Nimmt Volkswagen dem Stammwerk Wolfsburg den Golf weg? Medienberichten zufolge könnte der Kompakt-Klassiker perspektivisch im Ausland gebaut werden.
Seit der Golf 1974 als Käfer-Nachfolger das Licht der Welt erblickte, wird er durchgängig im Stammwerk in Wolfsburg gebaut. Mehr als die Hälfte aller jemals gebauten Exemplare stammte oder stammt aus Niedersachsen. "Dementsprechend hoch ist sowohl die Identifikation der Beschäftigten mit diesem Modell als auch die Erfahrung in der Produktion", sagte Werksleiter Rainer Fessel dem Fachmagazin "Automobil Produktion" zufolge, als im Frühjahr 2024 die Fertigung des Golf 8 Facelift in Wolfsburg anlief.
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Doch möglicherweise müssen sich die Beschäftigten der VW-Heimatstadt perspektivisch eine neue Identifikationsfigur suchen. Denn wie zuerst das "Handelsblatt" berichtete, erwägt der Konzern, die Produktion des Kompakt-Klassikers ins Ausland zu verlegen. Demnach könnten Polen oder gar Mexiko die neue Golf-Heimat werden. Die Entscheidung über den Produktionsstandort trifft üblicherweise die Planungsrunde aus Konzernvorstand und Aufsichtsrat. Diese sollte eigentlich bereits Mitte November tagen, doch aufgrund der derzeitigen intensiven Verhandlungsrunden zwischen VW-Management und Betriebsrat sowie IG Metall wurde sie auf einen noch nicht bekannten Termin verschoben.
"Eines von mehreren Szenarien"
Im Top-Management werde eine mögliche Produktionsverlagerung aber bereits diskutiert. Dies sei eines von mehreren Szenarien, das gerade auf dem Tisch liege, heißt es im "Handelsblatt". Eine Entscheidung sei allerdings noch nicht getroffen und könnte auch anders ausfallen. Volkswagen möchte die Meldungen bislang nicht offiziell kommentieren. Aus dem Betriebsrat heißt es, es handele sich um eine "Spekulation, die weit von möglichen Beschlussfassungen entfernt" sei. Zuvor sagte Betriebsratschefin Daniela Cavallo: "Unser Golf ist Kult weltweit, und er ist seit Jahrzehnten ein Anker für Stabilität in Niedersachsen, in Deutschland und weit darüber hinaus. Und wenn es nach mir geht, dann bleibt das auch so."
Hintergrund der Überlegungen, den Golf künftig im Ausland zu bauen, ist die aktuelle Volkswagen-Krise, die den Konzern zu Sparmaßnahmen zwingt. Die Autoproduktion in Wolfsburg ist aufgrund hoher Löhne und einiger Privilegien der Mitarbeitenden kostenintensiv und drückt auf die Marge des traditionsreichen Modells, das sich in der Kompaktklasse mit einer stetig wachsenden und oft günstigeren Konkurrenz konfrontiert sieht. Sowohl in Mexiko als auch in Polen ist das Lohnniveau deutlich niedriger als in Wolfsburg.
Die Standorte Puebla/Mexiko und Posen/Polen
In der mexikanischen Stadt Puebla betreibt Volkswagen bereits seit 1964 ein Werk, das inzwischen das größte des Landes ist. Anfangs fertigte der Hersteller hier den legendären Käfer, dessen Produktion erst 2003 eingestellt wurde. Bis 2021 entstand dort auch der VW Golf für die angrenzenden Märkte, insbesondere natürlich die USA. Aktuell werden in Puebla der Jetta, der Kompakt-SUV Taos und die Langversionen des Tiguan gebaut.
Im polnischen VW-Werk Posen rollen aktuell der Caddy sowie die Nutzfahrzeug-Baureihen VW Crafter und MAN TGE vom Band. Bis vor Kurzem wurde hier auch der T6-Transporter produziert. Zuvor rollten in dem bereits im Dezember 1993 eröffneten Werk aber auch Pkw-Modelle wie der Passat, Bora und Polo vom Band. Bevor das Werk für die Golf-Produktion ins Gespräch kam, wurde bereits darüber spekuliert, dass die Fertigung des elektrischen ID. Buzz ins mit Posen eng verbandelte Werk Wrzesnia verlegt werden könnte.
Komplexe Golf-Fertigung in Wolfsburg
Die Golf-Fertigung in Wolfsburg ist nicht nur aufgrund der hohen Lohnkosten teuer, sondern auch wegen ihrer enormen Komplexität. VW fertigt seinen Kompakt-Bestseller in Wolfsburg mit einer höheren Fertigungstiefe, mehr Fertigungstakten und längeren Förderstrecken als die anderen Wolfsburg-Modelle Tiguan und Touran. Zudem gibt es vom Golf so viele Modellvarianten und Derivate wie bei keinem anderen Volkswagen-Modell. "Das macht die Produktion unseres Bestsellers ungemein komplex", ergänzt Rainer Fessel laut "Automobil Produktion". Die durchschnittliche Bauzeit eines VW Golf beträgt demnach etwa 20 Stunden. © auto motor und sport
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