Das Abendessen ist für viele Menschen die wichtigste Mahlzeit des Tages. So auch für mich. Im Gegensatz zum hastigen Frühstück oder Mittagessen im Büro hat man abends Zeit, um gemütlich mit Freunden oder Familie zu schlemmen. Schwer, darauf freiwillig zu verzichten! Trotzdem lassen Anhänger des sogenannten Dinner Cancellings das Abendessen komplett ausfallen. Phasen des Hungerns sind laut Experten nämlich richtig gut für die Gesundheit - und natürlich für die Figur. Wie viel man damit abnimmt? Ich habe es ausprobiert.
Mit 22,5 ist mein Body-Mass-Index (BMI) genau in der Mitte des Normalbereichs. Von Übergewicht bin ich damit weit entfernt, das ist mir klar. Trotzdem hätte ich nichts gegen ein, zwei Fettpölsterchen weniger. Es geht mir jedoch nicht nur ums Abnehmen: Manche Ernährungswissenschaftler sind sich sicher, dass ein BMI an der Untergrenze des Normalbereichs für optimale Gesundheit sorgt. Um diesen BMI von etwa 20 zu erreichen, müsste ich ganze acht Kilo abnehmen. Ein bisschen viel für meinen Geschmack, so wenig habe ich zuletzt vor der Pubertät gewogen. Mit drei Kilo weniger auf der Waage wäre ich schon mehr als zufrieden. Dafür, beschließe ich, muss es reichen, für die nächsten zwei Monate das Abendessen an den meisten Tagen der Woche wegzulassen und ansonsten ganz normal zu essen. Eine nicht ganz zielführende Methode, wie sich noch herausstellen wird.
Die einfachste Diät der Welt
Dinner Cancelling, auch Abendfasten genannt, ist simpel. Wichtig ist, dass zwischen dem Frühstück und der letzten Mahlzeit am Vortag mindestens 14 Stunden liegen. Vor 18 Uhr vertilge ich einen letzten Snack - meist Joghurt mit Obst. Ab 20 Uhr fängt mein Magen an zu grummeln, da helfen auch literweise Wasser nicht. Der leere Bauch ist aber nicht mein Hauptproblem: Schwierig ist Dinner Cancelling vor allem dann, wenn man verabredet ist. Klar, miteinander zu essen ist jetzt tabu. Doch auch die Getränkeauswahl ist verzwickt. Während meine Freunde Latte Macchiato, Schorle oder Bier schlürfen, fülle ich meinen Magen mit Tee.
Wenn nur der Futterneid nicht wäre! Aber der fressfreie Abend zeigt schnell angenehme Seiten: Ich habe beim Zubettgehen zwar leichten Hunger, schlafe aber trotzdem weit besser als nach einem späten Abendessen. Schon am ersten Morgen fühle ich mich schlanker und – was mich wundert – ich habe mehr Energie. Somit hat Hunger auf mich tatsächlich mehr positive als negative Auswirkungen. Natürlich nur deswegen, weil der Verzicht zeitlich begrenzt ist.
Weniger Kalorien, längeres Leben?
Prof. Andreas Pfeiffer von der Charité Berlin ist einer der Experten, die die Wichtigkeit des Hungerns für unsere Gesundheit erforschen. "Man weiß, dass die Lebensdauer beispielsweise von Würmern, Spinnen oder Mäusen verlängert wird, wenn man sie hungern lässt", erklärt er. Die positiven Effekte gelten ebenfalls für den Menschen - wenn dessen Lebensdauer auch nicht zwangsläufig erhöht wird: "Die Menschen werden durch Kalorienrestriktion wahrscheinlich nicht älter, aber sie sind gesünder", sagt Pfeiffer, der die Abteilung Endokrinologie, Diabetes und Ernährungsmedizin der Charité leitet.
