Die neue BMW R 1300 GS Adventure hat das Zeug zum Design-Flop. Und nicht nur das: Die relativ geringe Zuladung passt nicht zur proklamierten Fernreise-Enduro. MOTORRAD fuhr die neue Adventure – auch offroad.

Mehr zum Thema Mobilität

BMW tänzelt seit Jahrzehnten auf der Design-Schneide. Wobei die Abgründe nicht "schön" oder "hässlich", sondern "BMW halt" und "Uff, das ist zu viel" heißen. Und gerade für letzteren Abgrund gibt es grauenvolle Beispiele. Die prominentesten: R 1200 ST, R 1200 CL und F 650 CS "Scarver". Mit diesen Designs überzog BMW es selbst für die eingefleischten BMW-Ultras. Und die neue R 1300 GS Adventure kippelt ebenfalls in diese Richtung. Und das ist wie bei jedem GS-Thema nur die halbe Wahrheit.

Video: Test-Talk: BMW R 1300 GS Adventure

Der Boxer ist einfach eine Macht

Vor dem Boxer als solchem muss man wieder einmal den Hut ziehen. In der Kategorie Landstraßen-Twin gibt es derzeit an ihm kein Vorbeikommen. Ab Leerlaufdrehzahl büffelt er unabhängig vom eingelegten Gang enorm kräftig, kultiviert, und als 1300er ziemlich geräuscharm los. Dank des niedrigen Schwerpunkts sind die immerhin rund – und je nach bestellter Ausstattung auch gerne deutlich mehr – 270 Kilogramm Masse vergessen, sobald sich die Räder drehen. Und das hohe Drehmoment von rund 120 Nm ab Standgas macht den Boxer im Grunde unabwürgbar. Freilich kann er auch anders, ab etwa 6.000/min wird er richtig hörbar zornig, bevor kurz vor 9.000/min der Begrenzer das Licht ausknipst. Bereits im dritten Gang stehen dann 166 km/h auf dem TFT-Display, mithin ein Tempo, das im öffentlichen Raum weder angezeigt noch im Testgebiet, den Bergen im Hinterland von Malaga, bei lebensbejahendem Fahrstil zu erreichen ist. In der Realität ist man meist zwischen 1.500- und 5.000/min und dennoch äußerst zügig unterwegs.

Hohes Gewicht und hohe Schräglage

Für Fahrwerk und die vollintegrierte Bremse mit Kurven-ABS sind das natürlich keine Herausforderungen. Wenn man sich daran gewöhnt hat, dass bedingt durch das Telelever die Rückmeldung des Vorderrads überschaubar bleibt und die grobstolligen Metzeler Karoo 4 Serienreifen ordentlich durchgeknetet und warm gefahren sein sollten, sind Schräglagen über 45 Grad drin. Dafür sind die ersten Kilometer am Morgen ein ziemlicher Eiertanz.

Neues Automatik-Getriebe Offroad ein Gewinn

ASA bedeutet, dass die Kupplung des nach wie vor mechanischen Klauengetriebes nicht mehr händisch via Hebel, sondern elektronisch mittels Aktuatoren bedient wird. Geschaltet wird wahlweise nach wie vor mittels Hebel, oder man überlässt auch dies der Elektronik. Die Schaltdrehzahl liegt dann je nach gewähltem Fahrmodus tiefer oder höher, und auch die Anzahl der Schaltvorgänge an sich variiert stark. Zudem gibt es einen Kickdown. Bei schnellem Gasaufziehen schaltet die Elektronik selbstständig herunter. Ebenso wird beim Anhalten stets bis in den Ersten zurückgeschaltet. Beim ersten direkten Vergleich gingen die ASA-Schaltvorgänge durchweg geschmeidiger vonstatten als bei der immerhin quickshiftenden und blippernden Trophy. Nur das ASA-Schaltgefühl ist, wohl mangels mechanischer Verbindung zum Getriebe, sehr steril und rückmeldungsfrei. ASA wird sicherlich zuhauf Freunde finden, ist aber in den Augen des Autors entbehrlich. Zumal so ein Kupplungsgriff gerade in diffizilen Fahrsituationen, wie sie abseits des Asphalts vorkommen, dem Piloten das Gefühl gibt, die Sache im Griff zu haben. Wobei der Fairness halber erwähnt werden soll, dass während des gesamten Fahrtermins trotz hohem Pisten- und Schotteranteil zu keiner Zeit das Selber-Kuppeln einen Vorteil gebracht hätte.

