Manchmal lassen einen die Gedanken einfach nicht los. Und das ist okay, denn Grübeln ist an und für sich nichts Schlechtes. Ab wann ist die Schwelle zur Krankheit aber überschritten? Und wie können wir uns aus der Gedanken-Dauerschleife lösen?

Ein Interview

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Sich Gedanken über etwas zu machen ist grundsätzlich gut. Aber wenn der Kopf überhaupt keine Ruhe mehr geben will, muss man selbst aktiv werden. Was am effektivsten gegen die Dauergrübelei hilft, erklärt Christa Roth-Sackenheim, Vorsitzende des Berufsverbands Deutscher Psychiater, im Interview.

Warum kreisen die Gedanken?

Christa Roth-Sackenheim: Seit Menschengedenken gibt es diese Fähigkeit, dass man sich an Gedanken festbeißt. Das kann negativ aber auch positiv sein. Wenn man zum Beispiel ein Problem lösen will, das einen gerade umtreibt, grübelt man. Dann betrachte ich das Problem von verschiedenen Ecken aus und füge neue Aspekte dazu.

Oft hat dieses Thema eine gewisse Emotionalität oder man möchte es vom Tisch haben. Es ist eine normale, mentale kognitive Funktion, mehr nicht. Und es ist eine positive Eigenschaft.

Grübeln stoppt nicht bei der Vergangenheit

Über was denken wir dabei nach?

Männer denken eher über berufliche Probleme nach. Frauen grübeln über soziale Themen wie darüber, warum der andere das genau so gesagt hat. Dabei schauen beide in die Vergangenheit wie in die Zukunft.

In meiner Praxis höre ich oft, wie jemand über ein schweres Schicksal nachdenkt, das schon Jahrzehnte zurückliegt: Warum ist das passiert? Habe ich daran Schuld? Hätte ich anders reagieren können?

Hätten Sie ein Beispiel?

Im Extremfall sind es solche Ereignisse, wie wenn sich Ihr Kind von der Hand losreißt und vor ein Auto läuft. Aber es können auch Themen wie eine schwere Enttäuschung oder eine Trennung sein. Der Verlassene bleibt ja mit dem Gift und den schlechten Gefühlen zurück.

Oft leben diese Menschen ihr Leben normal weiter, nur dieses Grübelthema läuft neben ihnen her wie ein Hündchen an der Leine. Damit kann man eher umgehen, als wenn der Hund die Führung übernimmt und einen an der Leine hinter sich herzieht.

Die Gedanken kommen in Ruhephasen

Wann grübeln wir besonders?

Einfallstore sind die Aufwach- und die Einschlafphasen. Direkt nach dem Aufwachen ist schon präsent, was wir den Tag über vorhaben, was uns an Problemen erwartet. Bis der psychische Abwehrmechanismus aktiv wird, dauert es, und in dieser Zeit kann ein Grübelthema reingrätschen.

Auch in den Phasen des Tages, in denen wir zur Ruhe kommen und nicht in unseren Aufgaben stecken, grübeln wir. Wird’s gravierender, können wir zum Beispiel einem Film nicht folgen oder sind in einer beruflichen Präsentation abgelenkt.

Ab wann wird die Schwelle zur Krankheit überschritten?

Wenn ich es mit bewusstem Steuerungswillen nicht mehr schaffe, die Gedanken auf ihren Platz zu verweisen. Und wenn mich das von anderen, wichtigen Tätigkeiten abhält. Der Übergang ist fließend und er ist auch nicht bei jedem Menschen an jedem Tag der Woche gleich. Wir sind ja keine Maschinen.

Jeder kann sich selbst kontrollieren

Was sollte ich dann tun?

Zuerst sollte ich es mit Entspannungs- oder Meditationsverfahren versuchen. Die progressive Muskelentspannung ist sehr hilfreich. Betroffene mögen sie, denn sie ist eine Abfolge von isometrischen Muskelanspannungen und dem Loslassen.

Das autogene Training hilft auch, arbeitet jedoch mit Gedankenabfolgen. Ist man aber sowieso schon beim Grübeln voll in den Gedanken, ist dieses Training schwierig. Es gibt auch gute Apps wie "Headspace".

Nützen Atemübungen?

Sie haben dieselbe gute Wirksamkeit, denn der Atem ist der perfekte Verblender von Psyche und Körper. Wenn wir angespannt sind, neigen wir dazu, zu kurz und zu flach auszuatmen. Mit Übungen greifen Sie da ein. Zum Beispiel kann man beim Einatmen und Ausatmen jeweils bis vier zählen. Das ist einfach, aber wirksam.

Eine andere Übung ist die 7-6-5-Regel: Bis sieben zählen beim Einatmen, bis sechs zählen beim Atem anhalten und bis fünf zählen beim Ausatmen. Das funktioniert bei einem Großteil der Grübelmenschen hervorragend.

Was halten Sie von den Tipps im Internet?

Fast alle googeln, bevor sie einen Therapeuten aufsuchen. Leider sind auf der Ergebnisliste aber besonders die kuriosen Vorschläge von Heilpraktikern, selbsternannten Therapeuten, Coaches oder von Scientology stark präsent. Das kann gefährlich werden. Deswegen sollte der Suchende kritisch bleiben, verschiedenes abwägen und vor allem schauen, wer das schreibt.

Wenn Grübeln zum Zwang wird: Den Weg zur Therapie nicht scheuen

Wann sollte man einen Therapeuten aufsuchen?

Wenn es den Charakter eines Grübelzwangs angenommen hat, man es also aus eigenem Willen kaum noch steuern kann. Dann habe ich kein soziales Netzwerk mehr, bin arbeitsunfähig und kann mich und meine Kinder nicht mehr versorgen. Es ist ein unspezifisches Symptom, das bei vielen psychischen Erkrankungen wie der Schizophrenie oder den Angsterkrankungen auftreten kann. Auch ein depressiver Mensch grübelt zu viel.

Viele scheuen sich jedoch, einen Therapeuten aufzusuchen.

Die Hemmschwelle ist in den vergangenen 20 Jahren stark gesunken. Im Gegenteil, mittlerweile gehen die Leute oft gleich, nachdem eine Beziehung zerbrochen ist, zur Therapie. Es gibt aber noch diese Menschen, die sagen: "Psychische Probleme muss ich selber lösen, denn die entstehen ja in mir."

Zwar ist die Akzeptanz größer geworden, zum Therapeuten zu gehen, wenn uns etwas Schlimmes widerfahren ist. Dass aber seelische Störungen genauso wie körperliche auch ohne einen bestimmten Anlass entstehen können, ist vielen nicht klar. Wir können uns schlecht vorstellen, dass in unserem Ich etwas passiert, das unser Ich nicht kontrollieren kann.

Dr. med. Christa Roth-Sackenheim ist Ärztin für Psychiatrie, für Neurologie und Psychoanalytikerin. Zudem ist sie Vorsitzende des Berufsverbands Deutscher Psychiater.
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