Erst Mitte Juli wurde ein 13-Jähriger leblos aus der Ruhr in Essen gezogen. Tragische Meldungen von Badeunfällen häufen sich. Warum sind die Werte so hoch? Weshalb ertrinken Menschen und wie verhalten wir uns im Notfall richtig? Andreas Rösch, Vorsitzender der DLRG München-Mitte, liefert im Interview mit unserer Redaktion Antworten.

Ein Interview

Im Jahr 2022 sind 56 mehr Menschen in Deutschland ertrunken als noch im Jahr zuvor. Zudem hat die Deutsche-Lebensrettungs-Gesellschaft (DLRG) im letzten Jahr so viele Menschen vor dem Ertrinken bewahrt, wie seit fast 40 Jahren nicht.

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Herr Rösch, gibt es einen Grund dafür, dass die Zahl der ertrunkenen Personen im Vergleich zum Vorjahr gestiegen sind?

Andreas Rösch: Trends abzuleiten, ist in diesen Fällen immer schwer, weil das von sehr vielen Faktoren abhängt. Anhand unserer Einsatzzahlen lässt sich jedoch erkennen, dass durch die Hitzesommer mehr Menschen an den Seen sind und entsprechend mehr passiert.

Schwimmabzeichen
Die Schwimmabzeichen: Frühschwimmer (Seepferdchen), Deutsches Schwimmabzeichen Bronze (Freischwimmer), Deutsches Schwimmabzeichen Silber und Deutsches Schwimmabzeichen Gold © IMAGO/STPP & Getty/iStockphoto/Cn0ra - Fotomontage: 1&1 Mail & Media

Sind es eher Nicht-Schwimmer, die ertrinken? Man hört immer wieder, dass gerade Kinder aufgrund der Corona-Jahre nicht schwimmen lernen konnten.

Man weiß nicht immer, warum eine Person ertrinkt. Generell hatte die DLRG München-Mitte in den Corona-Sommern ihre bisherigen Rekordzahlen, was Einsätze anging, weil die Leute nicht in den Urlaub gefahren sind. Mit Todesfolge waren es jedoch nicht mehr. Dennoch, die lange Schließung von Hallenbädern war nicht gut. Viele Grundschulkinder können noch nicht schwimmen und man muss ganz klar sagen, Schwimmen ist überlebenswichtig. Jedes Kind sollte dringend schwimmen lernen – das sollte genauso eine Grundfertigkeit sein wie Rad fahren.

"Das Seepferdchen besagt nicht, dass ein Kind ein sicherer Schwimmer ist."

Andreas Rösch, Vorstandsvorsitzender der DLRG-München-Mitte

Ab wann kann ein Kind denn unbeobachtet im Wasser sein?

Bei der DLRG ist das erste Schwimmabzeichen das Seepferdchen. Es gibt andere Anbieter, die Abzeichen bei deutlich niedrigeren Leistungen vergeben, oft mit ähnlich klangvollen Tiernamen versehen. Das ist aus Sicht des Schwimmkönnens schwierig. Die Eltern denken dann möglicherweise, ihr Kind sei ein sicherer Schwimmer – was aber nicht der Fall ist und zu Unfällen führen kann. Wir als DLRG sagen sogar, dass das Seepferdchen nicht besagt, dass ein Kind ein sicherer Schwimmer ist. Das Seepferdchen ist nur 25 Meter geradeaus im Hallenbad schwimmen und weitere kleine Aufgaben. Dieses Können reicht nicht, wenn du im See bist und dir die Kraft ausgeht. Erst mit dem Deutschen Schwimmabzeichen Bronze ist man ein sicherer Schwimmer. Wir raten davon ab, ein Kind unbeaufsichtigt im See baden zu lassen, das nur das Seepferdchen hat.

Gibt es sonst irgendwelche Auffälligkeiten bei den Ertrinkungsfällen?

Vom Ertrinken besonders gefährdet sind Senioren mit einer Vorerkrankung am Herzen. Was noch auffällt, ist, dass es in der Mehrzahl Männer sind und da könnte ich mir vorstellen, dass Männer möglicherweise leichtsinniger oder mutiger sind. Was auch eine Rolle spielt, ist Alkohol. Ansonsten fällt auf, dass die meisten Ertrinkungsfälle in Seen geschehen, danach kommen die Flüsse.

Was sind typische Fehler, die man auch als guter Schwimmer macht?

Sich potenzieller Risiken nicht bewusst zu sein. Gefährliche Situationen im Fluss unterscheiden sich von solchen im See.

Welche potenziellen Gefahren sind das beim See?

