"Wenn du einmal ein Smartphone hast, kannst du nie mehr darauf verzichten." Als ich noch ein Handy besaß, mit dem man nichts außer Telefonieren und SMS schreiben konnte, beteten mir meine fortschrittlichen Freunde dieses Mantra regelmäßig vor. Ich fand das immer etwas albern. Inzwischen bin ich selbst im digitalen Zeitalter angekommen und frage mich tatsächlich, ob ich noch in der Lage bin, mich ohne Apps im Leben zurecht zu finden. Deshalb habe ich den Versuch gewagt und mich zehn Tage lang in die technologische Steinzeit zurückbegeben.

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Die ursprünglichen Beweggründe für mein Experiment sind nicht ganz freiwillig. Der Kopfhörer-Ausgang meines Samsung Galaxy S3 ist kaputt und ich kann keine Musik hören. Ein untragbarer Zustand.

Vom Smartphone zur G-Shock

Ich bringe mein Gerät also zu dem Elektronikfachgeschäft, bei dem ich es vor einigen Monaten gekauft habe und lasse es zur Reparatur einschicken. Etwa zehn Tage soll es dauern. Ich habe kein Ersatz-Handy, bin aber zuversichtlich, dass das kein großes Problem darstellen wird. Ein Smartphone ist nach meiner Auffassung ein nützlicher Luxus aber keine Notwendigkeit. Zwar nutze ich Apps inzwischen für zahlreiche Lebensbereiche, habe aber bis vor wenigen Jahren auch ohne überlebt.

Schon auf dem Heimweg schaue ich zum ersten Mal dumm aus der Wäsche. Ich will wissen, wie spät es ist. Eine Armbanduhr trug ich zuletzt in der siebten Klasse. Eine G-Shock. Gewissermaßen das Smartphone ihrer Zeit. Natürlich musste es immer die mit den meisten Funktionen sein. Ich werde einen Teufel tun und wieder auf dieses klobige Monstrum zurückgreifen.

Da vibriert doch was!

Die ersten Tage beschleicht mich permanent das Gefühl, etwas vergessen zu haben. Es kommt vor, dass ich in meine Hosentasche greife und kurz erschrecke. Diese Leere fühlt sich merkwürdig an. Ich mache auch die Erfahrung der Phantomvibration. Obwohl ich genau weiß, dass ich kein Handy dabei habe, glaube ich manchmal, den Vibrationsalarm am Oberschenkel zu spüren.

Nach kurzer Zeit bin ich tierisch genervt, mir andauernd Wegbeschreibungen und Fahrtzeiten öffentlicher Verkehrsmittel einprägen zu müssen. Ich habe mich daran gewöhnt, navigiert zu werden. Noch schlimmer: Fremde Menschen an der Bushaltestelle nach der Uhrzeit fragen. Ich beginne ernsthaft, über die G-Shock nachzudenken. Wo ist die eigentlich abgeblieben?

Kommentare von Freunden und Kollegen, denen ich von meiner Abstinenz erzähle, treiben mich ebenfalls zur Weißglut: "Hast du meine WhatsApp-Nachricht gekriegt? Wieso hast du eigentlich kein Ersatz-Handy?" - Ganz einfach: Für gewöhnlich lege ich mir ein neues Gerät erst dann zu, wenn das alte kaputt oder verloren gegangen ist.

Zurück zum Wesentlichen

Allmählich merke ich, dass die unfreiwillige Technik-Askese auch positive Aspekte hat. Ich lese plötzlich wieder in der Straßenbahn. Richtige Druckwerke, aus Papier! "Candy Crush" und "Quizduell" sind schnell vergessen. Beim Kneipenabend mit Freunden führe ich längere Gespräche, ohne permanent auf die Facebook-App zu sehen oder zum Telefonieren nach draußen zu stürmen.

Verabredungen sind verbindlicher. Ein "Ich verspäte mich eine Viertelstunde"-Anruf geht ja nicht. Ich bilde mir ein, mich besser auf wesentliche Dinge konzentrieren zu können. Meine Freundin sagt, ich sei jetzt konzentrierter und – dieses Attribut wurde mir bislang selten zugesprochen - entspannter.

Nach zehn Tagen ist mein Handy wieder voll funktionstüchtig und ich kann es abholen. Natürlich freue ich mich. Gleichzeitig will ich aber nicht sofort in alte Verhaltensmuster zurückfallen. Vielleicht schalte ich das Ding künftig einfach öfter mal aus.

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