Hohe Sitzbank für kurze Beine

Die Höhenregulierung ist für ausgeprägte Langbeiner verzichtbar, denn mit der dicksten Sitzbank und auf der oberen Stufe liegt die Sitzhöhe etwas über 900 mm; große Fahrer kommen da immer noch problemlos mit beiden Fersen auf den Boden. Für bodennäher Gebaute jedoch ist die Regulierung ein Segen. Denn sobald die GS weniger als 25 km/h fährt, senkt sich die Sitzhöhe automatisch um 30 mm ab, ab 50 km/h wird wieder buchstäblich hochgefahren. Das passiert selbstständig, ohne Zutun des Fahrers. Im Enduro-Modus kann, der Bodenfreiheit zuliebe, die Fahrhöhe in der oberen Position fixiert werden.

Erstes Fazit zur neuen R 1300 GS Adventure:

Rein funktional kann man der Adventure außer ihrer schieren Größe kaum etwas vorwerfen. Einmal in Bewegung, zelebriert sie wie gehabt die Leichtigkeit des Seins. Um die zu genießen, braucht's eine nicht zu knappe finanzielle Potenz. Dafür gibt's dann technische Opulenz und elektronische Gadgets aller Art. An die Optik wird man sich dann schon gewöhnen.

BMW R 1300 GS Adventure für Abenteuer-Reisen

Wer die Pressemitteilung von BMW zur neuen R 1300 GS Adventure liest, muss den Eindruck bekommen, die ultimative "eierlegende Wollmilchsau" vor sich zu haben. Mit Sozia und viel Gepäck soll durch die Wüste und den Regenwald oder sogar in den Himalaya gefahren werden. Gut, der von der R 1300 GS bekannte Boxer mit 149 Nm und 145 PS sollte dazu in der Lage sein, immerhin schaffte es die Reisegruppe MOTORRAD Ende 2023 auf über 6.000 Meter. Allerdings unter durchtrainierten Jockeys, ohne Sozius und ohne Gepäck.

Video: Im Video: BMW R 1300 GS Adventure mit Zubehör

BMW R 1300 GS Adventure mit relativ geringer Zuladung

Und da dürfte die neue BMW R 1300 GS Adventure trotz allen Marketings an ihre Grenzen kommen, denn es dürfen zum standesgemäß stattlichen Leergewicht von 269 Kilogramm (Werksangabe zur Grundausstattung mit 90 % Tankinhalt) "nur" weitere 216 Kilo hinzukommen. Abzüglich des für solche Einsätze obligatorischen, großen Koffersets mitsamt Topcase aus gar nicht so leichtem Alu, 2 durchschnittlichen Mitteleuropäern in Klamotten und Ausrüstung für alle Fälle, wohlgemerkt. Somit wird die neue GSA wohl oft überladen auf Fernreise gehen. Übrigens kann die bisherige R 1250 GS Adventure das lediglich um 1 Kilogramm besser. Umso bemerkenswerter ist der Vergleich mit der Standard-R 1300 GS ohne Adventure, die erstens deutlich weniger wiegt (-32 kg) und zweitens mehr zuladen darf (+12 Kilo).

