- Tai Chi als Ergänzung einer Krebstherapie, Bachblüten bei Nervosität: Gegen jedes Leiden scheint nicht nur eines, sondern gleich viele Kräuter gewachsen zu sein.
- Manche Heilverfahren haben sich als durchaus sinnvoll erwiesen, während andere Methoden im besten Fall Geldverschwendung und im schlimmsten schädlich sein können
- Die Ärztin und Autorin Natalie Grams erklärt im Gespräch mit unserer Redaktion, wie man beurteilen kann, was wirklich wirkt.
Frau Dr. Grams, wenn ich in Deutschland in eine Apotheke gehe und ein Medikament kaufe, kann ich mich darauf verlassen, dass das auch tatsächlich wirksam ist?
Natalie Grams: Leider nein, das ist aber jetzt nicht unbedingt die Schuld der Apotheken, sondern eine vertrackte Lage in unserem Arzneimittelgesetz. Es gibt durchaus Arzneimittel, die nur registriert werden müssen, die also nicht in klinischen Studien eine Wirksamkeit belegt haben müssen, um als Arzneimittel zu gelten.
Können Sie dafür Beispiele nennen?
Dazu gehören manche Hustensäfte, viele homöopathische Mittel und Schüßler-Salze oder manche Phytotherapeutika (pflanzliche Arzneimittel, Anm. d. Red.). Oft reicht eine Registrierung beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte aus. Und Dinge wie Bachblüten, die ja gar keine Arzneimittel im Sinne des Gesetzes sind, gehen einfach so über die Theke.
"Physiologisch gesehen sind homöopathische Mittel harmlos - pflanzliche Medikamente dagegen nicht immer"
Sind diese Mittel, die nicht überprüft werden, zumindest alle harmlos?
Nicht immer, aber in der Homöopathie ist es zum Beispiel so: Selbst wenn die Ursprungsstoffe giftig waren, ist die Verdünnung oft so hoch, dass davon nichts Relevantes mehr enthalten ist. Physiologisch gesehen sind sie also harmlos. Eine Gefahr sehe ich allerdings darin, dass man im guten Glauben an eine vermeintliche Wirksamkeit eine richtige Behandlung verzögert oder sogar unterlässt und damit natürlich ein gesundheitliches Risiko für sich oder auch für seine Kinder eingeht.
Pflanzliche Medikamente haben anders als Homöopathika ja durchaus eine nachgewiesene Wirkung. Wird hier zumindest sichergestellt, dass ich mich nicht daran vergiften kann, um es mal plakativ zu sagen?
Nicht so richtig. Schöllkraut ist zum Beispiel ein naturheilkundliches Produkt, das zu Leberschäden führen kann. Oder Johanniskraut: Das kann die Wirkung der Verhütungspille abschwächen und bei Überdosierung zu einer Lichtempfindlichkeit der Haut führen. Wenn man das nicht weiß, könnte man schwere Hautschäden davontragen. "Natürlich" heißt nicht immer harmlos.
"Mangelnde Wirksamkeit wird durch Werbesprüche oft aktiv verschleiert"
Sie haben ein Buch mit dem Titel "Was wirklich wirkt" veröffentlicht, in dem Sie den Lesern eine Orientierungshilfe in der Welt der alternativen Medizin geben wollen. Wie erkenne ich denn, was wirklich wirkt?
Das ist für Laien und selbst für Fachleute wie Ärzte und Apotheker wirklich nicht leicht, weil es teilweise aktiv verschleiert wird, zum Beispiel durch Werbesprüche wie "natürlich wirksam". Das ist uns über Jahrzehnte tatsächlich ein bisschen wie Propaganda eingetrichtert worden.
Es gibt ein zuverlässiges Kriterium und das ist die Frage, sind klinische Studien gemacht worden und hat man dort eine Wirkung über den Placeboeffekt hinaus festgestellt? Am besten ist es natürlich, wenn die Studien groß genug sind, wenn sie unabhängig gemacht wurden und wenn sie auch wiederholt wurden, um sicherzugehen, dass es sich nicht um ein Zufallsergebnis handelt.
Wie können sich Laien informieren, die nicht im Lesen von wissenschaftlichen Studien geschult sind?
