- Assistenzhunde können das Leben von Menschen mit Behinderung erheblich erleichtern. Dazu gehören auch solche, die für Menschen mit psychischen Erkrankungen ausgebildet werden.
- Seit Juni 2021 ist ein Gesetz in Kraft, das allen Assistenzhunden viele Rechte einräumt. Ihnen wird jedoch noch immer häufig der Zugang zu öffentlichen Orten verwehrt.
- Eine Assistenzhundehalterin und eine Ausbilderin erzählen von ihrem Alltag und wie sich das Leben von Betroffenen dadurch verändert.
Sie ist weder blind noch auf einen Rollstuhl angewiesen, dennoch hat sich Natascha Foellmer für einen Assistenzhund entschieden. "Er gibt mir Unterstützung", sagt sie im Interview mit unserer Redaktion. Dass sie diese Unterstützung im Alltag braucht, sieht man ihr äußerlich nicht an: Die 38-Jährige ist an einer Angststörung erkrankt. "Für mich geht es darum zu wissen: Wenn es gar nicht mehr geht, ist jemand da."
Wird sie zum Beispiel von einer Panikattacke überfallen, führt ihr Golden Retriever Buddy sie zu einem Ausgang oder ruhigen Ort. Das lernt er derzeit in seiner Ausbildung beim Deutschen Assistenzhundezentrum in München. "Für mich ist vor allem der Körperkontakt zu ihm sehr wichtig, dann komme ich wieder runter", sagt Foellmer.
Angefangen hat es vor rund 16 Jahren auf einer Rolltreppe zur U-Bahn in München. Plötzlich hatte sie das Gefühl, umzukippen. Sie geriet in Panik. Der Moment ging vorbei, doch die Angst blieb - und sie wird schlimmer. "Das ging irgendwann so weit, dass ich das Haus nicht mehr verlassen konnte", sagt sie.
Sie will sich helfen lassen, hat verschiedene Ärzte und Therapeuten aufgesucht. Eine Verhaltenstherapie bringt Jahre später erste Fortschritte, doch weg ist die Angst nicht. "Ich war zu keiner Zeit wirklich frei. Die Krankheit hat mein Leben immer eingeschränkt."
"Der Therapeut ist nicht immer dabei, der Hund schon"
Auf der Suche nach einem Weg, besser mit der Krankheit leben zu können, stieß sie auf einen Artikel über Assistenzhunde. So kam Buddy in ihr Leben. Der Hund ersetzt zwar keine Therapie, erleichtert ihren Alltag aber enorm: "Der Therapeut ist ja nicht immer dabei, der Hund schon." Seit anderthalb Jahren begleitet Buddy sie überall hin – sofern man ihn lässt.
Denn oft sind sie beim Zugang zu Supermärkten, Kinos oder Restaurants auf die Kulanz der Inhaber angewiesen. Da Buddy noch in Ausbildung ist, hat er nicht viel mehr Rechte als jeder normale Haushund. Fertig ausgebildete Assistenzhunde hingegen sind seit Juni 2021 durch das Teilhabestärkungsgesetz mit Blindenführhunden gleichgestellt.
Damit sind sie von der Hundesteuer befreit und dürfen sich an Orten aufhalten, an denen Hunde sonst verboten sind. Damit man sie erkennt, tragen sie Westen mit dem Logo des Verbands, bei dem die Ausbildung absolviert wurde. Doch im Alltag wird auch ihnen noch häufig der Zutritt verwehrt, weiß Jana Bosch vom Deutschen Assistenzhundezentrum.
Der Verein bildet verschiedene Arten von Assistenzhunden aus, seit 2008 auch für Menschen, die unter posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) und anderen psychischen Erkrankungen leiden. Die Nachfrage sogenannter PTBS-Assistenzhunde wie Buddy steigt. Dennoch sind sie noch immer weitaus weniger bekannt als etwa Blindenführhunde – auch bei Betroffenen.
