Es ist eines dieser Themen, das alle kennen und über das keiner gerne spricht: Einsamkeit. Dabei wäre es nichts, wofür man sich schämen müsste. Über die vielen Facetten eines unangenehmen, aber alltäglichen Gefühls und das, was Menschen wirklich aus der Einsamkeit hilft.
Einsamkeit trifft die, die alleine sind, aber auch die mit Partner und Familie. Einsamkeit kennen die Alten, aber auch jene, die gerade versuchen, erwachsen zu werden. Einsamkeit erfahren die, die in die Großstadt ziehen, aber auch die, die immer im Vorörtchen bleiben. Und Einsamkeit spüren die, die sich zuhause verkriechen genauso wie jene, die immer unterwegs sind. Die Wahrheit ist: Vermutlich fühlt sich jeder Mensch mehr als einmal in seinem Leben einsam. Und das ist nicht mal traurig, sondern einfach nur menschlich.
"Menschen sind Beziehungswesen", sagt Mark Schweda bei der Jahrestagung des Deutschen Ethikrats Ende Juni, bei der es um Einsamkeit geht. "Aber gerade weil wir in Beziehungen existieren, ist Einsamkeit eine existenzielle menschliche Erfahrung, der sich die wenigsten entziehen können."
Ähnlich sieht das Ulrich Hegerl, der Vorsitzende der Deutschen Depresssionshilfe. "Bei Einsamkeit stellt sich die Frage, ob das Gefühl der Einsamkeit gemeint ist oder ein tatsächlicher objektiver Mangel an Sozialkontakten?", so Hegerl. "Auch bei vielen Sozialkontakten kann man sich einsam fühlen."
Was ist Einsamkeit eigentlich?
- Während Alleinsein lediglich beschreibt, dass andere Menschen (temporär) nicht zugegen sind, ist Einsamkeit ein negatives Gefühl. Es entsteht laut einer Definition des Bundesministeriums für Familie Senioren, Frauen und Jugend, wenn "die gewünschten sozialen Beziehungen nicht mit den tatsächlichen sozialen Beziehungen übereinstimmen". Das heißt: Es tut weh, wenn man sich etwa tiefergehende oder mehr Freundschaften und Beziehungen zu anderen wünscht, als momentan im eigenen Leben vorhanden sind.
- Einsamkeit kann Depression begünstigen oder aus ihr entstehen. Wer sich sehr niedergeschlagen, teilnahmslos oder sehr einsam fühlt, findet hier Hilfe.
Einsamkeit und Depression grenzt Hegerl folgendermaßen voneinander ab: "Depression geht damit einher, keine Nähe wahrnehmen zu können, keine Liebe und Verbundenheit. Depressiv Erkrankte fühlen sich isoliert, auch wenn sie im Kreise der Familie am Abendtisch sitzen."
Wer den Verdacht hat, depressiv zu sein, findet laut der Deutschen Depressionshilfe hier Hilfe:
- Erster Ansprechpartner bei Verdacht auf eine Depression oder Suizidgedanken ist der Hausarzt, Psychiater oder psychologischer Psychotherapeut
- deutschlandweites Info-Telefon Depression 0800 33 44 5 33 (kostenfrei)
- Wissen, Selbsttest und Adressen rund um das Thema Depression unter www.deutsche-depressionshilfe.de
- Hilfe und Beratung bei den sozialpsychiatrischen Diensten der Gesundheitsämter
- fachlich moderiertes Online-Forum zum Erfahrungsaustausch www.diskussionsforum-depression.de
- Für Angehörige: www.bapk.de und www.familiencoach-depression.de
Wenn sich Menschen hingegen einsam fühlten, so Hegerl, sehnten sich die einen vielleicht nach einem Gegenüber, das man tief innen versteht und dem man sich verbunden fühlt. "Danach sehnen sich viele Menschen, aber dieses Glück muss man erst einmal haben – sich zum Beispiel in den richtigen Menschen zu verlieben, mit dem man tiefe Erlebnisse gut teilen kann." Doch es könnten bei anderen auch weniger anspruchsvolle Vorstellungen sein, die gegen das Gefühl von Einsamkeit helfen könnten: Sich über etwas, das man sieht, austauschen. Oder sich zusammen über etwas freuen, etwa ein Abendessen oder eine gemeinsame Reise.
Und dann gebe es noch Menschen, die einfach eine Art soziale Ablenkung möchten. "Eine der größten Geißeln der Menschen ist die Langeweile", sagt Hegerl. Es falle vielen schwer, sich aus sich selbst heraus und ohne äußeren Input zu beschäftigen. "Menschen leiden oft, wenn ein 'leerer Tag' vor ihnen liegt." Da gehe es vor allem darum, dass am besten immer irgendwas los ist, Input von außen, der unterhält: Nichts Schwerwiegendes, einfach gemeinsam Zeit verbringen.
