Wer sich ärztlich behandeln lässt, hat ein Anrecht auf eine Kopie seiner Patientenakte. Aber muss man dafür etwas bezahlen, sprich können Kosten für die Kopie und dem damit verbundenen Arbeitsaufwand Patienten in Rechnung gestellt werden?
Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ist das so festgelegt. "Er (der Patient) hat dem Behandelnden die entstehenden Kosten zu erstatten." Das klingt eindeutig.
Widerstreit zwischen DS-GVO und BGB
Allerdings widerspricht diese Aussage der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO). Diese bestimmt zwar, zunächst im Einklang mit dem BGB, dass einer Person, deren Daten zu nicht rein privaten Zwecken verarbeitet werden, auf ihren Antrag eine Kopie dieser Daten zur Verfügung gestellt werden muss.
Allerdings kann erst für "alle weiteren Kopien" ein "angemessenes Entgelt" verlangt werden. Die erste Kopie ist also kostenlos. Das klingt ebenso eindeutig.
BGH fragt den EuGH
Der Bundesgerichtshof (BGH), Deutschlands höchstes Zivilgericht, hatte das für eine Zahnärztin zu entscheiden, die unter Berufung auf das deutsche BGB schon die Erstattung der Kosten der ersten Kopie verlangt hatte. Die Kopie wurde nicht gefordert, um einen Datenschutzverstoß geltend zu machen. Vielmehr brauchte der Patient die Akte, um zivilrechtlich gegen die Ärztin vorzugehen.
Besteht der datenschutzrechtliche Anspruch auf eine kostenlose erste Kopie allgemein, also auch dann, wenn mittels der Akte etwa eine Klage wegen falscher Behandlung vorbereitet werden soll? Oder hat man nur dann Anspruch auf die kostenmäßige Privilegierung durch das Datenschutzrecht, wenn mit dem Kopieverlangen auch tatsächlich datenschutzrechtliche Interessen verfolgt werden?
DS-GVO sticht gegen BGB
Die Frage, ob die DS-GVO das BGB generell aussticht, musste der Europäische Gerichtshof (EuGH) dem BGH beantworten, denn der EuGH ist für die Auslegung der DS-GVO als Europarecht zuständig. Das – grundsätzlich kostenfreie – Auskunftsrecht von Bürgerinnen und Bürgern im Hinblick auf die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten dient mit der Transparenz der Datenverarbeitung einem wichtigen Datenschutzgrundsatz. Er stellt aus Sicht der Betroffenen eines der zentralen Rechte nach der DS-GVO dar.
Denn datenschutzrechtliche Abwehrrechte, wie etwa die Rechte auf Löschung, Korrektur oder Unterlassung einer Datenverarbeitung, können von den Betroffenen nur geltend gemacht werden, wenn sie sich einen Überblick darüber verschaffen können, ob und welche Daten private und öffentliche Stellen über sie verarbeiten. Wer sich gegen potenzielle Datenschutzverstöße wehren will, der darf nicht durch Kosten für die Prüfung abgeschreckt werden.
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Datenschutz als Patientenschutz
Insofern beantwortete der EuGH die Frage nach den Kosten der Kopie im Sinne der Patienten und des Datenschutzes. Wer erstmals eine Kopie fordert, der muss generell, gleich ob es ihm um den Datenschutz oder ein anderes Anliegen geht, die Kosten nicht tragen. Da die Ausübung des datenschutzrechtlichen Auskunftsrechts keiner Begründung bedarf, ist es nur konsequent, dass es nach dem EuGH für die Kostenfreiheit des Verlangens nicht auf den Anlass des Antrags ankommen soll, also darauf, ob die Geltendmachung des Rechts durch den Datenschutz oder anderweitig motiviert ist.
Das – so der EuGH – dürfe das nationale Recht auch mit Blick auf den wirtschaftlichen Nachteil des Verantwortlichen nicht anders lösen.
Umfang der Kopie
Was bei der Patientenakte alles zur Kopie gehört, hat der EuGH gleich mitentschieden. Erfasst ist eine "vollständige" Kopie mit Blick auf alles, was erforderlich ist, um die Daten zu verstehen.
Dazu zählen etwa Diagnosen sowie Untersuchungsergebnisse und Befunde.
Achtung: Eine Kopie ist nicht immer eine Fotokopie
Damit ist der Auslegungsstreit geklärt: Die Kosten für die erste Kopie einer Patientenakte trägt der Behandelnde. Wer genau ist, kann sich allerdings noch auf den Standpunkt stellen, dass eine Kopie der personenbezogenen Daten keine Fotokopie, etwa der ganzen Krankenakte ist. Der EuGH hat nämlich vorher schon entschieden, dass eine Kopie im Sinne des Datenschutzrechts nicht unbedingt eine Fotokopie sein muss.
Eine Zusammenstellung der personenbezogenen Daten kann auch in anderer Form, etwa in einer Tabelle, erfolgen. Das ist zwar komplizierter, aber genügt den Anforderungen der DS-GVO auch. Wer über die Tabelle hinaus eine Fotokopie will, müsste sie in diesem Fall dann doch bezahlen, wie das BGB es vorschreibt.
Verwendete Quelle:
- curia-europa.eu: URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)
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