Braunlage/Göttingen - Ponys in Altenheimen, Trampeltiere in Krankenhäusern, Alpakas im Baumarkt - immer häufiger tauchen große Tiere an ungewöhnlichen Orten auf. Oft geht es dabei um die Behandlung von Depressionen, Angststörungen oder anderen psychischen Krankheiten - sogenannte tiergestützte Interventionen.
Häufig sind es aber auch Freizeitangebote, die die Tiere in Städte und Dörfer bringen - etwa Alpaka-Wanderungen, wie es sie inzwischen in ganz Niedersachsen gibt. Wie viel Therapie steckt also hinter den tierischen Angeboten?
"Tiergestützte Intervention funktioniert", sagt Ingrid Stephan. Sie ist Leiterin des Instituts für soziales Lernen mit Tieren in Lindwedel in der Region Hannover. Unter anderem bei Trauma-Patienten wie Geflüchteten aber auch in Pflege- und Seniorenheimen sei die Arbeit mit den Tieren erfolgreich. Tiergestützte Intervention gebe es seit 20 bis 25 Jahren, zuletzt sei die Aufmerksamkeit dafür aber gestiegen. "Viele Studien belegen den Erfolg", sagt Stephan.
Standardmäßig keine Kostenübernahme
Wichtig sei, dass es sich bei der tiergestützten Intervention um keine Therapie handele. Statt von Patienten wird in der Branche von Klienten gesprochen. Krankenkassen übernehmen Behandlungen nicht standardmäßig. Die Anbieter der tierischen Angebote sind für gewöhnlich als Fachkraft für tiergestützte Intervention ausgebildet. Stephans Institut bot den Lehrgang als erstes in Europa an, sagt sie. Das Tier sei als Medium zu verstehen, ersetze nicht den Therapeuten oder Psychiater. Dennoch setzen immer mehr Kliniken oder Reha-Einrichtungen auf die Zusammenarbeit mit den Tierpädagogen.
Durch den Harz bei Braunlage streifen regelmäßig Alpakas. Statt um eine Behandlung geht es dort in erster Linie um das Erlebnis, sagt Anke Landschreiber. Sie ist Inhaberin von Alpakharz, einem Anbieter für geführte Wanderungen mit Alpakas. Seit März 2021 gibt es die Touren. "Das Thema ist gerade im Kommen", berichtet Landschreiber, die einen Alpaka-Sachkundenachweis hat. Kein Wunder, schließlich seien die Tiere unwiderstehlich: "Alpakas sehen aus wie langhalsige Teddybären".
Alpakas wählen Route und Entscheiden
Die meisten ihrer Kunden würden für einen kurzen Moment dem Alltag entfliehen wollen. "Es beruhigt, die Tiere zu streicheln und sich auf sie einzulassen. Das hat durchaus etwas Therapeutisches." Denn: Bei den Wanderungen würden die Tiere mit den Menschen gehen - nicht andersherum. Die Alpakas würden die Route wählen und entscheiden, wann sie eine Pause einlegen.
Dahinter steckt auch ein Tierschutzgedanke: Die Alpakas sollen nichts machen, was sie nicht wollen. Deshalb machten die 13 Tiere höchstens zwei Touren pro Tag, mindestens an einem Wochentag sei Ruhetag. In der Natur würden Alpakas allerdings bis zu 13 Kilometer täglich laufen. "Und auch bei jeder Witterung - genauso wie die meisten unserer Kunden", erklärt Landschreiber.
Auch in der tiergestützten Intervention würden nur Tiere eingesetzt, die Spaß daran haben, betont Institutsleiterin Ingrid Stephan. Der Deutsche Tierschutzbund meint, dass Alpakas nur bedingt für Wanderungen mit Menschen geeignet sind, weil sie Körperkontakt lieber vermeiden. Allerdings: Bei früher Gewöhnung und korrekter Ausbildung seien Einsätze mit artgerecht gehaltenen Alpakas möglich. Tiere wie Esel, Pferde und Ponys seien gut für die tiergestützte Intervention geeignet. Grundsätzlich sollten keine Wildtiere eingesetzt werden.
Entsprechende Ausbildungen sind gefordert
Wichtig sei, dass die Tierhalter über entsprechende Ausbildungen für die Tierhaltung und die tiergestützte Intervention verfügen. Da es noch keine einheitlichen Qualitätsstandards gebe, könne die Qualität der Ausbildungen jedoch stark schwanken, sagte eine Sprecherin des Tierschutzbundes.
Einer, der tiergestützte Intervention anbietet, ist Heiko Bock. Auf seinem Hof nördlich von Göttingen hält er eine bunte Mischung von Tieren: Pferde, Schweine, Trampeltiere, Katzen. Er arbeitet mit Psychologen, Seniorenheimen, der Uniklinik in Göttingen oder Reha-Kliniken zusammen - offenbar mit Erfolg. "Rund 1500 Patienten haben seit Beginn erfolgreich teilgenommen", teilten etwa die Paracelsus-Rehakliniken in Bad Gandersheim mit, die seit über zwei Jahren mit Bock zusammenarbeiten.
Erst einmal könne jeder behandelt werden, sagt Bock. Ob die Arbeit mit den Tieren letztlich eine positive Wirkung habe, hänge von jedem Klienten selbst ab. Erfolg sei für jeden etwas anderes. "Wer Schlafstörungen hat, ist vielleicht schon zufrieden, wenn er dreimal in der Woche sechs Stunden am Stück schlafen kann." Und eine Erfolgsgarantie gebe es nicht. Einige seiner Klienten hätten auch abgebrochen, bei einem habe sich die Angsterkrankung verstärkt.
Behandlung individuell wie die Erkrankung
Mentale Krankheiten seien sehr individuell. Deshalb sei auch keine Behandlung gleich, sagt Bock. "Meist weiß ich vorher, welche Erkrankung meine Klienten haben - wir entscheiden trotzdem individuell, was wir tun", erklärt er. Eine Stunde dauert eine Einheit bei Heiko Bock. Drei Monate treffe man sich einmal wöchentlich, danach meist seltener oder auch gar nicht mehr.
Bei den Treffen wird zum Beispiel Ball mit Schweinen gespielt, mit Alpakas oder Eseln durch Ortschaften spaziert oder gleich durch einen Baumarkt. "Wenn wir mit Alpakas durch den Ort wandern, wissen die Klienten, dass sie wegen der Tiere und nicht wegen sich selbst von anderen angeschaut werden - das ist heilsam." Die Tiere würden den Menschen zudem das Gefühl nehmen, zu einer Therapie zu gehen, erklärt Ingrid Stephan.
Von den Tieren könnten die Klienten etwas für sich lernen. "Schweine sind zum Beispiel Tiere, die einerseits hochintelligent sind und sehr auf sich achtgeben - andererseits empfinden sie sich nie als zu dick", sagt Bock. Das lehre einerseits Respekt, wenn Klienten erkennen, dass ein Schwein mehr als nur ein Schnitzel sei, und andererseits Selbstrespekt, wenn sie sehen, wie das Schwein sich selbst wahrnimmt. Bock sagt: "Ich versuche den Menschen mit Hilfe der Tiere neue Sichtweisen aufzuzeigen." © dpa
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