Es gibt im Internet viele Möglichkeiten, wo man sich seriös informieren kann. Leider gibt es aber auch ganz viele irreführende Angebote, die manchmal von der Gestaltung her sogar sehr seriös aussehen. Leider gibt es da keine einfache Maßgabe, die man an die Hand geben kann. Aber alles, was zu gut klingt, um wahr zu sein, ist meistens auch nicht wahr. Bei allem, was Nebenwirkungsfreiheit, 100-prozentige Wirksamkeit, absolute Verträglichkeit verspricht, sollte man skeptisch sein. Eine gute unabhängige Seite ist zum Beispiel gesundheitsinformation.de. medizin-transparent.at ist eine sehr gute österreichische Seite. Verbraucherschutzverbände haben zum Teil gute Seiten, Stiftung Warentest ebenso.
"Es ist noch viel mehr Aufklärung nötig, auch bei Medizinerinnen"
Wir haben die Homöopathie bereits angesprochen. Können Sie kurz zusammenfassen, woran Sie festmachen, dass diese nicht wirksam ist?
Die Homöopathie ist schon in ihrem allerersten Versuch eigentlich ein Fehler gewesen und hat dann einfach ihre Denkfehler fortgeschrieben und sich immer daran festgehalten, dass die Erfahrung zeigen würde, dass es hilft. Wenn man diese Erfahrung aber in klinischen Studien objektiv überprüft, sieht man, dass die Effekte nicht deutlich genug über den Placeboeffekt hinausgehen, um daraus eine Wirkung belastbar ableiten zu können. Das ist nicht nichts. Aber es ist keine spezifisch wirksame Therapie und ersetzt auch keine solche.
Wie kommt es, dass sogar ausgebildete Ärzte ihre Patienten homöopathisch behandeln, obwohl es keinen ausreichenden Wirksamkeitsnachweis der Homöopathie gibt?
Da kann ich aus meiner eigenen Erfahrung sprechen. Ich habe auch, obwohl ich medizinisch und wissenschaftlich ausgebildet bin, früher nicht erkannt, wo die Denkfehler der Homöopathie liegen. Ich habe das als eine Art Extrawissen, das vielleicht nicht naturwissenschaftlich erklärt werden kann, aber durch die Erfahrung belegt ist, gesehen. Man kann gut damit verdienen, Krankenkassen erstatten es, in Apotheken ist es vorrätig, an Unis wird es gelehrt – was soll daran schon schlecht sein? Und da ist noch viel mehr Aufklärung nötig, auch bei Medizinerinnen.
"Das Problem liegt auch in der unkritischen Lehrweise an der Universität"
Sie sagten gerade, Homöopathie werde an Unis gelehrt: Wird dabei klargestellt, dass sie aus wissenschaftlicher Sicht nicht wirksam ist?
Naturheilkunde ist ein kleines Prüfungsfach, und ein wiederum sehr kleiner Teil davon ist die Homöopathie. Es ist aber mitnichten so, dass immer darauf hingewiesen wird, dass die Annahmen der Homöopathie einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten und nur noch ein medizinhistorisches Thema sein sollten. Man lernt einfach das Prinzip, es wird als eine Lehre innerhalb der Medizin vorgestellt. Oft machen homöopathische Ärzte diesen Teil der Vorlesung und das hört sich ja auch nicht der Studiendekan an und sagt: "was erzählen Sie denn da?" Es ist auch niemandem wichtig genug. Man erkennt noch viel zu wenig, dass bereits das ein Teil des großen Problems ist.
Ich bin jetzt wirklich überrascht zu hören, dass Inhalte an Unis gelehrt werden, ohne dass darauf hingewiesen wird, dass sie nicht belegt sind.
Das Informationsnetzwerk Homöopathie hat teilweise schon angeboten, den kritischen Teil bei den Homöopathie-Vorlesungen zu übernehmen und gesagt, es ist ja okay, wenn ein Homöopath spricht, aber lasst uns doch auch den kritischen Teil einmal vorstellen. Keine Uni und auch keine Ärztekammer hat das bislang akzeptiert. Da gibt es wohl eine starke Lobby, die ihre Pfründe zu sichern weiß.
Wie lässt sich das ändern?
Ein Ende würde das wohl nur finden, wenn die Homöopathie als relevantes Thema aus der ärztlichen Approbationsordnung verschwinden würde. Eine Sache ist mir aber sehr wichtig: Ich bin weit davon entfernt, alle alternativmedizinischen Methoden zu verdammen – oder Fehler der "Schulmedizin" kleinzureden. Auch mit meinem Buch möchte ich wirklich einen Kompass anbieten, für sich selbst eine gute Gesundheitskompetenz zu entwickeln und gute Entscheidungen zu treffen. Ich möchte niemanden etwas wegnehmen, und ich sage bestimmt nicht, dass alles, was die Medizin macht, toll wäre und es da nichts zu kritisieren gäbe.
