VW scheint sein Elektroauto-Projekt erneut auf ein späteres Jahr zu terminieren. Der Hauptgrund dafür soll diesmal nicht innerhalb des Konzerns liegen. Zuvor hatte der neue VW-Konzernchef Oliver Blume bereits das Konzept geändert.
Der Trinity war ein Prestigeprojekt des alten VW-Konzernchefs Herbert Diess. Geplant war ein Flachboden-Elektroauto mit neuer Elektronikstruktur, neuem Betriebssystem und Level-4-Autonomie zu massentauglichen Preisen (siehe Fotoshow). Das erste Modell der ID.-Nachfolge-Generation sollte mehr als 700 Kilometer Reichweite nach WLTP bieten und eine Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in unter fünf Sekunden ermöglichen. Der Marktstart war ursprünglich für 2026 anvisiert.
Video: Erster Check: VW ID.3 Facelift 2023
Doch daraus wird nichts. Bereits kurz nach seinem Amtsantritt hatte der damals neue Konzernchef Oliver Blume dem Aufsichtsrat Ende 2022 mitgeteilt, dass sich der Trinity verschiebt. Damals ging er vom Jahr 2028 aus – mindestens. Nun scheint VW sein Prestige-Projekt erneut auf ein späteres Jahr zu terminieren. Wie das "Handelsblatt" berichtet, gehen die VW-Manager inzwischen von einem Trinity-Anlauf zum Jahresende 2032 aus. Das gehe aus internen Anlaufplänen hervor, in das Journalisten des Magazins Einblick erhalten haben. Diese müssten dem Bericht zufolge allerdings im kommenden Herbst von der Investitions-Planungsrunde bestätigt werden.
Wann hat Cariad die Software fertig?
Der Hauptgrund für die erneute Verschiebung sei die derzeit schwache Nachfrage nach Elektroautos. Diese führe dazu, dass aktuelle Plattformen im Konzern länger genutzt werden können und der VW-Konzern damit seinen Sparkurs weiterführen kann. Doch weiterhin müssen noch jene Probleme gelöst werden, die Diess letztlich den Job gekostet hatten. Allen voran: die Software. Die im März 2021 mit großen Ambitionen gestartete Unternehmenstochter Cariad schafft es nicht, rechtzeitig das konzerneigene Betriebssystem fertigzustellen. Übereinstimmenden Medienberichten zufolge soll dieses erst Ende des Jahrzehnts zur Verfügung stehen – also erst gegen 2030.
An das Software-Thema schließt sich jenes des autonomen Fahrens an. Auch hier schwenkte Blume um: Dem Vernehmen nach trägt hier nicht mehr Audi die konzernweite Entwicklungsverantwortung. Die Marke sollte mit ihrem Projekt Artemis eine (mindestens) auf Level 4 selbstfahrende Elektro-Limousine entwickeln, die bislang als "Landjet" bekannt ist. Doch der neue Konzernchef hat die Hoheit über die Entwicklungen auf dem Gebiet des autonomen Fahrens inzwischen auf Volkswagens Nutzfahrzeugsparte übertragen, weil er das Potenzial selbstfahrender Robotaxis als höher einschätzt als jenes von hochautomatisiert agierenden Premiumautos in Einzelbesitz.
SUV statt flache Limousine
Da Volkswagens Trinity in dieser Hinsicht stets am Tropf des vorerst gekippten Audi-Projekts Artemis hing, scheinen hochgradig autonome Fahrfunktionen für ihn vorerst vom Tisch zu sein. Überhaupt bestand die Hauptaufgabe des "Leuchtturmprojekts" (Ex-VW-Markenchef Ralf Brandstätter) darin, die neue Elektronikstruktur und das Betriebssystem des Artemis vom Premium- ins Volumensegment zu übersetzen. Nun sieht es danach aus, als übernehme die Kernmarke stärker Verantwortung für den Trinity als bisher.