Assistenzhunde machen das Leben wieder lebenswert
Dabei können PTBS-Assistenzhunde Menschen wie Natascha Foellmer viel Freiheit, Selbständigkeit und damit Lebensqualität zurückgeben. "Viele Betroffene erzählen mir, dass ihr Assistenzhund ihr Leben wieder lebenswert gemacht hat", sagt Jana Bosch. "Ein Assistenzhund verändert das Leben von vielen Menschen dramatisch zum Besseren."
Die Ausbildung des Hundes wird individuell auf die Bedürfnisse des Halters oder der Halterin abgestimmt: Assistenzhunde können PTBS-Betroffene aus Albträumen aufwecken oder aus dissoziativen Zuständen herausholen: "Zum Beispiel durch Anspringen oder Ablecken der Hand, je nachdem, was eben hilft." Sie suchen die Wohnung vor dem Eintreten nach fremden Personen ab, halten als freundliche Platzhalter andere Kunden im Supermarkt auf Abstand oder suchen den Ausgang, wenn der Mensch in Panik nicht mehr selbst dazu in der Lage ist.
Die Kosten für die Ausbildung eines Assistenzhunds ohne Anschaffungskosten liegen zwischen 2.000 und 3.000 Euro bei Selbstausbildung und 15.000 bis 25.000 Euro für einen fertig ausgebildeten Hund. Bei letzterer Variante wachsen die Welpen bis zu 18 Monate bei einem Hundetrainer auf.
In der Selbstausbildung leben Hund und Halter oder Halterin zusammen und trainieren gemeinsam, angeleitet von einem spezialisierten Assistenzhundetrainer. Wie lange die Selbstausbildung dauert, hängt laut Jana Bosch, die sowohl Assistenzhunde als auch Nachwuchstrainer ausbildet, vom Alter des Hundes, der Erfahrung des Halters oder der Halterin und dem jeweiligen Ausbildungsziel ab.
Der eigene Hund kann zum Assistenzhund ausgebildet werden
Hat die betroffene Person bereits einen Hund, könne auch dieser zum Assistenzhund ausgebildet werden, sofern er einen Eignungstest besteht. "Ein geeigneter, ausgewachsener Hund braucht vielleicht nur noch ein halbes Jahr Ausbildung. Dann können die Kosten sogar unter 1.000 Euro liegen", betont sie.
Lebt noch kein Hund im Haushalt, empfiehlt Jana Bosch, den Welpen von einem erfahrenen Assistenzhundetrainer aussuchen zu lassen, das erhöhe die Erfolgschancen enorm. Denn nicht jeder Hund ist für jeden Einsatzzweck geeignet. Der Hund muss zum Halter oder zur Halterin und seiner jeweiligen Aufgabe passen. "Wer Angst vor Menschen hat, will vielleicht keinen Hund, der begeistert auf Fremde zugeht."
Golden Retriever und Labradore werden schon seit Jahren als Assistenzhunde ausgebildet. Auch Collies, Pudel und Doodles, also Hybride aus Pudeln und einer anderen Rasse, kämen oft zum Einsatz.
Häufig wünschten sich Betroffene einen Border Collie oder Australian Shepherd, "aber diese Rassen sind sehr schwer auszulasten und daher nicht unbedingt geeignet für diese Rolle", erklärt Bosch. Nur nach Rasse, Aussehen oder gar Mode zu entscheiden, sei ein Fehler.
Dass für Assistenzhunde im Alltag trotz des neuen Gesetzes noch immer viele Türen verschlossen sind, liegt auch daran, dass es bislang keine zentrale staatliche Prüfung gibt. Entsprechende Prüfstellen und Register sollen ab 2023 aufgebaut werden.
Nach Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales greift das Assistenzhundegesetz aber auch heute schon, sofern bei der Prüfung die Standards der Dachverbände ADI/ADEu und IAADP eingehalten werden, nach denen sich viele Ausbildungsstätten wie etwa das Deutsche Assistenzhundezentrum, VITA Assistenzhunde oder Hunde für Handicaps bereits richten. Diese Hunde werden auch nach Einführung der staatlichen Prüfstellen ihre Rechte behalten.