Das können Unterwassereinbauten sein, Abflüsse mit starker Sogwirkung, Schiffsverkehr, Paddler, Segler oder auch Wasserpflanzen. Manche Wasserpflanzen gehen bis knapp unter die Oberfläche und in denen könnte man sich verheddern. Es ist eher unwahrscheinlich, aus einer Schlingpflanze nicht wieder herausschwimmen zu können, aber es reicht vielleicht, um in Panik zu geraten. In einer solchen Situation am besten Ruhe bewahren, gucken, was genau das Problem ist und langsam rausschwimmen. Temperaturunterschiede beim Abtauchen stellen auch ein großes Risiko dar, denn bei plötzlicher Kälte weiter unten wird der Organismus mehr beansprucht. Davor warnt die DLRG besonders SUP-Fahrer. Die Sonne scheint, man liegt auf dem SUP und der Körper heizt sich auf. Zusätzlich ist man sportlich aktiv. Das heißt, man ist sehr erhitzt und wenn man dann ins kalte Wasser fällt, kann das den Organismus überlasten.

Was sehen Sie bei der DLRG als Unfallschwerpunkt an?

Ein sehr großes Problem ist die Uferbeschaffenheit. In München gibt es beispielsweise viele Baggerseen, also künstlich angelegte Gewässer. Baggerseen haben meistens einen sehr ausgeprägten Flachwasserbereich, der mal 30 Meter weit reingeht, mal zehn Meter und manchmal gibt es auch gar keinen. Eine große Gefahr besteht hier für Nicht-Schwimmer, die in dem Bereich spielen. Erst können sie stehen und schlagartig bricht der Bereich ab und es wird sehr tief. Solche Ertrinkungsunfälle ereignen sich in unserem Einsatzgebiet fast mehrmals im Jahr.

Welche Gefahren gibt es bei Flüssen?

Gegebenenfalls Schiffe. Große Industrieschiffe beziehungsweise Frachter, haben einen Sog, den sie hinter sich herziehen. Das ist vor allem bei großen Flüssen wie beispielsweise dem Rhein eine große Gefahr. Dann natürlich Hochwasser. Dadurch ist das Wasser trüb und es kommt recht viel Treibholz mit, das sich auch verkeilen kann – teilweise auch unter Wasser. Wenn ich dann da schwimme, kann es sein, dass ein Baumstamm kommt, den ich nicht sehe, oder mich Treibholz am Kopf trifft – das ist nicht ungefährlich. Generell sind Strömungen in Flüssen ein Thema, genauso Einbauten wie Schleusen und Wehre. Eine Turbine ist in den meisten Fällen tödlich. Außerdem kann es zu Wirbelungen durch Grundbeschaffenheiten kommen – wenn der Wirbel oder die Walze bis ganz nach unten geht, kommt man da allein ganz häufig nicht mehr raus.

Kind schwimmt

Neue Studie: Immer weniger Kinder in Deutschland können schwimmen

Laut einer neuen Studie nimmt die Zahl der Menschen, die nicht schwimmen können, in Deutschland zu. Einer der Gründe ist die Corona-Pandemie. (Photocredit: Imago)

Gibt es Dinge, worauf Badende achten können, bevor sie ins Wasser gehen?

Sich einfach im Vorfeld über das Gewässer informieren und folgende Fragen beantworten: Ist es bewacht? Ist Baden erlaubt? Wird auf irgendwas hingewiesen? Zum Beispiel auf ein Steilufer. Gibt es irgendwo eine Schautafel mit Infos zum See oder Fluss? Gibt es Notrufeinrichtungen? Gibt es sonstige Rettungsmittel am Ufer? Und tatsächlich sich auch die Frage stellen, wo bin ich eigentlich? Kann ich in einem Notfall dem Rettungsdienst genau sagen, wo ich mich befinde?

Wie handle ich, wenn ich in einer gefährlichen Situation stecke? Ich habe beispielsweise einen Krampf im Bein oder mich in Schlingpflanzen verfangen.

Das Wichtigste ist, Ruhe bewahren, Panik vermeiden und dann – soweit sinnvoll – auf sich aufmerksam machen. Einfach mal laut rufen, vielleicht ist ja 30 Meter weiter jemand mit seinem Schlauchboot, der dann kurz kommt, sodass ich mich daran festhalten kann. Beim Verheddern in Pflanzenbewuchs vorrangig mit den Armen an der Wasseroberfläche aus dem Bereich rausschwimmen.

Was kann ich tun, wenn ich einfach nur erschöpft bin?

Man kann sich eine Weile im Wasser ausruhen. Also zum Beispiel leichtes Wassertreten machen. Was noch entspannender ist, ist die "Tote-Mann-Stellung": In Rückenlage ins Hohlkreuz gehen und nur ganz leicht mit den Armen paddeln, das hält einen an der Wasseroberfläche und man kann sich erholen. Eine andere Möglichkeit wäre eine Überlebenshaltung in Bauchlage – dabei legt man sich ins Wasser, macht mit den Beinen einen leichten Grätschschlag und kann über Wasser dann atmen. So bleibt man ohne große Bewegungen über Wasser und kann sich ein bisschen erholen. Und wenn man sich denkt "Puh, die Strecke ist noch ganz schön weit", einfach mal schauen, welcher der kürzeste Weg zum Land ist – man muss nicht zwingend ans Ziel und auch nicht an den Ausgangspunkt. Auf diese Idee kommen viele in ihrer Erschöpfung nicht.