Erste BMW mit Automatik ASA

Neben der auf den ersten Bildern "So-lala-Optik" der BMW R 1300 GS Adventure ist ein neues technisches Feature "Oh lala": Die neue GSA ist das erste Modell mit dem neuen ASA, dem Automatic Shift Assistant, der das konventionelle Schaltgetriebe automatisiert. Der Kupplungshebel entfällt, der Fußschalthebel bleibt, wirkt allerdings nur noch als elektrischer Impulsgeber auf den Schaltmotor im Getriebe. Die Kupplung steuert BMW ebenfalls elektromechanisch. Das Zusammenspiel soll mindestens so schnelle Gangwechsel wie mit dem bisherigen Quickshifter (Schaltassistent Pro) gestatten, allerdings mehr Komfort durch weniger Schaltruck bieten. Das ASA kommt als optionale Sonderausstattung, der Preis ist noch nicht bekannt. Alle Infos zum neuen BMW ASA gibt es bei MOTORRAD.

Video: Vorstellung: BMW ASA - Neue Automatik für die BMW R 1300 GS

Mehr Federweg und Sitzhöhe für die Adventure

Um direkt beim Aufstieg auf den verstärkten neuen Alu-Heckrahmen der BMW R 1300 GS Adventure Höhenluft zu schnuppern, erhöht BMW die Federwege vorn wie hinten um jeweils 20 auf 210 und 220 Millimeter. Daraus resultieren zum einen der um 6,8 Millimeter auf 118,8 Millimeter verlängerte Nachlauf und der um 16 Millimeter auf 1.534 Millimeter verlängerte Radstand. Als Sitzhöhen ergeben sich, je nach Sitzbankeinstellung, 870 bis 890 Millimeter. Also mindestens 20 Millimeter mehr als bei der Basis-GS. Und wem das doch etwas zu hoch ist: Optional fährt BMW das neue, semi-aktive DSA-Fahrwerk bei langsamer Fahrt um 30 Millimeter herunter, was durch das zusätzliche Feature der sogenannten "Fahrzeughöhenregelung Komfort" um weitere 20 Millimeter absinkt.

Mehr Radar für die neue GSA

Bereits mit der neuen R 1300 GS führte BMW das radarbasierte Komfort-Feature des Abstandstempomat und des Tot-Winkel-Warners ein. Neu und erst einmal exklusiv ergänzt BMW in der R 1300 GS Adventure das Heckradar um die neue Funktion der Heckkollisionswarnung. Sie warnt hinterherfahrende Fahrzeuge mit zu wenig Abstand per Blinkfunktion, dass eine Kollision droht. Für die Basis-GS ist dieses Update (REWC) ab dem Modelljahr 2025 optional zu haben.

Neuer 30-Liter-Tank scheidet die Geister

Zentrales Merkmal, dass die BMW R 1300 GS zur Adventure macht, ist der Tank. Seit der ersten GSA anno 2002 schaffte BMW es, die Unterschiede der Tanks in Form und Stil trotz 30 Prozent mehr Volumen gekonnt zu kaschieren. 2024 vollführen die Designer bei der neuen R 1300 GS Adventure eine 180-Grad-Kehre und hacken einen Tank aus Alu, der erstens keine Verwechslung mit der GS zulässt und zweitens die design-liberale BMW-Gemeinde in Wallung bringen könnte. Ob das A in GSA für Abscheulich stünde, dürfte einer der schmissigeren Kommentare sein. Der Anblick von vorn, hinten, der Seite oder oben ist mehr als nur "gewöhnungsbedürftig". In der Adventure-Geschichte waren die 30 Liter Volumen bisher nie ungenierter zur Schau gestellt. BMW selbst spricht von "schierer Breite". Und dieses Mal hat die Marketing-Abteilung recht.