Doch damit nicht genug der Änderungen. Der Trinity wurde von Brandstätter einst als 4,70 Meter langer, dynamischer und flacher Fünfsitzer angekündigt, den "es so in unserer aktuellen Modellplatte noch nicht gibt". Erste Skizzen und das Foto eines abgedeckten Autos zeigten ein Modell mit flacher Heckscheibe und hoch liegender Abrisskante mit integriertem Spoiler. Die Assoziation: die Silhouette eines Tesla Model 3 mit typischen Design-Anleihen der Volkswagen-ID.-Familie.
Zwickau statt Wolfsburg
Doch auch diesen Plan haben Blume und Co. inzwischen kassiert. Wie aus Konzernkreisen zu hören ist, wollen der Konzernchef und Brandstätters Nachfolger als VW-Markenchef, Thomas Schäfer, lieber einen Trinity in SUV- oder Crossover-Gestalt, weil der Markt aktuell und in Zukunft solche Autos verlange und eben keine Limousinen.
Die ursprüngliche Trinity-Strategie sah einen teuren Werkneubau im Wolfsburger Stadtteil Warmenau vor. Der ist allerdings inzwischen vom Tisch. Das sächsische Werk in Zwickau kämpft mit Auslastungsproblemen und übernimmt nach einem VW-Vorstandsbeschluss von Ende September 2023 die Produktion des Zukunftsmodells – in welchem Jahr auch immer der Anlauf letztlich starten wird.
Rückblick auf den "alten Trinity"
Um zu verstehen, wie tiefgreifend die Strategieänderungen des neuen VW-Konzernvorstands rund um Oliver Blume sind, hilft ein Blick zurück auf die anfänglichen Planungen rund um den Marken-"Innovationsführer" (O-Ton Brandstätter). Die ursprüngliche geplante Markteinführung (2026) wurde bereits erwähnt. Zu diesem Zeitpunkt sollte der Trinity das Autonomie-Level 2+ erreichen, aber technisch bereits für Level 4 vorgerüstet sein.
Außerdem versprach Ex-Markenchef Brandstätter seinerzeit, das neue Modell werde in unter fünf Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h beschleunigen, mit einer Batterieladung nach WLTP mehr als 700 Kilometer weit kommen und danach so schnell laden können, wie wir heute zum Tanken brauchen. Batterieseitig dürfte weiterhin die neue Akkugeneration mit der besonders günstigen "Einheitszelle" verwendet werden, die bis 2030 in bis zu 80 Prozent aller Elektroautos des Konzerns verbaut sein soll.
Auch SSP-Architektur verzögert sich
Der Trinity sollte eine hochmoderne elektrische 800-Volt-Flachboden-Plattform nutzen, die im Konzern unter der Bezeichnung SSP (Scalable Systems Platform) firmiert. Da sich diese ebenfalls verzögert, legte der Konzern extra eine weiterentwickelte Variante seines Modularen Elektroantriebsbaukastens (MEB) auf, den VW MEB+ nennt. Für den Trinity kommt diese dann bereits sehr betagte Plattform, die noch auf 400 Volt-Technik basiert, allerdings nicht infrage. Es ist weiterhin geplant, für ihn den SSP-Unterbau zu nutzen.
Ob sich das Serienauto trotzdem in einem "sehr Volkswagen-typischen" Preis- und Volumensegment ansiedeln lässt, bleibt indes abzuwarten. Brandstätter brachte im Frühjahr 2021 einen Einstiegspreis von 35.000 Euro ins Spiel. Ob das zu halten sein wird, erscheint aus heutiger Sicht mehr als fraglich. Immerhin soll innerhalb des VW-Konzernvorstands Konsens über Blumes Kurs herrschen. Wie das "Handelsblatt" gegen Jahresende 2022 schrieb, soll Blume damals auch vom Aufsichtsrat des VW-Konzerns Rückendeckung für seine Pläne in Sachen Trinity erhalten haben. Fraglich ist indes, ob das auch für den erneut nach hinten verschobenen Anlauf gilt. © auto motor und sport
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.