Es ist ein dringender Appell – besonders an Eltern: Nicht nur die USA zählen während der Corona-Pandemie mehr Vergiftungen, auch bei uns schlagen die Giftzentren jetzt Alarm: "Wir bitten alle Betreuenden, Desinfektionsmittel aller Art von Kindern fernzuhalten“, schreibt das Giftinformationszentrums-Nord (GIZ-Nord) in Göttingen auf seiner Homepage. Der Grund: Immer mehr Kinder vergiften sich damit.
Erst am Montag hatte die US-Gesundheitsbehörde CDC eine Studie veröffentlicht, wonach es in den USA bei Vergiftungen mit Desinfektionsmitteln zwischen Januar bis März zu einer Zunahme von 35 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gekommen ist. Zudem wurden laut dpa 12 Prozent mehr Zwischenfälle mit Reinigungsmitteln gemeldet. Ein direkter kausaler Zusammenhang mit der Corona-Epidemie lasse sich nicht belegen, aber es scheine "eine klare zeitliche Verbindung“ zu geben, zitiert die dpa die Gesundheitsbehörde.
In Deutschland gibt es dazu keine Zahlen. Doch immer mehr Giftnotrufzentren melden sich zu Wort. "Jetzt merken wir tatsächlich mehr Anrufe von besorgten Eltern, deren Kindern Handdesinfektionsmittel oder auch Desinfektionsmittel für den Haushalt getrunken haben“, erzählt Daniela Acquarone, Leiterin des Giftnotrufes an der Charité in Berlin, gegenüber unserer Redaktion.
Das GIZ-Nord in Göttingen schreibt dazu auf seiner Homepage: "Uns erreichen derzeit vermehrte Anfragen zu Vergiftungen oder Verletzungen.“ Vor allem bei Kindern aber auch bei Erwachsenen würden sie das beobachten. Vor allem Händedesinfektionmittel würden unsachgemäß gelagert und damit leicht in Kinderhände gelangen.
Im Haushalt sind Desinfektionsmittel meistens unnötig
Deutschland gilt als Land der Putzweltmeister, und diesem Titel werden wir in Corona-Zeiten auch mehr als gerecht. Seifen und Desinfektionsmittel aller Art sind in den Geschäften ausverkauft, der Handel kann die Nachfrage bereits seit Ende Februar kaum mehr bedienen. Dabei benötigt man daheim nur wenig. "Im Normalhaushalt ist ein Desinfektionsmittel nicht zwingend erforderlich“, sagt Daniela Acquarone von der Charité gegenüber unserer Redaktion.
Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sieht diesbezüglich keine Notwendigkeit für gesunde Menschen. "Normale Hygienemaßnahmen wie häufiges und richtiges Händewaschen mit Seife und die regelmäßige Reinigung von Oberflächen und Türklinken mit haushaltsüblichen tensidhaltigen Wasch- und Reinigungsmitteln bieten ausreichenden Schutz“, sagt BfR-Sprecher Fabian Schweyher.
Als behüllte Viren, deren Erbgut von einer Fettschicht (Lipidschicht) umhüllt ist, reagieren Coronaviren empfindlich auf fettlösende Substanzen wie Tenside, die in Reinigungsmitteln und Seifen enthalten sind. Nur in Ausnahmefällen können Desinfektionsmittel auch in Privathaushalten angemessen sein. "Leben dort empfindliche Personen oder Personen mit bestimmten Erkrankungen, kann der Einsatz sinnvoll und notwendig sein.“ Das sollte aber mit einem Arzt abgesprochen werden.
Desinfektionsmittel können gefährlich werden
Trotzdem benutzen viele diese Mittel regelmäßig, oft aber unsachgemäß oder lagern sie nicht richtig. Vergiftungen können die Folge sein. So enthalten Händedesinfektionsmittel für den Hausgebrauch meist Alkohole. "Hat ein Kind nur einen Schluck getrunken, treten üblicherweise keine Symptome auf“, sagt BfR-Sprecher Fabian Schweyher. Dann sollte es Flüssigkeit nachtrinken und gegen eine mögliche Unterzuckerung etwas Süßes zu sich nehmen. Aber die Mittel können auch "Symptome wie Übelkeit, Erbrechen und Schwindel hervorrufen“, ergänzt Daniela Acquarone von der Charité.
Gefährlicher sind Mittel, die zur Desinfektion von Flächen oder Wäsche eingesetzt werden. Neben den oben beschriebenen Alkoholen werden hier auch oxidativ wirksame Stoffe wie Wasserstoffperoxid in höherer Konzentration, Natriumhypochlorit, organische Säuren (z. B. Ameisensäure oder Milchsäure) und quarternäre Ammoniumverbindungen wie Benzalkoniumchlorid eingesetzt. "Die Produkte können - vor allem in konzentrierter Form - ätzend auf Augen, andere Schleimhäute oder die Haut wirken“, sagt BfR-Sprecher Fabian Schweyher. Eine Warnung davor ist auf dem Produkt vermerkt. Nach Haut- oder Augenkontakt sollte dann mit Wasser gespült, beim Verschlucken Flüssigkeit nachgetrunken werden. Anschließend sollte ein Arzt oder Giftinformationszentrum kontaktiert werden. Eine Liste der Zentren der einzelnen Bundesländer hat die Charité online auf einem Merkblatt zusammengestellt.
Nicht jedes Mittel wirkt gegen jeden Erreger
Die wichtigsten beiden Regeln bei Desinfektionsmitteln und Reinigern aller Art lauten aber Vorbeugen und für Kinder unzugänglich aufbewahren. Doch bereits bei der Anschaffung sollte einiges beachtet werden: "Diese Produkte ersetzen die normalen Hygienemaßnahmen nicht, sondern ergänzen sie nur“, sagt BfR-Sprecher Schweyher gegenüber unserer Redaktion. Außerdem sollten sie richtig ausgewählt werden, denn nicht jedes Desinfektionsmittel wirkt gegen jeden Krankheitserreger. Deswegen sollten sich Privatpersonen von Fachleuten beraten lassen, welches Desinfektionsmittel geeignet und wie es einzusetzen ist“, rät er.
Die Mittel sollten nur nach Gebrauchsanweisung angewendet werden, da sie sonst unwirksam werden können, schreibt zudem die BZgA auf ihrer Homepage. Verwendet man Desinfektionsmittel falsch, könnten sogar die Krankheitserreger unempfindlich gegenüber den Wirkstoffen werden. Außerdem dürfen Desinfektionsmittel keinesfalls oral eingenommen oder zur Desinfektion von Lebensmitteln eingesetzt werden, ergänzt Schweyher.
"Bei Reinigungsmitteln ist es auch wichtig, dass diese nicht miteinander gemischt werden“, sagt Daniela Acquarone von der Charité. "Zusammen mit Säuren wie zum Beispiel in WC-Reinigern ruft Natriumhypochlorit, das in vielen Hygienereinigern enthalten ist, die Bildung von Chlorgas hervor.“ Chlorgas schädigt jedoch die Atemwege.
Die vom Verbund für Angewandte Hygiene (VAH) zertifizierten Desinfektionsmittel findet man hier.
Gesprächspartner:
- Fabian Schweyher, Pressesprecher vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin
- Daniela Acquarone, Klinische Toxikologin und Leiterin des Giftnotrufes an der Charité Berlin
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