eingestiegen, sonst wären wir jetzt wahrscheinlich auch schon insolvent.
Wie sind Sie denn jetzt unter all diesen Umständen auf KTM generell zu sprechen?
Da muss man ganz klar unterscheiden, um wen es geht: Auf unsere Ansprechpartner in der KTM Forschungs- und Entwicklungs GmbH lasse ich nichts kommen, das ist ein tolles Team! Wir hatten ja vorher noch nie Lenkerschalter in Serie gefertigt und dann gleich ein so extrem forderndes Projekt, bei dem wir Forschung in der Serienentwicklung betrieben haben. Das war eine sehr partnerschaftliche Zusammenarbeit. Aber Stefan Pierer ist für mich ein Hasardeur, der sich verzockt hat. Ich kenne ihn nicht persönlich, aber seine Arroganz in Interviews ist unglaublich. Selbst jetzt spricht er nur von "seinem Lebenswerk", das er retten muss – von seinem Team ist aber nie die Rede. Wegen ihm müssen allein bei uns 100 Leute Tag und Nacht arbeiten, um aus dem, was er angerichtet hat, irgendwie wieder rauszukommen. Und wenn wir nicht rauskommen, dann muss der Pierer seine Motorräder eben ohne Schalter verkaufen. Nein, im Ernst: Unsere Leute machen sich Sorgen und können nicht schlafen. Das gilt auch für mich, ich war auf diese Situation nicht vorbereitet, ich fühle mich hilflos.
Bleiben Sie der Motorradbranche trotzdem weiter treu?
Auf jeden Fall! Wir haben schließlich nicht nur das Know-how, wir haben auch das Herzblut dafür, zumal Robin und ich aktive Motorradfahrer sind. Wir haben die Lenkerschalter nicht nur in unserem akkreditierten und unabhängigen Umwelt-Simulationslabor erprobt, sondern auch selber auf der Straße, natürlich mit KTMs. Es ist einfach ein Unterschied, ob so ein Schalter für einen hochdrehenden Vierzylinder oder für einen drehmomentstarken Zweizylinder verwendet wird. Wir haben hier zwar einen hochkomplexen und 100-prozentigen Endprüfstand, aber für manche Dinge braucht man doch noch Praktiker. © Motorrad-Online
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