- Ein Impfstoff gegen Corona wurde herbeigesehnt, nun ist er fast da - doch nur etwa die Hälfte der Deutschen will sich laut Umfrage impfen lassen.
- Um die Verbreitung des Coronavirus zu stoppen, würde das nicht ausreichen.
- Impfen oder nicht? Was jeder bei seiner Entscheidung abwägen sollte, erklären Experten.
"Willst du dich gegen Corona impfen lassen?" In Familien sowie unter Freunden und Arbeitskollegen ist das derzeit eine häufig gestellte Frage.
In Großbritannien haben die Massenimpfungen bereits begonnen, auch in Deutschland wird es wohl nicht mehr lange dauern, bis die ersten Spritzen in Impfzentren aufgezogen werden.
Im Interesse der Gesellschaft sollten möglichst viele Menschen einen solchen Schutz bekommen - doch bei weitem nicht alle wollen das.
Welche Faktoren entscheiden über die Impfbereitschaft?
Eines ist nach Ansicht vieler Experten ganz entscheidend, wenn es um die Frage geht, sich impfen zu lassen: Menschen müssen das Gefühl haben, sachlich und umfassend über die Vor- und Nachteile informiert worden zu sein.
Transparenz sei für eine erfolgreiche Impfkommunikation sicher das oberste Gebot, sagte der Ökonom Florian Zimmermann von der Universität Bonn und dem Behavior and Inequality Research Institute (briq). "Die Bevölkerung muss über die sehr umfangreichen Test- und Prüfverfahren informiert werden, um Ängste im Zusammenhang mit Impfungen zu reduzieren."
Dem Projekt "COVID-19 Snapshot Monitoring" (Cosmo) der Universität Erfurt zufolge wird das als wichtigster Faktor dafür genannt, sich impfen zu lassen: Vertrauen in die Sicherheit der Impfung.
Aktuelle Impfbereitschaft zu niedrig
Der zweiwöchentliche Befragung zeigte Anfang Dezember:
- Rund die Hälfte der gut 1.000 Befragten gibt an, sich (eher) gegen COVID-19 impfen lassen zu wollen.
- Männer und ältere Menschen sind den Cosmo-Daten zufolge eher bereit, sich impfen zu lassen, als Frauen und jüngere Leute.
"Die Tendenz ist seit April fallend und es gab keinen Anstieg der Impfbereitschaft, seit das Thema durch die beantragten Zulassungen stärker öffentlich diskutiert wird", hieß es dazu.
Selbst bei einem perfekt wirksamen Impfstoff würde die aktuelle Impfbereitschaft in Deutschland damit nicht ausreichen, um die Verbreitung des Virus zu stoppen. Die Bundesregierung plant Info-Kampagnen und wirbt um Vertrauen.
Dazu gehört das wiederholte Versprechen: Es geht um ein Impfangebot - keine Impfpflicht. Gesundheitsminister
"Kann Sorgen nehmen und Freiheit bringen"
In Großbritannien hat am 8. Dezember eine Impfkampagne begonnen, nachdem der RNA-Impfstoff von Biontech und Pfizer eine nationale Notfallzulassung erhalten hatte.
Spahn sprach für Deutschland im Fall einer Zulassung zuletzt von elf Millionen verfügbaren Dosen allein von diesen beiden kooperierenden Unternehmen bis Ende März 2021. Damit könnten 5,5 Millionen Menschen geimpft werden. Einem Entwurf der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut (RKI) zufolge sollen diese Personengruppen zuerst geimpft werden:
- Ältere Menschen über 80
- Pflegeheimbewohner und Personal mit höchstem Infektionsrisiko in Kliniken und Altenheimen
- Insgesamt handelt es sich hierbei um rund 8,6 Millionen Menschen.
"Die Impfung ist ein Angebot. Sie kann Menschen vor einer potenziell schweren Erkrankung und vor Tod bewahren" sagt Julia Neufeind vom Fachgebiet Impfprävention am Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin.
Außerdem könne die Impfung die anfälligsten Gruppen unserer Gesellschaft schützen. Sie könne auch Sorgen nehmen, Erleichterung und Freiheit bringen. "Eine Impfung ist ein Baustein, um zu einer weitgehenden Normalität zurückzukehren. Das alles sind große Anreize, sich impfen zu lassen", betont Neufeind.
Ist der Impfstoff sicher? Haben früh Geimpfte Nachteile?
Zu den Gegenargumenten, die es sachlich zu diskutieren gebe, gehörten die noch unklaren möglichen Langzeit-Nebenwirkungen, erläutert der österreichische Mediziner Herwig Kollaritsch in seinem Buch "Pro & Contra Coronaimpfung". Er ist Mitglied des österreichischen Corona-Beraterstabs und hat viele wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Impfen publiziert.
