Andy. Tim. Tom. Marcel. Markus. Kerstin Scholz hat mit verschiedenen Männern Sex, bezeichnet sich selbst als Nymphomanin. Die Organisation ihrer Sex-Treffen – etwa vier pro Woche, die sich über mehrere Stunden ziehen – kostet die 47-Jährige fast so viel Zeit wie ein Vollzeitjob. Trotzdem ist sie glücklich mit ihrem Leben, sagt sie. Im Interview schwingen aber auch dunklere Töne mit.
Frau Scholz, Sie bezeichnen sich als Nymphomanin. Warum?
Aus einem einfachen Grund: Ich habe eine Art Sucht nach Sex. Es ist eine schleichende Sucht, die harmlos anfängt und immer stärker Platz im Leben einnimmt, sogar die persönliche Freiheit einschränkt. Eine Nymphomanin unterscheidet sich in der Ausdauer des Sexes und auch wie er ausgelebt wird: Ich habe nicht nur Sex mit einem Partner, sondern häufig wechselnde Partner. Da ist ja ganz klar, dass ich keine feste Beziehung habe. Ich nehme mir das, was ich möchte und brauche.
Wenn ich private Probleme habe, dann ist der Sex die einzige Ablenkung. Nur durch Sex fühle ich mich besser. Ich kompensiere viel mit Sex.
Ist das tatsächlich wirksam?
Das ist sehr wirksam, sonst würde ich das nicht machen. Mein Drang hat sich in den letzten Jahren allerdings immer weiter gesteigert: Am Anfang hatte ich normalen Standard-Sex, aber mein Bedürfnis hat sich immer weiter gesteigert. Heute brauche ich drei oder vier Stunden, um es zu decken. Das längste waren fünfeinhalb Stunden – mit Pausen. Ich brauche mehr und mehr und mehr. Da gerät man in ein Hamsterrad. Eine hundertprozentige Befriedigung, wie man sie in einem normalen Sexleben kennt, habe ich gar nicht. Eine Befriedigung finde ich nur in der Abwechslung und den neuen Kick. Einen vaginalen Orgasmus bekomme ich bei der ganzen Sache nicht. Deshalb suche ich immer neue Abenteuer.
Wie kommt man viermal die Woche an unterschiedliche Sexualpartner, die zudem bereit sind, so viel Zeit am Stück zu investieren?
Männer lerne ich überall kennen, wenn ich meine Augen offen halte und vorausgesetzt ich will jemanden kennenlernen. Die Männer, auf die ich stoße, haben die gleichen Absichten wie ich - das scheine ich anzuziehen. Die Männer sind meist gebunden oder kommen aus gebrochenen Ehen und wollen keine Verpflichtungen mehr eingehen. Wollen ihre Fantasien leben und Verpasstes nachholen. Da ich schon seit Jahren im Internet auf verschiedenen Plattformen unterwegs bin, spreche ich die Zielgruppe für sexuelle Abenteuer schnell an. So bekommt man für jeden Anlass das Passende präsentiert. Wie in einem Katalog sucht man das raus, wonach einem gerade ist. Auf verschiedenen Veranstaltungen, die ich auch über die Internet-Plattformen finde, treffe ich Gleichgesinnte.
Ist es ausgeschlossen, unter diesen Gleichgesinnten einen Lebenspartner zu finden?
Ich ticke da anders. Ich kann mir ehrlich nicht vorstellen, einen Mann kennenzulernen, der mehr Absichten hat, als nur Sex mit mir zu haben. Ich weiß auch gar nicht, wie man eine Beziehung führt. Vielleicht lasse ich es auch nicht an mich ran, das weiß ich nicht. Ich weiß, dass ich eine Ausstrahlung habe, die unnahbar ist. Ich strahle wahrscheinlich nicht Wärme oder Geborgenheit aus, so dass mein Gegenüber sagt: In die könnte ich mich verlieben. Die Männer, die ich treffe, haben keine ernsthaften Absichten.
Und umgekehrt? Waren Sie nie verliebt?
Ich war natürlich schon verliebt, da war ich 20 Jahre alt, ein junges Mädchen. Mein Freund ist damals leider verstorben. Das war meine erste Liebe und vielleicht auch meine letzte. Klar, danach habe ich die Männer gemocht. Ich bin reifer geworden. Aber diese rosarote Brille hatte ich nie auf den Augen. Ich war immer ein sehr realistischer Mensch und immer sehr auf der Hut, um mich nicht hinters Licht führen zu lassen. Da bleibe ich lieber allein.
