Hass, Hetze und Beleidigungen kommen dank der Anonymität des Internets leider häufig vor. Doch Betroffene können und sollten sich dagegen wehren. Wie Sie am besten handeln, wo Sie sich melden – und warum das so wichtig ist, erklären Experten.
"Schlampe", "Drecks Fotze", "Sondermüll" - mit diesen Anfeindungen aus dem Netz musste sich die Grünen-Bundestagsabgeordnete
Trotz der offensichtlich harten Worte war diese Frage ein Fall für die Gerichte. Was tun, wenn mir als Social-Media-Nutzerin derartiger Hass entgegenschlägt?
Allem voran: sämtliche Inhalte sichern. "Das ist nicht das Erste, was einem in einer solchen Situation in den Sinn kommt, aber es ist wichtig, alles zu speichern, bevor es gelöscht wird", sagt Anna Wegscheider, die als Juristin für HateAid arbeitet, eine gemeinnützige Organisation, die auch Renate Künasts Gerichtsprozesse unterstützte.
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Screenshot mit Datum, URL und Kontext sichern
Zu den Maßnahmen zählt, den Bildschirm abzufotografieren. "In der Praxis wird die Echtheit eines Screenshots selten bestritten", sagt Rechtsanwalt Philipp Gabrys, Mitglied der Rechtsanwaltskammer Schleswig-Holstein. "Dennoch ist es gut, einen Zeugen dabei zu haben oder den Screenshot machen zu lassen", so der Fachanwalt für IT-Recht.
Wie das rechtssicher geht, erläutert Wegscheider: Wichtig seien Inhalt, Datum und Uhrzeit. Beim Datum sollte darauf geachtet werden, dass auf dem Screenshot eine absolute Datums- und auch Uhrzeitangabe zu sehen ist. Angaben wie "letzte Woche" sind kaum hilfreich.
Außerdem müssen Profilname, URL und der Kontext festgehalten werden, also die vorangegangene Debatte oder Konversation, eventuell auch der Ausgangspost, falls es einen gab. Das können mehrere Screenshots sein. Alternativ sichert man die ganze Seite als PDF-Datei.
Um gegen Hass im Netz vorzugehen, rät die HateAid-Juristin, sich sowohl an den Portalbetreiber zu wenden als auch Anzeige zu erstatten. Es sei zwar wichtig, dass die Inhalte gelöscht werden, "aber dadurch passiert den Täterinnen und Tätern nichts". Sie könnten genau den gleichen Kommentar unter einem anderen Account erneut posten.
Auch Dritte können Anfeindungen melden
Um sich an den Portalbetreiber zu wenden, können meist bestimmte Formulare oder eine Meldefunktion genutzt werden. Doch eine Garantie auf schnelles Löschen gibt es nicht: "Bei Beleidigungen ist die Lage meist klar, aber bei falschen Tatsachenbehauptungen kann der Bearbeiter nicht wissen, was die Wahrheit ist". Häufig existieren separate Meldeformulare, so lässt sich der Prozess immerhin anstoßen.
Wer auf diesem Weg keinen Erfolg hat, kann sich von einem Fachanwalt für Urheber und Medien sowie IT-Recht beraten und vertreten lassen. Wegen der Kosten kann sich eine Rechtsschutzversicherung lohnen.
Wichtig zu wissen: Auch Dritte können Hetze bei der Plattform melden und Anzeige erstatten. "Je nachdem, um welches Delikt es sich handelt, muss die betroffene Person noch zusätzlich einen Strafantrag stellen", sagt Anna Wegscheider.
Denn: Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung sind sogenannte Antragsdelikte. "Im Idealfall sichert man als dritte Person die Inhalte, kontaktiert die betroffene Person und fragt, ob sie Anzeige erstatten will", so ihr Rat.
Meldeportale als unkomplizierte Anlaufstelle
Darüber hinaus gibt es spezielle Meldeportale wie zum Beispiel Respect der Jugendstiftung Baden-Württemberg, die Meldestelle Hessen gegen Hetze des Hessischen Innenministeriums oder das Portal "hamburg-gegen-hass.de", über das digitale Gewalt unmittelbar bei der Staatsanwaltschaft Hamburg angezeigt werden kann.
Zudem können Betroffene Wegscheider zufolge in fast allen Bundesländern Anzeige über die jeweilige Online-Wache der Polizei erstatten. Auch HateAid bietet ein entsprechendes Meldeformular an.
"Viele stellen sich das sehr aufwendig und umständlich vor, gerade online sind es aber nur wenige Klicks", versichert Wegscheider. Erfordern Eingabemasken personenbezogene Daten, ist das für Betroffene jedoch ein sensibles Thema - gerade, wenn es etwa um die private Wohnanschrift geht. "Es geht vor allem darum, dass die Behörden einen kontaktieren können", so Wegscheider.
Doch wer Bedenken hat, durch die Angabe seiner Privatadresse gefährdet zu sein, kann auch eine c/o-Adresse angeben, also "wohnhaft bei", oder die Anschrift des Arbeitgebers. Denn tatsächlich besteht laut Wegscheider ein gewisses Risiko, dass bei einem Strafverfahren der Täter oder die Täterin über den Anwalt die Möglichkeit bekommt, Akteneinsicht zu nehmen und so an die private Anschrift gelangt.
Üble Nachrede oder Beleidigung?
Personen, die sich angefeindet sehen, müssen übrigens nicht wissen, welcher Straftatbestand genau erfüllt ist, ob es sich also beispielsweise um eine Beleidigung handelt oder um üble Nachrede. Wegscheider: "Wenn man das Gefühl hat, die Inhalte sind beleidigend, herabwürdigend, hetzend oder bedrohend, raten wir im Zweifelsfall dazu, sie anzuzeigen."
Schnelles Handeln ist dabei indes wichtig, unterstreicht IT-Fachanwalt Philipp Gabrys: "Weil die Daten nicht so lange gespeichert werden, kann sonst eventuell die IP-Adresse nicht mehr zugeordnet werden."
Und was, wenn nichts passiert und das Verfahren eingestellt wird? Nicht jeder hat einen so langen Atem wie Renate Künast, die vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zog. Selbst wenn das Verfahren eingestellt werden könnte, sei eine Anzeige wichtig, meinen Wegscheider und Gabrys. Denn auf dem Papier gebe es noch immer zu wenige offiziell dokumentierte Fälle von Hass im Netz.
"Je mehr angezeigt wird, desto mehr können wir auf struktureller Ebene argumentieren und arbeiten, weil wir eine Datenbasis haben", sagt Wegscheider. Denn dann fließen die Fälle in die Kriminalstatistik oder in die Statistik für politisch motivierte Kriminalität ein.
Im Fall Renate Künast ist übrigens seit 2022 klar: Die genannten Anfeindungen, mit denen sie es zu tun hatte, sind eindeutig Beleidigungen. (dpa/mak)
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