- Tessa Bergmeier hat im Dschungelcamp 2023 offen über ihre bipolare Störung gesprochen.
- Die Erkrankung wirkt sich massiv auf die Gefühlswelt der Betroffenen aus.
- Was versteht man aber genau darunter? Welche Auswirkungen hat sie auf das Leben? Und wie lässt sich die Erkrankung behandeln?
Bei "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!" haben Beichten und Geständnisse Tradition. Man kann das für peinliche Effekthascherei halten – oder für eine Möglichkeit, ernsten Erkrankungen mehr Aufmerksamkeit zu verschafft.
Beim Dschungelcamp 2023 hat Tessa Bergmeier ihre bipolare Störung öffentlich gemacht. Mit dieser Erkrankung ist sie nicht alleine: Laut Schätzung der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störung e. V. (DGBS) sind ein bis drei Prozent der Bevölkerung betroffen.
Was ist eine bipolare Störung?
Bei einer bipolaren Störung handelt es sich um eine ernsthafte psychische Krankheit, die sich massiv auf die Gefühlswelt der Betroffenen auswirkt: Sie schwanken zwischen völliger Euphorie und totaler Depression. Umgangssprachlich wird die Krankheit daher auch als manisch-depressive Störung bezeichnet.
Im Gegensatz zu den Stimmungsschwankungen, die jeder Mensch in seinem Alltag erlebt, sind sie jedoch völlig übersteigert und treten ohne erkennbaren Anlass auf. Sie können so stark ausgeprägt sein, dass ein normaler Alltag nicht mehr möglich ist.
In den manischen Phasen sind die Betroffenen häufig übertrieben gut gelaunt und verfügen über viel Energie trotz geringem Schlafbedürfnis. Die depressiven Phasen sind hingegen von gedrückter Stimmung, Selbstzweifeln und Antriebslosigkeit geprägt. Der Maler Vincent van Gogh soll an einer bipolaren Störung gelitten haben, die sich auch in seinen Werken widerspiegelte. In den Hochphasen malte er farbenfrohe Bilder, in den anderen düstere. Er starb, nachdem er sich im Alter von 37 Jahren eine Kugel in die Brust geschossen hatte.
"Unbehandelt ist die Krankheit eine Katastrophe", sagt Professor Michael Bauer, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Dresden, im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung". Und sie ende furchtbar oft mit Suizid: "Zehn bis 15 Prozent der bipolar erkrankten Menschen nehmen sich das Leben."
Wie starker Wellengang auf dem Ozean
Fachleute bezeichnen die verschiedenen Phasen der bipolaren Störung als Episoden, die in Ausprägung, Dauer und Häufigkeit stark variieren können. Bei manchen Patienten überwiegen die manischen Phasen, bei anderen die depressiven. Manche Menschen können ihren Beruf bis zur Rente ausüben, andere werden schon in jungen Jahren erwerbsunfähig. Zudem gibt es auch Mischformen, in denen Manie und Depression ineinander übergehen – in dieser Kombination ist das Suizidrisiko laut DGBS besonders hoch.
Zwischen den einzelnen Krankheitsepisoden können Intervalle von mehreren Monaten oder Jahren liegen, in denen Patienten und Patientinnen völlig beschwerdefrei sind. Michael Bauer vergleicht die Erkrankung im Interview mit der SZ mit einem Ozean. "Meistens ist der ruhig, und auf einmal, völlig unvorhersehbar, entsteht starker Wellengang, bei manchen ist es ein Orkan."
Den manischen Zustand empfinden Betroffene laut DGBS oft als angenehm, weil sie sich als kreativ und leistungsstark erleben. Sie halten sich auch nicht für krank - im Gegenteil. Doch im Hochgefühl und in der Selbstüberschätzung liegen große Risiken. Nicht selten geben Betroffene in manischen Phasen große Geldsummen aus, verprellen ihr Umfeld oder bringen sich in lebensgefährliche Situationen.
