- Krieg, Corona, Inflation: Jeder Zweite von uns fühlt sich laut einer aktuellen Studie erschöpft.
- Bei den 30- bis 40-Jährigen sowie Auszubildenden und Studierenden fühlen sich sogar rund drei Viertel ausgelaugt.
- Christina Guthier, Organisationspsychologin und fachliche Begleiterin der von Auctority und Civey herausgegebenen Studie, erklärt das Phänomen im Interview und zeigt Wege aus der Erschöpfung auf.
Frau Guthier, warum sind vor allem die 30- bis 40-Jährigen unter uns aktuell so stark von Erschöpfung betroffen, also die Jahrgänge zwischen 1982 und 1992?
Christina Guthier: In dieser Altersgruppe gaben 73 Prozent an, sich erschöpft zu fühlen. Aus unserer Sicht ist der Anteil der Betroffenen sehr hoch, weil hier außerordentlich viele Herausforderungen zusammenkommen. Diese Jahrgänge sind meist stark im beruflichen Kontext eingebunden, kümmern sich häufig parallel um Nachwuchs und unter Umständen auch schon um die Pflege von älteren Familienangehörigen. Zudem haben sie noch einige Jahrzehnte bis zur Rente vor sich – bei längst nicht mehr so rosigen Aussichten wie früher. Krieg, Klimawandel, Pandemien – all dies waren in ihrer Jugendzeit keine großen Themen. Dieses Konglomerat an gesellschaftlichen Problemen sorgt also neben privaten und beruflichen Herausforderungen für eine gewisse zusätzliche Grundangespanntheit. Diese Generation scheint gerade regelrecht verschlissen zu werden.
Was verstehen Sie unter "verschlissen werden"?
Es sind einfach zu viele Anforderungen auf einmal, die diese Generation im Speziellen bewerkstelligen muss. Die Inflation spannt die Situation finanziell noch mal an, wodurch etliche dazu gezwungen sind, noch mehr zu arbeiten. Das dürfte auf Frauen besonders zutreffen. Sie erleben häufig eine größere Doppelbelastung durch Arbeit und Familie, da Care-Arbeit weiterhin vor allem von Frauen geleistet wird. Und besonders stark dürften Alleinerziehende in dieser Generation belastet sein. Das Problem: Das Mehr an Arbeit führt auch zu einem Mehr an Erschöpfung.
Und ein Ende scheint nicht in Sicht. Wir schlittern von einer Krise in die nächste. 49,5 Prozent fühlen sich deshalb laut Ihrer Studie schon erschöpft. Wie ist das wissenschaftlich zu erklären?
Arbeitsstressoren (Faktoren in der Arbeit, die Stress auslösen; Anm.d.Red.) wie Zeitdruck führen zu Erschöpfung und wenn man schon erschöpft ist, nimmt man Arbeitsstressoren wiederum stärker wahr. Es kann also ein Teufelskreislauf zwischen Arbeitsstress und Erschöpfung entstehen. Dieser Kreislauf kann beispielsweise durch Autonomie, also darüber entscheiden können, wann man wie was abarbeitet, und soziale Unterstützung gestoppt werden. Außerdem können auch Erholungsroutinen wie zum Beispiel Schwimmengehen oder sozialer Austausch dabei helfen, weniger erschöpft zu sein. Für einige ist eine räumliche Trennung zwischen Arbeit und Privatem auch wichtig, um sich erholen zu können. Alles Dinge, die während der Pandemie oder der Arbeit im Homeoffice nur teilweise realisierbar waren.
Besonders erschöpft fühlen sich laut Ihrer Studie derzeit auch Studierende und Auszubildende (73,8 Prozent und 76,3 Prozent). Was sind hier die Gründe?
Studium und Ausbildung sind an sich ja schon anstrengend. Dazu kam die letzten Jahre noch die Pandemie, die für soziale Isolation gesorgt hat und damit gemeinsames Lernen und sozialen Austausch massiv eingeschränkt hat. Außerdem nehme ich an, dass Studierende und Auszubildende große Arbeitsplatz- und Klimasorgen haben. Einige könnten sich fragen, ob sie das alles schaffen können. All diese Fragen und Sorgen können für Stress und Erschöpfung sorgen. Ständige negative Nachrichten in den Medien und Vergleiche mit Menschen, die in Social Media vornehmlich ihre Highlights darstellen, tragen wahrscheinlich auch zur Erschöpfung dieser Gruppe bei, da vermehrt Selbstzweifel auftreten können.
Gut ein Viertel der von Ihnen Befragten verfügt über keine richtige Bewältigungsstrategie für den Umgang mit Erschöpfung. Was können Betroffene tun, um ihren Erschöpfungszustand zu verbessern?
Es hilft, daran zu glauben, dass man die Dinge, die man sich vornimmt, schaffen kann. Konzentrieren Sie sich auf die eigene Situation. Denn die großen Krisen können Sie allein nicht lösen, aber die eigene Situation können Sie konkret Schritt für Schritt verbessern. Finden Sie heraus, was Sie auf der Arbeit und im Alltag erschöpft und woraus Sie Erholung schöpfen. Versuchen Sie Ihr Leben so zu gestalten, dass Sie sich ausreichend erholen und vor allem durch Aufgaben erschöpft sind, bei denen Sie am Ende das Gefühl haben, dass sich die Anstrengung dafür gelohnt hat.
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Warum fällt es uns aktuell so schwer, unsere Erschöpfung loszuwerden?
Unsere Lebensbedingungen und unser Alltag ändern sich aktuell in einem ungewohnt hohen Tempo. Dadurch besteht ein besonderer Druck, sich anzupassen. Das ist nicht einfach, schließlich sind wir Gewohnheitstiere. Außerdem dauert es, neue Erholungsroutinen aufzubauen und daher benötigen wir Geduld. Gelingt es einem am Ende, sich wieder ausreichend zu erholen und seine Energie in Aufgaben zu investieren, für die es sich lohnt, dann kommt auch irgendwann die Entspannung wieder.
Dr. Christina Guthier ist promovierte Wirtschaftspsychologin und forscht und berät rund um die Themen Erschöpfung, Motivation und wertschätzender Führung.
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