Kann eine Corona-Impfung das Risiko für Long Covid senken? Welche Behandlungsansätze sind bei Long Covid vielversprechend? Darüber diskutierten Expertinnen und Experten in einer Gesprächsrunde der Leopoldina, Akademie der Wissenschaften. Wie Fachleute Long Covid einschätzen und wo sie Ansatzpunkte für Behandlungen sehen.
Weltweit haben nach neuesten Forschungsergebnissen mindestens 65 Millionen Menschen langanhaltende Symptome nach einer Infektion mit dem Sars-CoV-2-Virus. Viele Expert:innen rechnen allerdings damit, dass es noch viel mehr sind, weil Covid-Infektionen oft nicht dokumentiert werden.
Covid schränkt für diese Menschen und ihre Angehörigen das Leben für viele Monate oder Jahre ein. Geschätzt 0,6 Prozent der von Long Covid Betroffenen entwickeln die schwerste Form, Myalgische Enzephalomyelitis / Chronic Fatigue Syndrome, kurz ME/CFS. Dieses Syndrom ist bereits als Langzeitfolge bei anderen Viruserkrankungen bekannt. Es zwingt viele Betroffene ins Bett, nicht selten in verdunkelten Zimmern, denn jeder Reiz kann zu einer weiteren Verschlechterung des fragilen Gesundheitszustands führen. Diese Erkrankung kann derzeit nur symptomatisch behandelt werden.
In einer Gesprächsrunde der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, diskutierten am 24. Januar 2023 internationale Forschende über Long Covid: Was die Forschung über die Krankheit selbst weiß, wie sich ihr möglicherweise vorbeugen lässt und welche Behandlungsansätze es gibt.
Ein Überblick über den aktuellen Stand der Forschung zum Thema Long Covid, welche Behandlungsansätze es gibt und wie es um die Prävention steht.
Long Covid ist nicht eine Krankheit, sondern viele verschiedene
Akiko Iwasaki ist Professorin für Immunbiologie an der Yale Universität in den USA und forscht unter anderem zu Long Covid. Sie erklärt, dass Long Covid nicht eine einheitliche Krankheit ist, sondern dass sich unter diesem Begriff mehrere Syndrome sammeln lassen. Sie unterteilt Long Covid im Wesentlichen in vier Formen, die sich auf unterschiedliche Erklärungsmodelle für die Krankheit beziehen:
- Das Virus oder Teile davon verbleiben auch noch nach der akuten Infektionsphase im Körper und stimulieren Immunreaktionen.
- Das Virus stößt eine Immunreaktion an, bei der der Körper sogenannte Auto-Antikörper produziert. Diese Antikörper richten sich gegen körpereigene Strukturen.
- Eine Infektion mit Sars-CoV-2 kann Viren aktivieren, die aus früheren Infektionen in körpereigenem Gewebe verblieben sind. Das ist zum Beispiel für das Epstein-Barr-Virus, das Pfeiffersches-Drüsenfieber auslösen kann und höchstwahrscheinlich eine Rolle bei der Entstehung von Multipler Sklerose spielt, bekannt.
- Die Infektion mit Sars-CoV-2 ist schwer verlaufen und hat Gewebestrukturen (Organe) dauerhaft geschädigt.
Diese unterschiedlichen Mechanismen verursachen vermutlich unterschiedliche Symptommuster. Welche genau und wie sie sich sicher voneinander abgrenzen lassen, muss noch mehr erforscht werden. Bei allen Long-Covid-Formen kann es aber zu einem Ungleichgewicht kommen: in Hormonkreisläufen, im Immunsystem selbst, im Herz-Kreislauf-System und im Nervensystem.
Für die Betroffenen wäre es ein großer Fortschritt, wenn sich Long Covid anhand von Symptommustern und Biomarkern sicherer in einzelne Kategorien unterteilen ließe. So könnte leichter an wirksamen Behandlungen geforscht werden, denn die Entstehungsmechanismen liefern wichtige Hinweise für erfolgversprechende Ansätze. Die Forschung dazu steht aber noch am Anfang – was nachvollziehbar ist, denn sowohl Covid-19 als auch Long Covid sind neue Krankheiten und medizinische Forschung braucht Zeit.