Das Gefühl der Einsamkeit - es ist sehr individuell, genau wie die Möglichkeiten, damit umzugehen. Wir haben unsere Leserinnen und Leser gefragt, was ihnen in Momenten der Einsamkeit hilft. Und was sie anderen Menschen gerne sagen möchten, die sich selbst auch einsam fühlen. Wir bedanken uns herzlich bei allen, die uns geschrieben haben. Hier eine Auswahl der Zuschriften:
Von und für Betroffene: Was unseren Leserinnen und Lesern bei Einsamkeit hilft
"Es ist nichts Schlimmes, sich einsam zu fühlen"
"Neue Wege entstehen, indem man sie geht. Dies ist mein Leitsatz. Ich selbst bin ein einsamer Mensch. Mir hilft es, meinen eigenen Weg zu gehen. Damit meine ich: etwas tun. Aktiv werden. Aus Aktivitäten ergibt sich wieder Neues, das zu weiteren Aktivitäten anregen kann.
Als Botschaft an alle, denen es auch so geht: Es ist NORMAL, sich einsam zu fühlen. Und es ist nichts Schlimmes! Nimm deine Einsamkeit an. Sie will dir sagen, dass dir etwas fehlt."
Ingrid, Bad Driburg
"Ich habe jemanden besucht, den ich für noch einsamer gehalten habe"
"Was mir immer gutgetan hat, wenn ich mich einsam fühlte: Ich habe jemanden besucht, den ich für noch einsamer gehalten habe, eine ältere oder kranke Person. Das hilft super, und zwar gleich zwei Leuten."
Barbara, Landshut
"Ich bin mit einer Mitfahrgelegenheit nach Frankreich"
"Seit ich aus dem Ausland zurück nach Deutschland gezogen bin, habe ich mich sehr einsam gefühlt und mich nach tiefergehenden und mehr Freundschaften gesehnt. Es ist sehr schwer, in bestehende Freundeskreise reinzukommen und warmherzige Menschen kennenzulernen.
In den Sommermonaten habe ich mich immer besonders einsam gefühlt. Alle sitzen in ihren großen Freundesgruppen an der Isar, trinken bis in die Nacht hinein oder fahren mit ihren Vans in die Berge. Und selbst radelt man allein durch die Stadt und sehnt sich nach tiefen Gesprächen, verbündeten FreundInnen, Abenteuern ...
Im letzten Sommer hat mir eine Reise geholfen. Ich bin allein mit einer Mitfahrgelegenheit nach Frankreich, ohne zu wissen, was mich dort erwartet. Dort sind so viele schwierige, aber auch gute Sachen passiert. Ich habe wieder tolle Menschen kennengelernt und bin mit neu gewonnener Hoffnung im Gepäck zurück nach Deutschland. Mit meiner ‚neuen‘ Ausstrahlung habe ich auch hier wieder andere Menschen angezogen.
Ich habe mich von Freunden distanziert, die mir mehr Energie genommen, als gegeben haben. In diesen Freundschaften versuche ich, aktiver zu sein. Und ich versuche, offener zu sein, wenn ich doch einmal zu einer Veranstaltung oder einem Kochabend eingeladen werde oder auch mal etwas zu initiieren. Ich versuche Dinge zu tun, die mir wirklich Spaß machen."
Marie, München
"Mir hilft mein Glaube"
"Bei Einsamkeit hilft mir mein Glaube an Jesus Christus. Ich glaube nicht nur, dass er vor 2.000 Jahren gelebt hat, sondern heute noch tatsächlich da ist und ich durch das Gebet mit ihm sprechen kann. Und ich kann Gottesdienste besuchen, in denen ich andere Christen treffe und mich austauschen kann. Das hilft sehr!"
Johann, Potsdam
"Alle Gefühle dürfen sein"
"Einer Person, die sich gerade einsam fühlt, möchte ich gerne sagen: Du bist ein toller, wertvoller und liebenswerter Mensch [...].Verliere nicht den Mut. Wenn du gerade traurig bist, ist das vollkommen ok. Wir haben viel zu viel Angst vor unseren Emotionen, wenn sie mal nicht "positiv" sind. Aber alle Gefühle dürfen sein. Wenn du dir erlaubst, alle zu haben, die guten und die weniger angenehmen, dann wird dich das auf lange Sicht erleichtern. Du hast es verdient dich lieb zu haben, auch du gehörst in diese Welt wie jeder andere und du bist nicht alleine, auch wenn du dich gerade noch so fühlst.