Um das Überleben zu sichern, schaltet die Zelle in Zeiten des Mangels auf ein Selbstreinigungsprogramm um: Sie frisst Überflüssiges und potenziell Krankmachendes auf und hält den Körper dadurch intakt. Dabei kommt es vermutlich nicht darauf an, welche der täglichen Mahlzeiten weggelassen wird: "Es ist unklar, welche Bedeutung es für den Stoffwechsel hat, ob man früh oder spät isst. Darüber gibt es wenig Daten", meint Pfeiffer. Die entscheidende Rolle spielt also die verringerte Kalorienzufuhr im Allgemeinen.
Einen beeindruckenden Nachweis für deren positive Effekte liefern die Mitglieder der "Calorie Restriction Society" (Gesellschaft für Kalorienrestriktion) in den USA. Sie bleiben bis zu 20 Prozent unter dem konventionell empfohlenen Kalorienbedarf und liegen mit einem BMI von etwa 20 im unteren Normalbereich. Wie gesund das ist, zeigen Untersuchungen: Die Mitglieder haben im Vergleich zu Menschen mit einem BMI von 25 (obere Grenze des Normalbereichs) einen niedrigeren Cholesterinspiegel, einen niedrigeren Blutdruck und eine höhere Insulinempfindlichkeit. Genau diese Parameter entscheiden über viele Krankheiten wie Atherosklerose, Diabetes oder Krebs und verschlechtern sich bei Übergewicht enorm.
Traumgewicht? Fehlanzeige
Das Essen öfter mal ausfallen zu lassen, ist also gesund – anfangs aber extrem ungewohnt. Mir fehlt ein wichtiger Teil meiner Abendgestaltung. Aber gut, dann bleibt mehr Zeit für andere Dinge. Dinge wie die Steuererklärung oder den Anruf bei Oma zum Beispiel. Am Ende schaue ich doch nur fern und trinke. Nein, natürlich keinen Alkohol, der mir abends ebenso verboten ist wie alle anderen kalorienhaltigen Getränke. Ich trinke Tee, Tee, Tee - selbstverständlich ohne Zucker. Das ist das einzige Geschmackserlebnis – außer Zähneputzen –, das ich mir abends gönnen darf.
Doch jeden Morgen macht sich die Askese ein bisschen bezahlt, dann nämlich, wenn die Waage weniger anzeigt als am Tag zuvor. Ein linear steigendes Wohlgefühl bleibt trotzdem aus. Die Tage, an denen ich aufs Abendfasten pfeife, sorgen für zackige Ausreißer auf der Waage.
Es geht also nur laaaangsam bergab mit meiner Körpermasse. Die idealen, wenn auch nie wirklich angestrebten acht Kilo rücken in unerreichbare Ferne. Vielmehr fällt die Bilanz weit enttäuschender aus: Nach zwei Monaten bin ich gerade mal ein Kilo leichter, dafür aber ein bisschen schlauer. Ich habe gelernt, dass man durch Dinner Cancelling nur mit eiserner Disziplin schnelle Diäterfolge erzielt. Das ist nichts für mich.
Trotzdem macht sich ein neues Körpergefühl breit: Es tut gut, Hunger einfach mal auszuhalten. Genialer Nebeneffekt: Essen wird wieder zu etwas Wertvollem, ein einfaches Mahl zum Hochgenuss. Auch schaffe ich es immer öfter, die Gabel beiseitezulegen, bevor ich fast platze. Dabei kommt vielleicht kein BMI von 20 heraus. Dafür kann ich endlich wieder meiner abendlichen Lieblingsbeschäftigung nachgehen: Lecker essen und das am besten in netter Gesellschaft.
Lesen Sie auch: Wie wichtig ist das Frühstücken wirklich? Das ist die uneindeutige Antwort der Wissenschaft
Sie haben eine tolle Idee, welche Gesundheits- und Ernährungstipps, Fitnessgeräte oder Kurse unsere Redakteurin unbedingt ausprobieren sollte? Schreiben Sie uns an gesundheit@1und1.de.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.