Im Interview spricht Verkehrsforscher Stefan Gössling über die wachsende Dominanz von SUVs: Wie Ängste im Straßenverkehr zu aggressivem Fahrverhalten führen, sie den Autokauf prägen und warum die Verkehrssicherheit aus seiner Sicht auf der Strecke bleibt.

Ein Interview

Das Auto der Zukunft ist ein Panzer – jedenfalls wenn es nach Elon Musk geht. Anfang des Monats wurden die ersten Modelle des Cybertrucks, auch "Cyberbeast" genannt, an Kunden ausgeliefert: Einen über drei Tonnen schweren Pick-up-Panzer, der angeblich schusssicher ist und wie Musk selbst sagt: "Bereit für die Apokalypse." Verkehrsexperten sehen in dem Cyberbeast eine Gefahr für alle im Straßenverkehr, die bei einem Zusammenstoß nicht in dem Wagen sitzen.

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Verkehrsforscher Stefan Gössling beunruhigt das Design des Wagens. "Autos spiegeln den Zustand der Gesellschaft wider", sagt der Autor des Buches "The Psychology of the car". In Zeiten wie diesen, in denen wechselnde Krisen wie die Corona-Pandemie, Kriege und die Klimakrise viele Menschen verunsichern, fungiere das Auto zunehmend als Schutzschild. Aber nicht nur das.

Elon Musk hat sein "Cyberbeast" als Auto der Zukunft präsentiert. Aufgrund seiner scharfen Kanten und fehlender Knautschzone sind Radfahrer und Fußgänger bei einem Unfall extrem gefährdet. Sind Autos wie das "Cyberbeast" die Zukunft auf unseren Straßen?

Stefan Gössling: Um den Wagen zu verstehen, lohnt sich der Blick nach Amerika. In den USA nimmt die Zahl der Geländewagen, Pick-ups und SUVs seit Jahren stetig zu. Das sind nicht einfach nur große Autos, sie symbolisieren eine innere Haltung. Die Menschen fahren große Autos, weil sie Angst haben. Sie wollen sich schützen.

Was meinen Sie damit konkret? Wollen die Menschen sich mit den massigen Autos besser vor Unfällen im Straßenverkehr schützen oder möglichen Umweltkatastrophen entkommen, auf die Elon Musk bei seiner Präsentation ebenfalls angespielt hat?

Beide Aspekte spielen eine Rolle, aber bleiben wir zunächst in Amerika. Dort läuft fast täglich jemand Amok. Im Jahr 2022 gab es 34.000 Verletzte und 17.686 Tote durch Schusswaffen. Die Menschen leben in den USA im Gefühl ständiger Bedrohung. Hinzu kommt, dass seit Donald Trumps Präsidentschaft eine extrem populistische und polarisierende Debatte das Land spaltet. Namhafte Politologen, wie Barbara F. Walter und Christopher Sebastian Parkery, warnen davor, dass das Land in einen Bürgerkrieg driftet. Für viele Menschen ist das beängstigend. Auf der Straße wird diese Angst in Form großer Autos sichtbar.

Also fungiert das Auto wie ein Schutzschild?

Ja. Die SUVs oder auch Pick-ups ähneln immer mehr militärischen Fahrzeugen. Das "Cyberbeast" wird auch als solches verkauft. Es gewinnt jeden Zusammenstoß und kann sogar beschossen werden, ohne dass seine Insassen zu Schaden kommen. Auf dem Land haben Autos in den USA nicht selten sogar eine Waffenhalterung. Der Wagen ist nicht nur Schutzhülle, sondern die Insassen können sich auch aus dem Wagen heraus verteidigen.

In Deutschland steigt die Zahl der SUVs auf den Straßen ebenfalls. Die neueste Studie der Unfallforscher der Versicherer (UDV) zeigt, dass die Menschen immer aggressiver im Straßenverkehr reagieren. Sehen Sie einen Zusammenhang?

Die UDV-Studie ist tatsächlich alarmierend. Immer mehr Autofahrer rasen, bremsen andere Fahrer aus, bedrängen oder drängeln. Die Fahrer sind verärgerter und aggressiver als noch in der Vorgängerstudie von 2019. Dieses Klima im Verkehr spiegelt den Gemütszustand der Republik wider. Eine Parallele zu den USA besteht insofern, dass auch bei uns politische Debatten zunehmend populistisch geführt werden.

"Die Autos werden dominanter und Fahrer aggressiver. Es gilt das Recht des Stärkeren."

Politiker aus dem konservativen Lager schüren Ängste in der Bevölkerung, indem sie mit ihrer Rhetorik eine gesellschaftliche Bedrohung durch Einwanderung, Inflation, Krieg, Klimaschutz und hohe Energiepreise befeuern. Diese Ängste werden aus politischem Kalkül geschürt. Die Reaktion darauf, den inneren Rückzug der Menschen, erleben wir dann im Verkehr: Die Autos werden dominanter und Fahrer aggressiver. Es gilt das Recht des Stärkeren.