Genetische und biologische Faktoren als Ursachen
Die Ursache für die extremen Stimmungsschwankungen sehen Forscher in einem Ungleichgewicht verschiedener Neurotransmitter. Diese chemischen Botenstoffe leiten Nervenimpulse weiter, was für die Kommunikation verschiedener Hirnregionen essenziell ist.
Gibt es zu viele oder zu wenige von ihnen, werden Impulse entweder zu schwach oder zu stark weitergeleitet – was sich in der Gefühlslage der Patienten widerspiegeln kann. Bei Depressiven wurde etwa ein Mangel der Neurotransmitter Noradrenalin und Serotonin festgestellt – in manischen Phasen hingegen eine erhöhte Konzentration von Noradrenalin und Dopamin.
Wie es zu diesem Ungleichgewicht kommt, ist nicht genau geklärt. Experten gehen von einem Zusammenspiel von genetischer Veranlagung und Umweltfaktoren aus, wie etwa frühkindliche Traumata oder Drogenmissbrauch. Auch Stress ist ein wichtiger Faktor: Belastende Ereignisse wie Trennung, Tod oder einschneidende Lebensveränderungen können Auslöser für bipolare Störungen sein.
Wie lässt sich eine bipolare Störung diagnostizieren?
Dass die Krankheit in Ausprägung und Verlauf sehr unterschiedlich auftreten kann, erschwert die Diagnosefindung, die nur im Rahmen einer intensiven Befragung der Erkrankten und oft auch der nächsten Angehörigen erfolgen kann. In Zukunft könnte die Krankheit anhand von Biomarkern im Blut erkannt werden, doch die Methode befindet sich noch in der Entwicklung.
Bei vielen Patienten tritt die erste Krankheitsepisode um das 18. Lebensjahr herum auf, häufig auch später. Bis zur exakten Diagnose vergehen dann laut DGBS in Deutschland durchschnittlich noch acht weitere Jahre – wenn es überhaupt so weit kommt. Schätzungen zufolge werden nur zehn bis fünfzehn Prozent der Betroffenen tatsächlich der richtigen Behandlung zugeführt.
Dabei wäre eine frühzeitige Diagnose so wichtig, um Suizidversuche, Alkohol- und Drogenmissbrauch sowie soziale Konflikte zu verhindern. Es gibt heute gute Behandlungsmöglichkeiten, die die Stimmungslage der Betroffenen akut wie langfristig stabilisieren können. Meist besteht die Behandlung aus einer Kombination von Psychotherapie und Medikamenten. Lithium etwa führt bei einem Drittel der Patienten und Patientinnen zu einer deutlichen Abschwächung der Symptome, bei einem weiteren Drittel sogar zum Stillstand der Erkrankung.
Häufig dauert es allerdings bis zu drei Wochen, bis die Medikamente ihre Wirkung entfalten. Gerade während manischen Episoden sehen die Patienten häufig keine Notwendigkeit, das Medikament weiter einzunehmen, da es ihnen vermeintlich gut geht. Eine begleitende Psychotherapie kann dabei helfen, mit seiner Erkrankung langfristig umzugehen und sie zu akzeptieren.
Verwendete Quellen:
- dgbs.de: Ausführliche Informationen und Patientenbroschüre der DGBS
- sz.de: Interview zur Bipolaren Störung
- journalbipolardisorders.springeropen.com: New vision on the mental problems of Vincent van Gogh
- Statista: Weltweiter Anteil der Bevölkerung, der unter bipolaren Störungen leidet, in den Jahren 1990 bis 2019
Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person von Suizid-Gedanken betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefon-Seelsorge unter der Telefonnummer 0800/1110-111 (Deutschland), 142 (Österreich), 143 (Schweiz).
Hilfsangebote für verschiedene Krisensituationen im Überblick finden Sie hier.
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