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Nicht jeder psychisch Erkrankte hat Anrecht auf einen Assistenzhund
Doch nicht nur an den Hund und die Ausbildung werden konkrete Anforderungen gestellt, auch der Halter oder die Halterin muss Vorgaben erfüllen. Bevor man sich einen Assistenzhund anschafft oder die Ausbildung beginnt, sollte man daher unbedingt klären, ob überhaupt ein Anrecht besteht. "Entscheidend ist, wie stark die Person durch ihre Erkrankung eingeschränkt ist", erklärt Jana Bosch.
"Der Assistenzhund muss Aufgaben erfüllen, ohne die die Person im Alltag nicht zurechtkommt." Das sei bei einer Angststörung oder Depression nicht automatisch so. Im schlimmsten Fall hat man viel Zeit und Geld in einen Assistenzhund investiert, der nicht als solcher anerkannt wird. Eine Unterstützung kann der Hund für den Betroffenen zwar dennoch sein, besondere Rechte hat er dann aber nicht.
Selbst wenn ein Anrecht besteht, übernehmen Krankenkassen die Kosten für Assistenzhunde bislang nicht. Das werde sich durch das neue Assistenzhundegesetz zwar ändern, sagt Bosch, aber voraussichtlich noch einige Zeit dauern: "Ich rechne erst in fünf bis sieben Jahren damit." Betroffene können aber Unterstützung beim Fonds der Bundesregierung oder Vereinen und Stiftungen anfordern, darunter etwa beim Weißen Ring.
"Lebt der oder die Betroffene alleine, ist es schwierig"
Auch wenn die Selbstausbildung aufgrund der geringeren Kosten als der attraktivere Weg zum Assistenzhund erscheint, ist er nicht unbedingt für jeden geeignet. "Das ist viel Arbeit und natürlich nicht für jeden möglich", weiß Natascha Foellmer. "Insbesondere, wenn er gerade voll in der Angst ist und das Haus nicht verlassen kann." Und es gibt noch einen weiteren Punkt, über den sich potenzielle Halter und Halterinnen vorher im Klaren sein müssen, betont Jana Bosch: "Es muss immer sichergestellt sein, dass der Hund im Notfall versorgt wird." Gerät der Halter oder die Halterin in eine schwierige Phase, muss immer jemand bereitstehen, der sich kümmert. "Lebt der oder die Betroffene alleine und hat kein Netzwerk, ist es in der Tat schwierig."
Natascha Foellmer hat für diesen Fall mit ihrem Umfeld einen Notfallplan ausgearbeitet. "Hätte ich diese Fragen nicht mit Ja beantworten können, hätte ich es nicht gemacht", sagt sie. "Der Hund darf nicht unter der Situation leiden." Auch mit der Selbstausbildung klappt es in ihrem Fall gut, in rund einem halben Jahr soll Buddy die Prüfung ablegen. Foellmer hofft, dass sie und Buddy im Alltag dann nicht mehr so oft vor verschlossenen Türen stehen.
"Wenn man ohnehin schon leidet, jeder Schritt vor die Tür eine Herausforderung ist und man dann noch jedes Mal an der Tür des Supermarkts diskutieren muss … das sollte einfach nicht so sein." Als Vorbild dienen Länder wie die USA oder England. Niemand stelle es dort infrage, wenn man in Begleitung eines Assistenzhundes auftauche, weiß Jana Bosch. Aber auch in Deutschland habe es in den vergangenen Jahren schon eine Entwicklung gegeben: "Das Bewusstsein wächst, aber es braucht noch ein bisschen mehr Aufklärungsarbeit."
Verwendete Quellen:
- Telefoninterview mit Natascha Foellmer
- Telefoninterview mit Jana Bosch vom Deutschen Assistenzhundezentrum
- Schriftliche Anfrage an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales
- Homepage des Deutschen Assistenzhundezentrums
- Gesetzestext zum Teilhabestärkungsgesetz
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