Viele Menschen freuen sich darauf, endlich in Rente zu gehen. Nicht selten kommt es zum Ende der Berufstätigkeit aber zu Langeweile, schlechter Stimmung und einem Gefühl der Sinnlosigkeit. Wer frühzeitig plant, kann vorbeugen.

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Die meisten Menschen freuen sich auf den Ruhestand: Endlich ist Zeit, um das Leben zu genießen, den eigenen Interessen nachzugehen, zu reisen, mit den Enkelkindern zu spielen und auch einmal in den Tag hineinzuleben. Allerdings erfüllt sich diese Hoffnung nicht immer: Manchmal kommt es stattdessen zu bohrender Leere, Langeweile, Frust und einem Gefühl von Sinnlosigkeit.

Diese typischen Symptome zu Beginn des Ruhestands werden auch als Empty-Desk-Syndrom bezeichnet. Auf Deutsch lässt sich die Bezeichnung Steffen Häfner zufolge auch als "Angst vor dem leeren Schreibtisch" übersetzen. Er ist Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie und ärztlicher Direktor der Klinik am schönen Moos.

Empty-Desk-Syndrom: Sinnzweifel statt Freude nach dem Arbeitsleben

Wie kommt es dazu, dass statt Freude plötzlich Frust und ein Gefühl von Verlust herrschen? "Die meisten Arbeitnehmer haben eine klare Routine, die ihren Alltag strukturiert", sagt der Psychotherapeut. Im Beruf sind sie in ein soziales Umfeld eingebunden. Mit dem Ruhestand bricht das alles plötzlich weg.

Der Alltag läuft auf einmal anders, der Kontakt zu den ehemaligen Kollegen fehlt und es gibt keine festen Aufgaben mehr. "Darauf entsteht oftmals eine innere Unordnung und Leere, an die sich viele nur schwer gewöhnen", sagt Häfner. Die Rente wird dadurch zu einer neuen Herausforderung. "Aus dieser Situation heraus entsteht letztlich das Empty-Desk-Syndrom."

"Langeweile und Frust bis hin zu Depressionen treten als häufige Folgen auf."

Psychotherapeut Steffen Häfner

Es sind verschiedene Symptome mit dem Empty-Desk-Syndrom verbunden. Viele Betroffene fallen zum Rentenbeginn in ein emotionales Loch. "Sie empfinden eine tiefe Leere und haben das Gefühl, ohne ihre Tätigkeit keinen Zweck mehr zu erfüllen", sagt der Experte. Zu einem Gefühl von Sinnlosigkeit und Wertlosigkeit kommen oft noch soziale Isolation und Einsamkeit. "Langeweile und Frust bis hin zu Depressionen treten als häufige Folgen auf."

Statt sozialem Rückzug kann aber auch das Gegenteil beim Empty-Desk-Syndrom der Fall sein. Manche Menschen verfallen regelrecht in Aktionismus, um ihre Verluste zu kompensieren und die Leere zu füllen. "So stürzen sie sich beispielsweise unüberlegt in neue Projekte und Hobbys, was zu Überforderung und Unruhe führt", sagt Häfner.

Häufig kommt es auch zu Problemen in der Partnerschaft, weil sich gewohnte Strukturen verändern und die Person, die in Rente ist, plötzlich an allen Details des täglichen Lebens wie etwa dem Einkauf beteiligt ist. "Dies kann die Beziehung mit der Partnerin oder dem Partner belasten, der oder die sich möglicherweise durch den unerwünschten Eingriff in ihren Tagesablauf gestört fühlt."

Männer sind vom Empty-Desk-Syndrom häufiger betroffen

Betroffen vom Empty-Desk-Syndrom sind vor allem Männer, die eine Führungsposition innehatten oder die sich sehr stark mit ihrer Karriere identifiziert haben. "Bei diesen Personengruppen besteht der Alltag überwiegend aus Arbeit, wodurch wenig Zeit für Hobbys, Familie oder soziale Aktivitäten bleibt", sagt Häfner. Sie seien es entsprechend gewohnt, außerhalb des Jobs nur wenig Zeit zu haben.

Zudem hätten sich die Betroffenen mit ihrer Tätigkeit über die Jahre Anerkennung und einen Status erarbeitet, was nun wegfalle. Die meisten Frauen hingegen pflegten mehr soziale Beziehungen auch außerhalb des Jobs, was für sie den Eintritt in den Ruhestand erleichtere. Dennoch können auch Frauen unter dem Empty-Desk-Syndrom leiden.

Wichtig: Sich neue Aufgaben suchen

Um dem Empty-Desk-Syndrom vorzubeugen, ist es sinnvoll, sich frühzeitig Gedanken darüber zu machen, wie die Zeit nach der Karriere aussehen soll: Wie möchte man den Alltag gestalten? Was will man erleben? "Eine große Rolle spielen dabei Hobbys und soziale Kontakte", sagt der Experte. Als Mitglied in Vereinen oder sozialen Einrichtungen profitierten Ruheständler doppelt: Sie könnten nicht nur einer bestimmten Tätigkeit nachgehen, sondern seien auch in ein soziales Umfeld eingebunden. "Außerdem bleibt ein Gefühl der Wertschätzung und der Sinnhaftigkeit."

Häfner rät außerdem, sich frühzeitig zu überlegen, welche Aspekte der Arbeit man besonders vermissen wird und durch welches Hobby oder welche Tätigkeit sie sich ersetzen lassen könnten. Eine Möglichkeit könnte es zum Beispiel sein, ein Amt in einem Verein oder bei einer Stiftung zu übernehmen und so weiterhin Führungstätigkeiten nachzugehen und Verantwortung zu haben. Denkbar ist etwa auch ein Posten als Berater oder Beraterin im alten Unternehmen oder eine Dozententätigkeit.

Um den Alltag neu zu strukturieren, sollten Ruheständler sich Tätigkeiten suchen, die ihnen Freude bereiten und die idealerweise regelmäßig stattfinden. Denkbar ist es etwa auch, ein Hobby wiederaufzunehmen, für das lange die Zeit gefehlt hat, oder etwas ganz Neues zu lernen. Auch ein Kurs an einer Volkshochschule oder eine Sportgruppe können sinnvolle Optionen sein.

Frühzeitig für den Ruhestand planen

Zukünftige Ruheständler sollten sich idealerweise frühzeitig Gedanken darüber machen, wie sie die Zeit nach ihrer Karriere gestalten wollen. Je früher, desto besser, rät der Experte: "Wer bereits einige Jahre vor dem Renteneintritt mit der Planung beginnt, hat es später leichter." Das Berufsleben biete oft Möglichkeiten, um Vorkehrungen für die Zukunft zu treffen, andere Menschen kennenzulernen und in neue Rollen hineinzuwachsen.

Mit ausreichend Vorlauf besteht die Chance, dass ein Empty-Desk-Syndrom gar nicht erst auftritt: Die Unsicherheit darüber, wie es nach dem Berufsleben weitergeht und was das eigene Leben ausmacht, ist dann bereits aus der Welt.

Zur Person: Dr. Steffen Häfner, Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie und ärztlicher Direktor der Klinik am schönen Moos

Verwendete Quellen:

  • malteser.de: Plötzlich Rente – ein großer Einschnitt ins Leben
Ranking: Dieses europäische Land ist der beste Ort der Welt für den Ruhestand

Ranking: Dieses EU-Land ist der beste Ort der Welt für den Ruhestand

Welches Land ist das ultimative Paradies für den Ruhestand? Der jährliche Global Retirement Index von International Living hat ein europäisches Land zum besten Ort für den Ruhestand gekürt - und das international.
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