Impfung kann das Risiko für Long Covid senken
Michael Edelstein ist Professor für Epidemiologie und Public Health an der Bar-Ilan Universität in Israel. Er ist an Forschungsarbeiten beteiligt, die die Frage klären wollen, ob die Impfungen gegen Sars-CoV-2 das Risiko, an Long Covid zu erkranken, reduzieren können. Auf der Leopoldina-Veranstaltung drückt er sich sehr vorsichtig aus und weist darauf hin, dass es sehr schwierig ist, den Faktor Impfung in Studien sauber herauszuarbeiten, wenn man ihre Bedeutung für die Prävention von Long Covid verstehen will. Zahlen dazu, wie viel Impfungen dazu beitragen, sollte man deshalb zurückhaltend interpretieren und sie eher als Hinweis, denn als feste Größe verstehen.
Edelstein erklärt, dass geimpfte Personen weniger oft über Symptome berichten, die bei Long Covid häufig auftreten. Studien, die die Faktoren untersuchen, die dabei eine Rolle spielen könnten, vergleichen geimpfte und ungeimpfte Infizierte und dokumentieren die Symptome, die sie in einem bestimmten Zeitraum nach der Infektion angeben. Demnach könnte die Reduzierung des Risikos durch Impfstoffe bei 25 bis 30 Prozent liegen. Das heißt, das Risiko Long Covid zu entwickeln, könnte um fast ein Drittel niedriger sein, wenn man sich gegen Corona grundimmunisieren lässt. Das ist weniger als bisher angenommen. Das britische Pendant zum deutschen Robert-Koch-Institut (UKSHA) kam in einer Auswertung mehrerer Studien noch auf eine mögliche Halbierung des Long-Covid-Risikos nach zwei Impfdosen.
Offen ist zum jetzigen Zeitpunkt jedoch noch, wie lange dieser Schutz gegen Long Covid nach der Impfung anhält. Offen ist auch, ob sich Long Covid bei manchen Betroffenen durch eine nachträgliche Impfung mildern oder gar heilen lässt.
Behandlungsansätze bei Long Covid
Carmen Scheibenbogen leitet das Institut für klinische Immunologie an der Charité in Berlin und eine Ambulanz für ME/CFS-Betroffene. Sie hat schon früh in der Pandemie festgestellt, dass mehr Patienten die Ambulanz aufsuchen als vor dem Auftreten des Coronavirus. Sie beschäftigt sich schon lange mit ME/CFS und hofft, dass durch die vergleichsweise hohe Aufmerksamkeit für Long Covid mehr Forschung für das komplexe – und bis vor Kurzem stark vernachlässigte – Krankheitsbild ME/CFS angestoßen wird.
Sie erkennt Parallelen zwischen den Ergebnissen aus ihrer Forschung an ME/CFS und den Entstehungsmechanismen, die Akiko Iwasaki für Long Covid beschreibt. Beide Forscherinnen sehen wesentliche Ansätze für die Behandlung bei bestimmten Symptommustern und Biomarkern.
Es könnte aussichtsreich sein, an den Autoimmunreaktionen anzusetzen und die Auto-Antikörper als Angriffspunkte für Wirkstoffe auszutesten. Die Autoimmunreaktionen könnten bei Long Covid zu chronischen Entzündungsreaktionen führen. Bei anderen Autoimmunerkrankungen wie zum Beispiel Rheuma lassen sich mit entzündungshemmenden Medikamenten wie Kortison Erfolge erzielen. Auch bei der Behandlung von schweren Covid-Verläufen wird Kortison erfolgreich eingesetzt.