Neuer Tank als Multitool

Gut, das mögen nur die konservativen Ansichten derer sein, die in der ersten R 1150 GS Adventure die schönste und einzige moderne GS überhaupt sehen. Doch im Falle der neuen BMW R 1300 GS Adventure ist der riesige Tank mehr als nur Brennstofflager und Design-Element. BMW entwickelte ein komplettes Haltesystem für Taschen und Zubehör an und um den Tank mit den Kühlerblenden herum. Je nach Modellvariante mit Ablagen aus Gummi oder Alu an den flachen breiten Schultern des Tanks und weiteren Haltern für das große Abenteuer. Ob ein Eisbecher-Halter als Sonderzubehör zu haben ist, war zur Präsentation nicht bekannt, es würde allerdings niemanden überraschen, und Platz dafür wäre noch vorhanden.

Video: Im Video: BMW R 1300 GS

4 Varianten der R 1300 GS Adventure

Zur Markteinführung der BMW R 1300 GS Adventure am 2. November 2024 stehen 4 Grundkonfigurationen als Varianten zur Wahl. Basis ist die R 1300 GS Adventure ab 22.335 Euro. Nur in "Racingred uni" zu haben, mit klar lackiertem Tank. Ab Werk sind das semi-aktive DSA-Fahrwerk, heizbare Griffe, Keyless Ride, Reifendruckkontrollsystem RDC, Motorschlupfregelung MSR, ABS Pro, Tempomat und Zusatzscheinwerfer an Bord. Übrigens: Die R 1250 GS Adventure kostet Anfang Juli 2024 noch 19.950 Euro.

BMW R 1300 GS Adventure Trophy

Ab 23.060 Euro bietet BMW die R 1300 GS Adventure Trophy an. In den bekannten Trophy-Farben: "Racing metallic blue", "Lightwhite uni" und "Racingred uni". Hinzu kommen der hohe Fahrersitz, der Motorschutzbügel aus Edelstahl, Schutzgitter für Kühler und Scheinwerfer, die großen Kühlerblenden mit den zusätzlichen Haltern und ein kürzerer Windschild.

BMW R 1300 GS Adventure Triple Black

Darüber rangiert die BMW R 1300 GS Adventure Triple Black, deren Modellbezeichnung traditionell die Farbe Schwarz vorgibt, ab 23.120 Euro. BMW ergänzt hier die Kühlerblenden mit zusätzlichen Aufnahmen für Taschen, Komfortsitze vorn und hinten, eine Gepäckbrücke, den höheren Windschild und die großen Windabweiser.

BMW R 1300 GS Adventure Option 719 Karakorum

Besonders edel ins Abenteuer fährt die BMW R 1300 GS Adventure Option 719 Karakorum ab 24.460 Euro. Die Sonderlackierung in "Aureliusgreen metallic matt" mit goldfarbenen Linien ergänzt BMW um Alu-Frästeile aus dem Option 719-Sortiment und um gold-eloxierte Kreuzspeichenräder. Ebenfalls an Bord sind hier die Motorschutzbügel und die Komfortsitze mit Sitzheizung.

Exklusive Inhalte mit MRD+
Noch mehr MOTORRAD gibt es bei MRD+. Exklusive Tests, Fahrberichte und Vergleichstests.

Fazit

Mit der neuen R 1300 GS Adventure erfindet BMW das eigene Modellsegment neu und spielt gezielt mit der Vorstellung und dem Wunsch, mit einer Adventure überall auf der Welt mit maximalem Komfort hinzukommen. Die Realität: Maximal erlaubte 485 Kilogramm sind für alles gröber als Schotter 300 Kilo zu viel, und nur 216 Kilo Zuladung für eine Fernreise zu zweit mit entsprechendem Gepäck grenzwertig wenig. Und trotz oder gerade wegen des mehr als nur "gewöhnungsbedürftigen" Designs: Auch diese GSA wird BMW verkaufen, weil die Adventure-Zielgruppe genau solche Trümmer haben möchte. Und wie gehabt: Einmal in Fahrt fühlen sich 270 Kilo eher wie 220 an, und das neue ASA-Getriebe von BMW als Option bietet Komfort – sogar Offroad.  © Motorrad-Online

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.