Sie vergleichen die Nymphomanie mit einer Sucht. Würde eine Therapie da Sinn machen?
Nein. Ich fühle mich ja nicht schlecht. Ich leide nicht darunter. Die ganzen Jahre, in denen man in diesem Hamsterrad läuft, bekommt man das gar nicht mit. Erst als ich es für mein Buch niedergeschrieben habe, wurde mir bewusst: Ich habe keinen Tag bereut. Ich würde alles wieder machen. Viele Freundinnen sagen: Ich beneide dich um dein Leben, du bist ein freier Mensch. Und es stimmt: Ich kann tun und lassen, was ich möchte. Ich habe keine Verpflichtungen. Das ist mir wichtig. Die Abneigung gegen Verpflichtungen kommt bei mir aus der Kindheit. Ich hatte ein sehr gutes Elternhaus, aber ich bin nie mit Liebe aufgewachsen und musste sehr früh selbstständig sein. Ich habe gelernt, meine Probleme allein zu meistern. Wenn ich einen Tiefpunkt habe, suche ich mir nicht einen Menschen, der mir zuhört, sondern einen, der Sex mit mir hat. Wen interessiert es, was mich gerade bedrückt? Das interessiert doch keinen.
Ich brauche keine Therapie, da ich keinen inneren Willen dazu habe. Bei mir bestehen keine Zweifel, dass ich zwanghaft nach emotionalen Bindungen suche. Therapeuten mit kompetenten Kenntnissen in diesem Bereich lassen noch zu wünschen übrig.
Sie sagen, Sie fühlen sich unabhängig und frei. Aber das Bedürfnis nach so viel Sex muss Sie doch gleichzeitig sehr einschränken?
Sie haben Recht. Das ist ein Druck. Manchmal habe ich Probleme, meinen Job auf die Reihe zu bekommen bei all diesen Sex-Treffen. Das alles zu organisieren, ist nicht so einfach und teilweise mit viel Stress verbunden. Ein richtiger Hürdenlauf. Sexuelle Gedanken nehmen einen großen Teil meines Lebens ein, was zu einem großen Leidensdruck werden kann.
Es ist also nicht alles rosarot?
Es gibt Tage, da denke ich, mein Sexleben ist wie ein zweiter Job. Dazu kommt die Internetsucht. Sie können sich nicht vorstellen, wie schlimm das ist. So wie manche im Büro sitzen und arbeiten, sitze ich vor dem Computer. Draußen hat es vielleicht 30 Grad im Sommer - mich interessiert es nicht, weil ich nur mit Internetbekanntschaften schreibe.
Trotzdem würden Sie an Ihrem Leben nichts ändern wollen?
Nein. Ich habe mich mittlerweile dran gewöhnt. Einmal habe ich ausprobiert, eine Beziehung zu führen. Drei Monate lang lag er neben mir. Irgendwann dachte ich mir: O Gott, der liegt jetzt bis zum Ende meines Lebens neben mir? Das geht gar nicht. Das war wie ein Anfall. Ich musste ganz schnell aus der Situation raus. Ich bin es gewohnt, allein zu leben. Ich bin zu alt, um mich anzupassen. Ein Partner würde auch nicht akzeptieren, dass ich stundenlang im Internet bin. Ich möchte keine Beziehung, zumindest jetzt nicht. Im Alter könnte ich es mir schon vorstellen. Aber heute meistere ich mein Leben nach meinen Wünschen und lebe ohne Abhängigkeiten und Verpflichtungen.
Sie haben sich nie jemandem anvertraut, jetzt haben Sie ein Buch über Ihre Erfahrungen veröffentlicht. Warum?
Ich bin mit meinem Leben, mit meiner Situation zufrieden. In meinem Bekanntenkreis gibt es manche, die so sind wie ich. Die können aber nicht offen reden. Ich kann das. Und das hilft vielleicht dem ein oder anderen Betroffenen, zu sehen: Man kann damit leben, man kann damit umgehen und braucht sich nicht zu schämen. Man kann auch als Single gut leben und muss sich nicht in eine Partnerschaft zwängen. Das zu zeigen, war mir wichtig. Mein Buch soll die Leser berühren. Dazu, mich in der Öffentlichkeit zu präsentieren, gehört eine Menge Stärke und Selbstvertrauen.
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