Die Ergebnisse der UDV-Studie belegen, dass insbesondere schwächere Verkehrsteilnehmer wie Radfahrer und Fußgänger gefährdet sind. Das Miteinander auf der Straße muss also schnell besser werden. Wer muss jetzt handeln?

Die Verantwortung liegt bei der Bundespolitik, die ja auch häufig Landes- und Kommunalpolitik blockiert. Das Verkehrsministerium verfestigt im Augenblick Strukturen, die wir gesellschaftlich nicht wollen. Verkehrssysteme müssen von den schwächsten Teilnehmern her gedacht werden, nicht von den Stärksten.

Wie meinen Sie das?

Studien wie Mobilität in Deutschland zeigen, dass Autofahrer sich am sichersten im Straßenverkehr fühlen. Das ist paradox, weil sie der wichtigste Grund für die Unsicherheit anderer Verkehrsteilnehmer sind. Potenzielle Radfahrer trauen sich nicht aufs Fahrrad, weil sie sich in der Innenstadt die Fahrbahn mit Autos teilen müssen. Und unsere neue Studie zu Grundschülern im Straßenverkehr, die kurz vor der Veröffentlichung steht, bestätigt, dass Kinder sich im Verkehr sehr unsicher fühlen, und etwa an Zebrastreifen große Angst haben.

Aber an Zebrastreifen müssen Autofahrer halten und die Kinder passieren lassen!

Das stimmt. Aber Grundschüler können die Fahrer eines SUVs wegen des riesigen Wagens gar nicht mehr sehen. Was sie dagegen sehen, sind überdimensionierte Kühlergrills mit immer aggressiver designten "Augen", den Scheinwerfern. In der Winterdunkelheit starrt die Kinder ein "Monster" an. Am Zebrastreifen wissen sie nicht, ob der Fahrer wirklich hält, weil der Blickkontakt fehlt. Und wenn er hält, ob sie es wagen können, loszulaufen. Das macht Angst.

"Die Botschaft eines SUVs ist: Geh mir aus dem Weg!"

Das ist ein Teufelskreis: Die Menschen fahren große Autos, weil sie sich im Straßenverkehr oder aus anderen Gründen ängstigen. Damit verschärfen sie das ohnehin schon angespannte Verkehrsklima.

Es geht sogar noch einen Schritt weiter. Unser Verkehrssystem schürt Ängste und Unsicherheiten. Wer Angst hat, der konzentriert sich auf sich selbst, auf das eigene "Überleben". Der Schutz des eigenen Lebens geht auf Kosten anderer oder der Umwelt. In diesem Modus nimmt man keine Rücksicht mehr. Die Botschaft eines SUVs ist: Geh mir aus dem Weg! Gesellschaftliche Fragen, das Gemeinwohl, haben keine Relevanz mehr. Die Entwicklung des Verkehrssystems ist getrieben von Ängsten und sie führt zu noch mehr Ängsten.

Aber nicht jeder, der ein großes Auto lenkt, ist ängstlich und aggressiv?

Unsere Forschung zeigt, dass es ängstlich-aggressive Fahrer gibt, die besonders problematisch für den Verkehr sind. Diese Fahrer halten sich nicht an Verkehrsregeln und fahren besonders große und hochmotorisierte Wagen. Sie sind gegen eine Politik, die den Verkehr sicherer machen würde und wählen die Parteien, die den Status quo beibehalten wollen. Diese Gruppe lenkt unser Verkehrssystem. Unsere Studie zeigt auch, dass diese Gruppe von liberalen konservativen Wählern geprägt ist. Sie fahren bereits besonders große Autos und wünschen sich noch größere Autos.

Also nimmt die Verkehrssicherheit auf unseren Straßen momentan stetig ab?

Grundsätzlich ja, von einer "Vision Zero", also null Tote im Verkehr, sind wir jedenfalls weit entfernt. Vor allem machen mir aber die Prozesse Sorge, die wir kaum diskutieren – die Zunahme an Aggressivität, die Aufrüstung bei Masse und Motorisierung der Wagen, die immer größere Bindung vieler Menschen an das Auto. Hier driftet ein Gesellschaftssystem in die falsche Richtung und alle schauen zu. Ich wiederhole mich, aber die Entwicklung im Straßenverkehr ist hochproblematisch und die Verantwortung dafür trägt die Politik.

"Wir haben in Deutschland nie eine Verkehrspolitik gehabt, sondern immer nur eine Industriepolitik, die das Auto und Automobilität fördert."

Was muss die Politik ändern, damit die Menschen auf SUV und Co. verzichten?