Mir hilft es, mir selbst etwas Gutes zu tun, ein leckeres Essen zu kochen, ein Bad zu genießen, ein gutes Buch zu lesen, ein Puzzle zu machen, eine Geschichte anzuhören, zu meditieren. Ich finde auch einen langen Spaziergang alleine toll, da man so viel achtsamer mit der Natur sein kann. Ich finde es wichtig und gut, auch alleine sein zu können und daraus sogar Kraft tanken zu können und wünsche anderen auch, dass sie das Alleinsein nicht zu negativ bewerten.
Vielleicht würde es auf lange Sicht helfen, sich einer Selbsthilfegruppe oder einem Ehrenamt anzuschließen. Bestimmt finden sich dort neue Kontakte und anderen zu helfen, kann viel zurückgeben und man sieht, es gibt so viele Menschen die auch straucheln. Bei niemandem ist alles perfekt, auch wenn wir das manchmal glauben."
Katja, kein Wohnort angegeben
"Auch meine Katze hilft"
"Ich versuche zu lesen, spazieren zu gehen, Menschen mit ähnlichen Problemen zu treffen. Außerdem habe ich eine Katze. Vielleicht klingt es komisch, aber auch sie hilft mir in der Einsamkeit."
Elfriede, kein Wohnort angegeben
"Ich mache mir morgens bewusst, was alles gut ist"
"Ich sehe mich als Vorbild für viele einsamere Menschen. Ich bin seit Jahren alleine, habe keine festen Freunde - und auch keine Berufstätigkeit. Trotzdem geht es mir ausreichend gut. Wenn ich etwa morgens in die Bäckerei gehe, trinke ich dort einen Kaffee und mach mir bewusst, was alles gut ist in unserem Land, was ich in anderen Ländern nicht hätte. Die meisten Leute denken nur über das Schlechte nach.
Der Hauptunterschied von mir zu vielen anderen Leuten ist: Sie brauchen immer Beschäftigung und Freunde. Sie fühlen sich letztlich "abhängig von den anderen". Haben sie nichts zu tun, sind sie nicht gefragt, rückt die Depression immer näher. Ich habe hingegen vor vielen Jahren begonnen, mich mit mir selbst zu beschäftigen. Ich habe Psychologiebücher gelesen oder Vorträge besucht, denen es um die eigenen Wünsche geht und das, was einen auszeichnet. So verändert man sich zu den eigenen Gunsten."
Martin, Straubing
"Am liebsten tanze ich alle Gefühle raus"
"Wenn ich mich einsam fühle, bringe ich meinen Körper gerne in Bewegung. Ein Spaziergang an der frischen Luft hilft, um auf andere Gedanken zu kommen und manchmal trifft man sogar Menschen, mit denen man sich kurz unterhalten kann. Selbst ein kurzes ''Moin" mit einem Lächeln, hebt die Laune an. Am liebsten jedoch mache ich meine Lieblingsmusik an und tanze alle Gefühle raus. Das schüttet Glückshormone aus und daraus schöpfe ich neue Kraft.
Ich würde einem Menschen, der sich einsam fühlt, sagen: Du bist ein wundervoller, liebenswürdiger Mensch. Da draußen gibt es mindestens einen weiteren Menschen, der sich ebenfalls einsam fühlt und gerne Zeit mit dir verbringen würde. Heute bist du vielleicht einsam, aber wer weiß, was morgen kommt?
Suche Menschen mit denselben Interessen. Gehe raus in die Welt. Ich weiß, dass das schwer ist, aber du kannst es schaffen! Du verdienst es, glücklich zu sein. Das wünsche ich dir von ganzen Herzen. Vielleicht werden dann aus zwei einsamen Menschen, eines Tages zwei Freunde. Nur wenn keiner aufsteht, wird es diese Begegnung nie geben.''
Sina, Elmshorn
"Beim Lesen vergesse ich meinen Kummer"
"Egal ob Einsamkeit oder andere Empfindungen, die mich bedrücken, Lesen hilft fast immer. Ich kann die Realität vergessen und fiebere in meinem Buch mit. Darüber vergesse ich die Zeit und meinen Kummer."
Nicole, Meerbusch
Verwendete Quellen
- Telefonisches Interview mit Ulrich Hegerl
- Jahrestagung Deutscher Ethikrat: Einsamkeit – Existenzielle Erfahrung und gesellschaftliche Herausforderung (19. Juni 2024)
- Antworten auf Leseraufruf
Hilfsangebote
- Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person von Suizid-Gedanken betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefon-Seelsorge unter der Telefonnummer 0800/1110-111 (Deutschland), 142 (Österreich), 143 (Schweiz).
- Anlaufstellen für verschiedene Krisensituationen im Überblick finden Sie hier.
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