Millionen Deutsche tragen eine Brille. Inzwischen kämpfen sich Online-Händler mit neuen Vertriebswegen in den Optikmarkt. Aber warum eröffnen die Start-ups trotzdem noch normale Läden?
Es tut sich was im Brillenmarkt - und viele kriegen es nicht mit. Ein Laden in Berlin, Betonwände, Hornbrillen. Die Modelle heißen hier "Keith", "Floyd" oder "Ivy". Ein Mädchen probiert herum. Ob sie online Brillen kaufen würde? "Eher nicht", sagt sie. "Ich bin eher jemand, der in den Laden geht." Was sie bislang nicht wusste: Der Shop, in dem sie steht, gehört zum Start-up Ace & Tate. Und das setzt vor allem auf eins: den Verkauf im Internet.
Immer neue Optik-Unternehmen versuchen ihr Glück im Online-Handel. Mister Spex, Brille24 und andere Firmen setzen auf einen wachsenden Markt: das Geschäft mit dem Besser-Sehen. Im vergangenen Jahr wurden und 5,8 Milliarden Euro mit Augenoptik in Deutschland umgesetzt - gut 3,6 Prozent mehr als im Vorjahr, wie Zahlen des Zentralverbands der Augenoptiker und Optometristen (ZVA) zeigen. Es wurden mehr Brillen und mehr Brillengläser verkauft. Analysten sehen auch in der alternden Gesellschaft Wachtsumsperspektiven für die Branche.
Kämpfe um günstige Preise
Im Internet eine Brille bestellen, da scheinen viele aber noch skeptisch zu sein. Der Online-Handel macht bislang nur einen kleinen Teil im Optikmarkt aus: Knapp 4 Prozent des Umsatzes seien vergangenes Jahr online gemacht worden, schätzt der ZVA. Auf Kontaktlinsen entfällt davon fast die Hälfte. Und der Online-Handel ist zuletzt auch langsamer gewachsen. Läuft es online also doch schlechter als von manchen gehofft?
Neben Händlern, die Marken anbieten, werben Start-ups nun jedenfalls auch mit günstigen Eigenproduktionen. So etwa die Schweizer Firma Viu. Und auch Ace & Tate. Vor drei Jahren gründete Mark de Lange das niederländische Start-up. Er sei in New York gewesen und habe ein Brillengestell gekauft - zurück daheim wollte er sich Gläser einsetzen lassen. "Ich habe unglaublich viel für das Gestell gezahlt. Und dann noch einmal unglaublich viel für die Gläser", sagt er. Brillenpreise seien sehr intransparent - obwohl das Produkt gar nicht so kompliziert und teuer sei.
Sein Unternehmen designt die Gestelle selbst, lässt sie extern produzieren und verkauft sie dann an Kunden. Zum Preis von 98 Euro, inklusive Gläsern. Wie soll das gehen? Sie hätten bestimmte Schritte, an denen normalerweise andere Leute mitverdienten, einfach ausgelassen, sagt de Lange. Es gebe keinen Lizenzgeber, der seine Marke verkaufe, und keinen Großhändler. Und bei den Gläsern gibt es eine Standardvariante, keine größere Auswahl.
Für den Leipziger Optiker und ZVA-Präsidenten Thomas Truckenbrod sind Kämpfe um günstige Preise nichts Neues. "Nach unten geht immer", sagt er. Es habe auch früher Revierkämpfe gegeben. Was Brillen teuer mache, sei vor allem die Dienstleistung. Das Gespräch mit dem Kunden; herausfinden, warum er schlecht sehe; überlegen, welche Brille passe; das Einarbeiten der Gläser; das Anpassen an den Kopf. Das koste Arbeitskraft und Zeit.
Und auch Gläser können kosten: Die gibt es heute für spezielle Bedürfnisse, etwa um nachts beim Autofahren besser zu sehen. "Das sind wirklich Hochtechnologieprodukte." Aber auch Truckenbrod findet es schwierig, eine dicke Preisliste hinzulegen und zu sagen: Das wären dann 450 Euro - pro Glas. "Dass da der Kunde dahinschmilzt, das verstehe ich. Das muss schon ordentlich erklärt werden."
Neue Online-Händler haben es schwer
Truckenbrods Laden hat rund 1.100 Modelle, die ein Kunde anprobieren kann. "Und Sie haben jemanden neben sich, wenn Sie das wollen, der sagt: Also wissen Sie, wenn Sie mich fragen, die sieht bei Ihnen nicht toll aus." Das fällt beim Kauf im Internet weg. Online-Verkäufer haben es ohnehin schwerer: Damit Kunden Brillen anprobieren können, schicken mehrere Start-ups ihre Exemplare zur Probe nach Hause. Das ist aufwendig. Manche neuen Unternehmen kehren da auch mit eigenen Filialen in die Einkaufswelt zurück.
Mister Spex - laut Verband einer der größten Online-Händler in Deutschland - öffnete im Februar einen ersten Laden in Berlin. "Offline-Store" heißt das dann. "Es ist ein Test, es läuft sehr gut", sagt eine Sprecherin. Dort soll der Kunde auch lernen, wie der Online-Handel funktioniert - wenn er künftig noch eine weitere Brille kaufen will. Ziel vieler Unternehmen ist es nämlich, die Käufer auch zur Zweit-, Dritt- und Viertbrille zu überreden. Ein Gestell mit zwei Gläsern soll zum Mode-Accessoire werden.
Auch Ace & Tate hat bereits fünf Läden, fünf weitere sind geplant, darunter in München. Im Berliner Laden hängen laut Filialleitung rund 300 verschiedene Brillen, inklusive Sonnenbrillen. Sie verkauften etwa die Hälfte ihrer Brillen online, die Hälfte in den Läden, erklärt Unternehmensgründer de Lange. Zu genauen Verkaufszahlen schweigt er aber, wie auch andere Start-ups.
Verglichen mit den Großen auf dem Brillenmarkt dürften die Zahlen verschwindend gering sein. Und die Anzahl der Geschäfte der größten Filialisten nimmt laut ZVA immer weiter zu. Schwergewicht Nummer eins: Fielmann. Rund 700 Niederlassungen, etwa 17.000 Mitarbeiter, zuletzt gut 1,3 Milliarden Euro Jahresumsatz. Allein im ersten Halbjahr 2016 verkaufte die Optikerkette 3,93 Millionen Brillen. Das waren noch etwas mehr Brillen als im Vorjahreszeitraum.
Dagegen kommen die neuen Online-Händler nicht an. Analysten der DZ Bank schätzten in einer Analyse vom Juli, dass Online-Händler langfristig einen Absatzmarktanteil von etwa zehn Prozent erreichen könnten. Marktanteile verlieren könnten vor allem unabhängige Optiker aus dem Mittelstand: "Für die großen Filialisten – und hier ganz besonders Fielmann – sehen wir durch die Online-Anbieter nur wenig Bedrohungspotenzial." © dpa
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