Früh Geimpfte könnten demnach theoretisch Nachteile durch erst später gewonnene Erkenntnisse haben. Gerade bei einer RNA-Impfung seien ungeplante und unerklärbare Nebenwirkungen aber nicht sehr wahrscheinlich.
Zwar produzierten die Zellen bei RNA-Impfstoffen wegen einer besonders kräftigen Immunantwort des Körpers viele Botenstoffe, erklärt Kollaritsch. "Einige dieser Botenstoffe fördern Entzündungen oder haben andere systemische Auswirkungen."
Dies betreffe aber lediglich die auch für andere Impfungen typischen Begleiterscheinungen: "geplante, durch Studien dokumentierte und einkalkulierte Nebenwirkungen, die unser Wohlbefinden beeinträchtigen können, nicht aber unsere Gesundheit". Beim Impfstoff von Pfizer/Biontech seien nach den bisher vorliegenden Daten vor allem zwei Nebenwirkungen häufig: Kopfschmerzen und Müdigkeit.
Klar müsse sein, dass mit Impfungen im Prinzip lediglich der von Infektionen bekannte Vorgang der Immunisierung nachgeahmt werde - "allerdings harmloser für den Empfänger und nicht mit Krankheit oder Schaden verbunden", erläutert Kollaritsch. "Das damit beschäftigte Organ, unser Immunsystem, ist auf solche Vorgänge durch Entwicklung über Jahrmillionen ausgelegt und die Idee, dass Impfen unser Immunsystem ungebührlich belastet oder sogar überlastet, ist schlicht unsinnig."
Impfungen seien anders als viele andere medizinische Interventionen Präventionsmaßnahmen, betont auch RKI-Expertin Neufeind. "Sie schützen den gesunden Menschen vor einem Risiko, sie heilen nicht den bereits erkrankten Menschen", erklärt sie. "Daher werden an Impfstoffe auch besonders hohe Anforderungen bezüglich der Sicherheit gestellt. Ein zugelassener Impfstoff wird sehr sicher sein."
Mediziner: Entscheidung nicht nur von persönlichem Risiko abhängig machen
Kollaritsch glaubt, dass sich gerade ein junger Mensch bei der Entscheidung für oder wider die Impfung dennoch sagen könnte: Mein Risiko, an COVID-19 mit schwerem Verlauf zu erkranken, ist vergleichsweise gering, also warte ich erst einmal ab, wie es den Älteren damit geht und entscheide dann.
"Aus gesellschaftlicher Sicht ist das nicht besonders ethisch. Aus Sicht eines einzelnen Menschen aber sehr wohl verständlich." Es gehe auch darum, wie sehr man bereit sei, durch eine Impfung Verantwortung für seine Mitmenschen - darunter auch für die aus Risikogruppen - zu übernehmen.
Senja Post vom Arbeitsbereich Wissenschaftskommunikation an der Universität Göttingen sieht in der oft emotional geführten Impfdebatte zudem ein Risiko für heftige Reaktionen auf bestimmte Informationen. "So könnte es viele ängstigen, wenn nach einer Impfung rein zufällig ein spektakuläres Ereignis wie eine schwere Krankheit eintritt." Es müssten daher von vornherein stets auch die Hintergrundinformationen vermitteln werden, die zu einer sachlich angemessenen Interpretation solcher Ereignisse notwendig seien.
Stimmung in der Bevölkerung entscheidend
"Ein Dilemma könnte darin bestehen, dass die relativ komplexen Hintergründe dem Bedürfnis vieler Menschen nach eindeutiger Information in der Krise entgegenstehen", erklärt Post.
Generell sei das Thema Gesundheit häufig von großer Unsicherheit geprägt, welche Ängsten viel Raum lasse, sagt der Bonner Forscher Zimmermann. "Solche Ängste sind im Fall der COVID-19-Impfstoffe potenziell besonders ausgeprägt, zum einen aufgrund der kurzen Dauer der Entwicklung und Prüfung, zum anderen auf Grund der Vielzahl von Falschmeldungen und von Impfgegnern in Umlauf gebrachten Narrativen, die in privaten und sozialen Netzwerken kursieren."
Neben dem Ziel, sich selbst zu schützen, werde für die Impfbereitschaft die allgemeine Stimmung in der Bevölkerung entscheidend sein: Wenn andere sich nicht impfen ließen, sei man selbst auch weniger dazu bereit, so Zimmermann. Zum Problem könne das bei den Gruppen von Impfgegnern und Corona-Leugnern werden, die von großen Teilen der Medien- und Forschungslandschaft abgekoppelt seien. "Diese Gruppen sind aus meiner Sicht kaum mehr durch Kommunikation zu erreichen."
Idealerweise gelinge es der Gesellschaft, eine soziale Norm des Impfens zu etablieren, erklärt Zimmermann. Soziale Anreize könnten sehr effektiv sein, "also zum Beispiel die Aussicht auf soziale Anerkennung oder auf Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die etwas Gutes tut". (Annett Stein, dpa/af)
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