20.000 Kilometer kostenlos fahren. Mercedes arbeitet an einem Solarlack fürs Auto, der den Stromer laden soll, während der in der Sonne steht und fährt.

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Mercedes-Benz arbeitet an einer Beschichtung, die den altbekannten Autolack ersetzt und Energie fürs E-Auto produziert. Damit könnte der Traum vom E-Auto, das sich selbst lädt, schon bald wahr werden.

Damit das klappt, wollen die Entwickler die Fahrzeughaut in mehreren Lagen beschichten. Direkt aufs Blechkleid kommt ein Separator, der die elektrisch leitfähigen Metallteile abschirmt. Darüber wird eine Schicht mit Leiterbahnen aufgetragen. Darauf kommt dann die solaraktive Beschichtung, die für die Stromerzeugung zuständig ist. Dabei handelt es sich nicht um eine klassische Lackierung, sondern eher um eine Art Druckverfahren, mit dem die solaraktive Paste aufgetragen wird und das Auto so zum fahrenden Solarmodul macht. Als oberste Deck- und Schutzschicht wird ein transluzenter Lack aufgetragen. Der beinhaltet keine Pigmente, sondern Nanopartikel, die nur das Licht in der Wellenlänge zurückstrahlen, die zu der Farbe gehören, die das Auto am Ende haben soll. Der Rest des Lichts – und damit rund 94 Prozent seiner Energie, trifft auf die Paste und erzeugt Energie. Auch dem Wirkungsgrad schadet das nicht. Mit über 20 Prozent liegt die Solarlackierung auf dem Niveau von konventionellen Solarzellen.

Günstiger, robuster und ohne Giftstoffe

Als wäre das nicht besonders genug: Die Technik, an der Mercedes arbeitet, hat mit der konventionellen Solarzelle nur das energieerzeugende Ergebnis gemein – und bringt weitere Vorteile mit. Denn der siliziumbasierte Klassiker vom Hausdach ist sehr spröd, wenig biegsam und empfindlich gegen Stöße. Zudem ist die Herstellung sehr energieintensiv und es werden giftige Chemikalien eingesetzt. Das gilt für den Solarlack alles nicht. Laut Jochen Schmid, der das Team leitet, das den Solarlack fürs Auto entwickelt, ist die neue Technik dagegen komplett frei von Giftstoffen und deutlich umweltverträglicher als klassische Solarzellen. Zudem sei die Herstellung deutlich günstiger.

Bei all der Faszination für die Technik, bleibt die Frage, was es bringt. Denn schon die Testfahrten im Sion, dem Solarauto des gescheiterten Münchner Start-ups Sono Motors zeigten: Im Schatten hilft die beste Solarzelle nicht. Das gilt freilich auch für den Solarlack von Mercedes. Wird das Auto allerdings in der Sonne geparkt oder bewegt, steigt die Reichweite enorm. Im Jahr seien rechnerisch 12.000 Kilometer solare Fahrleistung drin, wenn man den Standort Stuttgart als Grundlage nimmt. Ausgangspunkt ist ein Verbrauch von rund 16 kWh/100 km und einer Fläche von rund 11 Quadratmetern, was etwa einem Mid-Size-SUV entspricht. Im südlicheren Peking seien rechnerisch sogar 14.000 Kilometer drin und im sonnigen Los Angeles sogar bis zu 20.000.

Das Auto als Balkonkraftwerk im Sommer

Es muss dabei allerdings festgehalten werden, dass diese Reichweiten fahrerisch nie erreicht werden wird. Durch die schwankende Sonneneinstrahlung zwischen Sommer und Winter schwankt auch die Energieproduktion übers Jahr extrem. Im Winter wird das E-Auto trotz Solarlack also regelmäßig zur Ladesäule müssen und im Sommer die verfügbare Energie nicht speichern können. Wenn bis zur Marktreife des Solarlacks allerdings das bidirektionale Laden, also Techniken wie V2G (Vehicle2Grid) verbreitet sind, könnte das E-Auto mit Solarlack zum mobilen Balkonkraftwerk werden. So könnte das Auto im Sommer beispielsweise das eigene Haus mit Strom versorgen – vorausgesetzt es parkt nicht in der Garage, sondern auf der Straße – oder noch besser auf einer unverschatteten Wiese.

Aber gerade beim Parken auf der Straße – das Problem kennen viele Autofahrer – kommt es auch einmal zu kleinen oder größeren Unfällen. Während klassische Solarzellen mit ihrer glasähnlichen Siliziumstruktur schnell brechen können, gibt sich der 5 Mikrometer dünne Solarlack unbeeindruckt, erklärt Schmid. Man plane das System ähnlich bei seiner Zeit bei Smart.

Video: Im Video: Solarlack fürs Elektroauto

Stromschlag bei Autounfall?

Die ehemalige Mercedes-Tochter sah einst großes Potenzial darin, Karosserieteile modular anzulegen und austauschbar zu machen. Ein bisschen wie die Handy-Hüllen in den frühen 2000ern. Während die Idee bei Smart nie so richtig zündete, könnte sie dem Solarlack fürs Elektroauto aber zum Durchbruch verhelfen. Denn durch einen solchen Aufbau könnten beschädigte Teile einfach ausgetauscht werden und das Auto danach direkt weiter Strom erzeugen. Aber selbst Kratzer seien kein Problem, meint der Entwickler. Dann fallen vielleicht ein paar Quadratzentimeter aus. Die Funktion wird davon aber nicht wesentlich eingeschränkt und durch die niedrige Spannung im einstelligen Volt-Bereich gehe auch keine Gefahr für Fahrer oder andere aus.

Noch steckt die Technik allerdings in den Kinderschuhen und ist noch nicht bereit für die Serie. Denn damit der Lack – und vor allem seine Funktion ins Auto integriert werden können, ist noch jede Menge Arbeit nötig.

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Deutlich weniger weit kommt der Reichweitenrekordhalter Mercedes EQXX mit seinem Solardach. Der verbraucht bestenfalls nur 7,4 kWh/100 Kilometer, hat aber auch nur ein Solardach mit konventionellen Solarzellen von 1,8 Quadratmetern. Die Bilder zum straßenzugelassenen Prototypen finden Sie in der Galerie.   © auto motor und sport

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