Politik muss Ängste nehmen, nicht verschärfen. Und schon gar nicht herbeireden. In der Verkehrspolitik, gerade in den urbanen Zentren, gibt es unzählige Möglichkeiten, eine empathischere Mobilität zu fördern. Wir können Schulwege so gestalten, dass sich Kinder zu Fuß, mit dem Roller und auch mit Fahrrad sicher fühlen. Tempo 30 reduziert Geschwindigkeitsdifferenzen zwischen den Verkehrsträgern und sorgt bei vollen Straßen dafür, dass mehr Pkw pro Stunde durchfahren können. Jeder Fahrradfahrer schafft Platz in der Stadt, weil er weniger Fläche verbraucht als das Auto. Wir wissen auch, dass es aktiven Menschen in grünen Städten besser geht. Die mentale und physische Gesundheit nehmen zu. Es ist einfach, Verkehrssysteme empathischer zu machen.

Sehen Sie denn in der aktuellen Verkehrspolitik Anzeichen, dass Radfahrende in den Zentren bald sicherer unterwegs sein werden?

In einigen Städten tut sich was, aber in der Fläche sicherlich nicht. Wir haben in Deutschland ja eigentlich nie eine Verkehrspolitik gehabt, sondern immer nur eine Industriepolitik, die das Auto und Automobilität fördert. Mit dem aktuellen Verkehrsminister ist es noch mal schlimmer geworden. Ich nenne das Politik persönlicher Präferenz, das hat mit Verkehrspolitik im Sinne wissenschaftlicher Erkenntnis gar nichts mehr zu tun. Kommunen möchten flächig Tempo 30 einführen, dürfen es aber nicht. Jeder freut sich über Radfahrer, weil die Staus und zäh fließenden Verkehr reduzieren, aber mehr als ein paar rotgestrichene Streifen entlang der Straße gibt es für die nicht. Man fährt nur dann Rad, wenn man sich sicher fühlt, deswegen brauchen wir in allen Städten ein eigenes Straßennetz nur für Radfahrer und Fußgänger. Städte müssten hier viel größer denken.

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In Paris hat die Bürgermeisterin Anne Hidalgo gerade eine Diskussion angestoßen über die Höhe der Parkgebühren von SUVs und großen Elektroautos im Zentrum. Überall im Stadtgebiet hängen Plakate und weisen auf die Abstimmung im Februar hin. Ist so etwas auch in Deutschland denkbar?

Anne Hidalgo hat die Diskussion zum richtigen Zeitpunkt angestoßen. Die Franzosen fuhren immer eher kleine Wagen, SUVs sind dort bislang nicht so stark vertreten wie in Deutschland. Dort ist der psychologische Kipppunkt noch nicht erreicht. Ich bezeichne damit eine bestimmte Verhaltensweise, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Für den SUV heißt das: Wenn eine Mehrheit der Bevölkerung SUV fährt, erlebt man im Kleinwagen den Verkehr nur noch von unten. Dann kauft man beim nächsten Mal auch einen SUV. Momentan haben wir in Deutschland Zuwachsraten von 25 Prozent bei den größten Autos pro Jahr. Wir nähern uns dem psychologischen Kipppunkt. Ich wünsche den Franzosen, dass sie die Kurve noch kriegen, in Deutschland habe ich meine Zweifel.

Aber ist diese Diskussion auch in Deutschland denkbar?

Manchmal sind wir ja sogar weiter als der Rest der Welt. Nehmen Sie zum Beispiel die gestaffelten Parkgebühren in Freiburg. Je größer der Wagen, umso teurer der Parkausweis für Anwohner, mit einem Höchstpreis von 480 Euro pro Jahr für SUVs. Das System wurde im Jahr 2022 eingeführt und funktionierte gut. Dann klagte ein FDP-Politiker aus dem Stadtrat gegen die Staffelung und bekam vom Bundesverwaltungsgericht recht. Die Staffelung wird in neuer Form kommen. Aber die Debatte zum Parken ist überfällig und deshalb ist es gut, dass Anne Hidalgo sie anstößt. Wir sehen es täglich in unseren Zentren: Wo früher zehn Autos parken konnten, passen jetzt nur noch acht hin. Es wäre nur folgerichtig, dass die, die die größten Autos fahren, auch am meisten für den Platz zahlen müssen.

Zurück zum "Cyberbeast". Der Wagen hat noch keine Zulassung für Deutschland. Wie wahrscheinlich ist es, dass der Pick-up zugelassen wird, wenn Elon Musk nachbessert?

Kein vernünftiger Mensch würde ein militärisches Fahrzeug auf Deutschlands Straßen zulassen, das drei Tonnen wiegt und mit 845 PS in wenigen Sekunden von Null auf 100 beschleunigt. Das wäre das öffentliche Eingeständnis verkehrspolitischer und sozialer Inkompetenz. Aber das "Cyberbeast" ist auf Teslas deutscher Webseite bereits zu finden. Ich denke, dass sich eine sehr breite Mehrheit der Verkehrsteilnehmer wünscht, dass die Aufrüstung im Verkehr aufhört. Wir brauchen mehr Rationalität in der Verkehrspolitik. Dazu muss sich viel ändern und Tabus müssen fallen. Das ist eine Aufgabe aller Parteien, vor allem aber des Verkehrsministeriums.

Verwendete Quellen

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