Wer bereits eine Erkältung hatte, wird die Grippewelle vermutlich besser überstehen. Forscher haben herausgefunden, dass ein durch andere Erreger auf Trab gebrachtes Immunsystem ähnliche Attacken in der Folge besser abwehren kann. Könnte das Phänomen auch bei Corona eine Rolle spielen?
Mit dem Ende des Sommers rückt auch die Grippesaison näher - dabei könnte das Immunsystem einen überraschenden Verbündeten haben. Mediziner der US-amerikanischen Yale-Universität berichten, dass eine Infektion mit Rhinoviren, welche die häufigste Ursache für Erkältungen sind, zumindest für kurze Zeit einen Schutz vor Grippeviren bieten könnte, da die Abwehrkräfte des Körpers mobilisiert werden.
Ob dieser Mechanismus unter Umständen auch eine bessere Abwehr des Coronavirus SARS-CoV-2 bedeuten könnte, lasse sich indes noch nicht sagen, erläutern die Forscher im Fachblatt "The Lancet Microbe".
Anlass für die Untersuchung der Wissenschaftler um Ellen Foxman von der Yale School of Medicine war ein Rätsel um das Schweinegrippevirus (H1N1), welches sich 2009 zunächst in Nordamerika ausbreitete und zu zahlreichen Todesfällen führte: Obwohl erwartet worden war, dass die Fallzahlen im Herbst - also zu einer Zeit, in der zusätzlich Erkältungen umgehen - auch in Europa spürbar ansteigen würden, blieb dieser Anstieg aus.
Infektion mit Erkältungsvirus schützt in Labor vor Influenza
Foxman und ihr Team untersuchten die Daten von mehr als 13.000 Patienten, die im Yale New Haven Hospital in den Wintermonaten der Jahre 2016 bis 2019 mit Symptomen einer Atemwegsinfektion vorstellig wurden.
Die Analyse ergab, dass das Grippevirus meist nicht nachzuweisen war, wenn das Erkältungsvirus vorhanden war - wenngleich die Proben aus einer Zeit stammten, in der beide Virenarten aktiv waren und ein gemeinsames Vorkommen wahrscheinlich schien. "Als wir uns die Daten anschauten, wurde klar, dass nur sehr wenige Menschen beide Viren gleichzeitig hatten", erklärte Foxman.
Um die Virusinterferenz, also die Wechselwirkung der beiden Erreger zu testen, setzten die Mediziner menschliches Atemwegsgewebe erst Rhino- und dann Grippeviren aus. Das Gewebe stellten sie im Labor aus solchen Stammzellen her, aus denen Epithelzellen entstehen, welche die Atemwege der Lunge auskleiden und ein Hauptziel von Atemwegsviren sind.
Das Ergebnis: Eine Infektion mit Rhinoviren schützte vor den Influenzaviren. "Die antivirale Abwehr wurde bereits aktiviert, bevor das Grippevirus eintraf", so Immunexpertin Foxman. Rhinoviren zählen zu den häufigsten Verursachern von Erkältungen. Eben ihr Vorhandensein habe die Produktion körpereigener, antiviraler Interferone ausgelöst. Jene Eiweißkörper seien Teil der frühen Antwort des Immunsystems auf das Eindringen von Krankheitserregern, führte Foxman aus. "Diese Wirkung hielt mindestens fünf Tage an."
Frühere Infektionen beeinflussen Erkrankung
Ihr Labor habe nun begonnen zu untersuchen, ob ein ähnlicher Schutzmechanismus auch für das Coronavirus SARS-CoV-2 greifen könnte. Mit Blick auf die bevorstehende Erkältungssaison sei das noch unklar. "Es ist unmöglich vorherzusagen, wie zwei Viren interagieren werden, ohne die Forschung durchzuführen", betonte die Medizinerin. Studien der jüngsten Vergangenheit legen allerdings bereits nahe, dass eine frühere Infektion mit harmlosen Coronaviren zumindest zu einer schnelleren Immunantwort führen könnte.
So berichtete ein Team um den Immunologen Jose Mateus vom US-amerikanischen La Jolla Institute for Immunology im Fachblatt "Science" kürzlich, dass T-Zellen, also weiße Blutkörperchen, die Teil des Immunsystems sind, von manchen Menschen auf SARS-CoV-2 reagierten, obwohl diese dem Virus zuvor nicht ausgesetzt waren. Stattdessen hatten sie Kontakt mit bestimmten Erkältungsviren, die ebenfalls zur Gruppe der Coronaviren gehörten. Diese Kreuzreaktivität könnte den Wissenschaftlern zufolge beeinflussen, wie schwer eine Infektion mit SARS-CoV-2 ausfalle, und unter Umständen zu milderen Krankheitsverläufen führen.
Effekte von T-Zellen auf Coronavirus noch unbekannt
Auch ein Forscherteam um den Immunologen Andreas Thiel von der Charité Berlin und vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik hatte in einem noch nicht unabhängig geprüften und veröffentlichten Beitrag des Fachjournals "Nature" beschrieben, dass sich bei etwa einem Drittel der Menschen in ihrer Studie, die noch nie Kontakt zum neuartigen Coronavirus hatten, T-Gedächtniszellen, die auf SARS-CoV-2 reagierten, fanden.
Auch sie vermuteten eine bereits durchgemachte Infektion mit herkömmlichen Erkältungs-Coronaviren als Ursache dafür. Welche Effekte diese aktivierten T-Zellen aber genau in Bezug auf das neue Coronavirus haben, lasse sich noch nicht sagen, so die Mahnung der Wissenschaftler. (dpa/kad)
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