Einen anderen vielversprechenden Ansatz sieht Carmen Scheibenbogen bei einem Symptom, das bei Long Covid und ME/CFS in unterschiedlicher Intensität zu beobachten ist, der sogenannten Hypoperfusion. Dabei ist die Durchblutung im Körper ungleichmäßig, sodass bestimmtes Gewebe zu wenig durchblutet wird. Das macht sich vor allem bei körperlicher Belastung bemerkbar. Viele stark Betroffene berichten von einer Verschlechterung der Symptome, wenn sie sich anstrengen.
Da das Coronavirus die innere Schicht der Gefäße angreift, das sogenannte Endothel, könnten Schädigungen dieser Gefäßwand dabei eine zentrale Rolle spielen. Scheibenbogen setzt Hoffnungen auf eine Medikamentenklasse, die bereits für neurodegenerative Erkrankungen zugelassen ist. Würde sich der Nutzen dieser Medikamente für Long-Covid-Patientinnen bestätigen, stünden die Mittel sofort zur Verfügung und müssten nicht erst langwierig entwickelt, sondern nur zusätzlich für die Long-Covid-Behandlung zugelassen werden.
Wunsch nach mehr Forschung und besserer Versorgung
Alle Expertinnen und Experten sind sich darin einig, dass die Erforschung von Long Covid erst am Anfang steht und mehr Anstrengungen unternommen werden sollten, um den Betroffenen zu helfen. Immer noch sehen sich viele Betroffene dem Verdacht ausgesetzt, dass ihre Symptome psychosomatisch seien. Die Fachleute sind sich hingegen mehr als sicher, dass sich Long Covid auf der biologischen Ebene abspielt. Veränderungen, die sich auf molekularer Ebene bei Long-Covid-Betroffenen nachweisen lassen, müssen dementsprechend behandelt werden.
Klar ist aber auch: Sowohl die Krankheit als auch der Umgang des Gesundheitssystems mit der Krankheit bedeutet für die Betroffenen Stress. Psychische Symptome, die mit Long Covid in Verbindung gebracht werden, wie zum Beispiel Schlafstörungen und depressive Stimmung, sind für sich aber kein Beleg dafür, dass Long Covid psychische Ursachen hat. Die Psyche der Betroffenen sollte bei der Behandlung jedoch mitbeachtet werden.
Forschung auch bei PostVac-Syndrom notwendig
Einig waren sich die Fachleute auch darin, dass Menschen, die nach einer Corona-Impfung Long-Covid-ähnliche Symptome entwickeln, ebenfalls medizinische Hilfe benötigen und dass es auch zum sogenannten PostVac-Syndrom mehr Forschung braucht.
Noch behindern zu viele offene Fragen eine angemessene Versorgung der Patienten. Viele Mängel im Umgang mit der Erkrankung haben damit zu tun, dass Long Covid noch nicht gut verstanden wird. Aber einige Schwierigkeiten sind hausgemacht, weil sich aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse nicht ausreichend verbreiten, obwohl es inzwischen auch Leitlinien für die Behandlung gibt. Vor allem Hausärzten kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu. Denn oft sind sie die ersten, mit denen Betroffene sprechen. Und nicht selten schätzen sie die Symptome falsch ein, weil sie recht diffus sind: Kopfschmerzen, Müdigkeit und Konzentrationsstörungen können schließlich auf unterschiedliche Krankheiten hinweisen.
Wenn die Pandemie nach und nach in eine Endemie übergeht, wird es umso wichtiger sein, an Long Covid zu denken. Auch wenn es in Zukunft nicht mehr zu vergleichbar starken Infektionswellen mit dem Coronavirus kommen sollte, könnte sich Long Covid zu einer Volkskrankheit entwickeln. Die Fachleute schätzen, dass circa 10 Prozent der Infizierten noch länger als drei Monate an Symptomen leiden, und drei bis fünf Prozent länger als ein Jahr. So lange für Menschen mit Long Covid kaum wirksame Behandlungen zur Verfügung stehen, ist die Prävention weiterhin entscheidend.
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