Was halten Sie von der Behauptung, dass eine gierige Pharmaindustrie dadurch mehr Geld verdienen möchte, dass sie einfache Mittel wie Homöopathika verleumdet und verdrängt?
Im Jahr 2018 wurden in Deutschland etwa 670 Millionen Euro brutto mit Homöopathika umgesetzt. Und das schließt noch nicht die homöopathischen Behandlungen ein, an denen die Ärzte ja deutlich mehr Geld verdienen als mit der reinen Kassenbehandlung pro Quartal. Oftmals sind es ja auch Pharmafirmen, die Homöopathika herstellen und die natürlich auch daran verdienen möchten, deswegen auch viel in PR und Werbung investieren. Es gab ja kürzlich diesen großen Eklat mit einer Apotheke, die aus einem COVID-Impfstoff ein homöopathisches Mittel hergestellt hat. An dem Beispiel sieht man, dass sich dieser Mythos der "guten" Alternativmedizin ganz schnell umkehren kann. Hier wird ein nicht wirksames, angebliches Medikament verkauft, das der Patient selbst bezahlen muss, während man die COVID-Impfstoffe, die wirklich wirksam sind, momentan gratis bekommt und damit wirklich geschützt ist.
"Es gibt keine sanfte und harte Medizin, sondern nur wirksame und unwirksame"
Befürworter der Homöopathie sind ja oft Menschen, die nach einer sanften Heilmethode suchen, weil sei beispielsweise ihren Kindern helfen und ihnen Nebenwirkungen ersparen möchten.
Es gibt leider keine Möglichkeit, in der Medizin zwischen sanfter und harter Medizin zu unterscheiden. Es gibt nur wirksame Medizin und nicht Wirksames. Und es gibt indizierte Medikamente und unnötige Medikation. Wenn ich einem Kind bei einem viralen Schnupfen ein Antibiotikum verordne, dann ist das schlechte Medizin, selbst wenn das Antibiotikum an der richtigen Stelle wirken könnte. Genauso sind bei einer eitrigen Mittelohrentzündung Globuli absolut schlechte Medizin, selbst wenn sie nebenwirkungsfrei sind.
Ihr Rat an Eltern?
Manchmal ist auch mal abwarten und gar nichts geben die gute Medizin. Ich bin ja auch Mutter von drei Kindern, ich kann es gut nachfühlen, dass man nicht immer etwas geben will, aber dann gibt man eben wirklich nichts. Man kann durch falsche Heilsversprechen wie die der Homöopathie abgelenkt werden, und dann bringt man den Kindern bei, bei jeder Bagatelle müssten sie immer etwas einnehmen. Man kann doch den Kindern auch beibringen: Guck mal, das allermeiste schafft dein Immunsystem alleine und ich bin bei dir und unterstütze dich.
"Bewegung und Meditation sind wirksame Komplementärverfahren"
Können Sie ein paar Beispiele nennen, bei welchen naturheilkundlichen Verfahren die Wirksamkeit in wissenschaftlichen Studien nachgewiesen wurde?
Bei der Phytotherapie, also bei pflanzlichen Heilstoffen, gibt es einige, bei denen eine Wirksamkeit nachgewiesen wurde. Ich habe Johanniskraut bereits erwähnt. Ingwer kann wirksam gegen Übelkeit bei der Chemotherapie sein. In dem Bereich gibt es Nachweise, aber nicht so häufig wie man landläufig glaubt. Aber hier ist ja durchaus mehr Forschung möglich. Und was mich besonders gefreut hat: Alles, was man in Richtung Bewegung tut, ist für die Gesundheit förderlich. Ob das nun Yoga ist oder Tai Chi oder Qigong, ist wohl gar nicht so erheblich. Man muss aber sagen, dass das komplementäre Verfahren sind.
Was bedeutet das?
Man sollte nicht die Krebstherapie unterlassen und stattdessen nur Yoga machen. Man hat aber möglicherweise ein besseres Ergebnis einer Krebstherapie, wenn man begleitend dazu Yoga macht – schon allein, was die Lebensqualität betrifft. Entspannungsverfahren wie Meditation können mitunter auch helfen. Das zeigt, dass gute Medizin nicht immer eine Pille sein muss. Man kann wirklich viel für sich selbst tun, ohne dass man eine Medizin einnehmen muss.
Über die Expertin:
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