"Viele Ertrinkende haben nicht mehr die Kraft, um Hilfe zu rufen. Die gehen dann einfach unter."

Andreas Rösch, Vorstandsvorsitzender der DLRG-München-Mitte

Woran erkennt man Ertrinkende?

Viele Ertrinkende haben nicht mehr die Kraft, um Hilfe zu rufen. Die gehen dann einfach unter. Auffällig ist, dass die Schwimmer in Not keine Schwimmbewegungen mehr in eine Richtung machen, sondern auf der Stelle versuchen, sich oben zu halten und der Kopf auf und ab geht. Das zu erkennen, ist nicht einfach – vor allem auf eine größere Entfernung.

Folgendes Szenario: Ich sitze am See oder an einem Fluss und sehe, dass jemand gegen das Ertrinken kämpft oder ich merke, dass jemand in eine gefährliche Situation kommt. Wie reagiere ich als Beobachter richtig?

Zuallererst gilt es Ruhe zu bewahren und den Notruf (112) zu setzen. Parallel kann man schauen, ob es Notrufsäulen oder eine Wasserrettungsstation gibt, die besetzt ist. Danach kann man sich um anderes kümmern. Wichtig ist auch, sich die Unfallstelle genau einzuprägen. Zum einen: Wo bin ich denn überhaupt? Und zum anderen, was ganz wichtig ist: Wo genau ist die Unfallstelle zu verorten? Wenn man diese Stelle möglichst nah eingrenzen kann, macht es das für die eintreffenden Rettungskräfte deutlich einfacher.

Das heißt, wenn ich sehe, jemand hat Probleme, sich über Wasser zu halten und dann verschwindet die Person unter Wasser, versuche ich mir möglichst genau die Stelle zu merken.

Genau, das ist in dem Schock vermutlich nicht einfach zu behalten, aber man kann sich Folgendes genau überlegen: Wo stehe ich denn eigentlich? Und jetzt schaue ich beispielsweise zu dem einen markanten Baum gegenüber und irgendwie da auf halber Strecke war das. Natürlich muss ich als Melder vor Ort bleiben und die Rettungskräfte dann einweisen. Wenn ich über entsprechende Kenntnisse oder körperliche Fähigkeiten verfüge, kann ich mir natürlich überlegen, ob ich weitere Hilfsversuche angehe.

"Ertrinkende haben Todesangst und klammern sich an das, was sie als Erstes greifen können."

Andreas Rösch, Vorstandsvorsitzender der DLRG-München-Mitte

Wenn ich mich entscheide, ins Wasser zu springen, um jemanden zu retten, wie gehe ich am besten vor?

Am besten sucht man sich Hilfsmittel wie Schwimmreifen oder vielleicht auch eine Luftmatratze, die man nutzen kann. Ertrinkende haben Todesangst und klammern sich an das, was sie als Erstes greifen können. Im Zweifel bin das dann ich, was problematisch werden kann. Die Person greift sich dann den rettenden Arm und das führt meist zu einer Umklammerung, aus der man schwer wieder rauskommt. Besser man schwimmt auf etwa 1,50 Meter Entfernung an die Person heran und reicht ihr etwas, woran sie sich halten kann. Man kann, wenn man nichts Geeignetes findet, auch von hinten an die Person ranschwimmen, sie direkt in Rettungsposition greifen, sodass sie einen nicht umklammern kann. Eine weitere Idee wäre, das mit einem anderen Badegast zusammen zu machen, dann wäre man zumindest schon mal zu zweit.

Zur Person: Andreas Rösch ist Vorstandsvorsitzender der DLRG München-Mitte. Seit 2016 engagiert er sich im Ortsverband München-Mitte als Bootsführer, Signalmann sowie Einsatzleiter im Wasserrettungsdienst.

Verwendete Quellen:

  • Persönliches Gespräch mit Andreas Rösch
  • dlrg.de: DLRG Statistik 2022: mindestens 355 Menschen in Deutschland ertrunken (Presseinfo)
  • dlrg.de: Repräsentative Bevölkerungsbefragung von forsa: Schwimmfähigkeit der Bevölkerung 2022
  • dlrg.de: 2022: mindestens 355 Menschen in Deutschland ertrunken - Grafiken zur Statistik Ertrinken 2022
  • muenchen-mitte.dlrg.de: DLRG München-Mitte rettet 8-Jährigen vor dem Ertrinken (Veröffentlicht: 19.06.2022)

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