Angeblich besorgniserregende Entwicklungen bei Krebserkrankten – insbesondere bei jüngeren Brustkrebspatientinnen – sollen belegen, dass es infolge der Corona-Impfung zu Fällen von besonders aggressivem "Turbo-Krebs" kommt. Für diese Behauptung gibt es jedoch weder Belege noch seriöse Hinweise. Was steckt hinter der Debatte und wie steht es um die Fakten?

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Was genau bedeutet "Turbo-Krebs"?

Medizinisch ist der Begriff weder anerkannt noch definiert. Verschiedene Akteure der internationalen impfkritischen Szene prägten ihn, um auf angeblich besonders dramatische Entwicklungen bei Krebserkrankungen infolge der Corona-Impfstoffe hinzuweisen.

Je nach These komme es demnach zu mehr Krebserkrankungen, vor allem unter jüngeren Menschen, oder zu einem aggressiveren Wachstum von Tumoren. Insbesondere mRNA-Impfstoffe gelten als mögliche Ursache, wie zuletzt die deutsche Pathologin Ute Krüger in einem Gastbeitrag in der "Berliner Zeitung" ausführte.

Ist es richtig, dass Impfungen Krebs auslösen können?

Dafür ist bislang kein nachvollziehbarer Mechanismus beschrieben oder gar belegt. Das Robert-Koch-Institut (RKI) weist auf die gegenteilige Wirkung hin: Impfungen generell können vor Krebs schützen, weil sie das Immunsystem stärken und schwere Verläufe von Virusinfektionen verhindern können – und damit auch Krebserkrankungen, die von Viren ausgelöst werden, wie etwa Gebärmutterhalskrebs.

Die mRNA-Technologie, die bei den Corona-Impfstoffen zum Einsatz kam, stammt sogar aus der Forschung an Krebsimpfungen, die bisher noch auf ihren Durchbruch wartet. Dass diese in der Pandemie in großer Eile entwickelten Vakzine Tumore entstehen lassen, stufen Fachleute als gänzlich unbelegtes Gerücht ein. "Es gibt bisher keine Hinweise, dass die bislang zugelassenen Corona-Impfstoffe die Krebsentstehung fördern oder den Verlauf einer Krebserkrankung negativ beeinflussen", heißt es beim Deutschen Krebsforschungszentrum.

Die Ständige Impfkommission (Stiko) und die onkologischen Fachgesellschaften führen Krebserkrankte als Risikogruppe. Ihnen empfehlen sie sogar ausdrücklich eine jährliche Corona-Auffrischungsimpfung mit mRNA-Vakzinen, damit schwere Covid-19-Verläufe weniger wahrscheinlich sind.

Wie wird die "Turbo-Krebs"-These begründet?

Vor allem mit Einzelbeobachtungen, sogenannter "anekdotischer Evidenz" also. Die Pathologin Krüger etwa berichtet davon, dass sie in Kliniken in Schweden, in denen sie arbeitet, unerklärliche Entwicklungen bei Brustkrebs wahrgenommen habe. Die Fallzahlen besonders unter jüngeren Frauen würden zunehmen, es komme häufiger zu einem beidseitigen Tumorbefall, die Geschwüre wüchsen aggressiver und bereits geheilte Patientinnen erlitten häufiger Rückfälle.

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Die Ärztin führt auch eine 2023 erschienene Studie auf Basis britischer Daten an. Erstellt hat sie ein portugiesischer Ex-Hedgefonds-Manager. Seine Untersuchung erschien indes nie in einem anerkannten Fachjournal nach fachlicher Begutachtung durch andere Experten, wie es in der Wissenschaft üblich ist. Kern seiner Arbeit ist eine Analyse staatlicher Sterbefallstatistiken aus England und Wales, mit der der Autor deutliche Steigerungen in der Sterblichkeit für verschiedene Krebsarten festgestellt haben will. Wirklich belegen kann er dies jedoch nicht.

Ist die Entwicklung bei Brustkrebs tatsächlich so alarmierend?

Die bekannten Daten geben eine solche Einschätzung nicht her. Nach Angaben des bundesweiten Zentrums für Krebsregisterdaten am RKI schwankte die Zahl der Frauen, die eine Brustkrebsdiagnose erhalten, zuletzt zwischen 72.600 und 75.600 pro Jahr. Die jüngsten Daten liegen für 2022 vor, da waren es rund 74.500 – das ist sogar etwas weniger als im Jahr 2021, wobei der Wert durch Nachmeldungen aus den Registern der Bundesländer laut RKI noch steigen könnte.

In der Gesamtschau aber ist kein statistischer Trend nach oben infolge der Impfung ablesbar: In den Jahren 2008 und 2009 lagen die Fallzahlen sogar schon einmal deutlich höher als zuletzt, nämlich bei etwa 78.000 oder sogar darüber. Bei Frauen zwischen 30 und 49 Jahren – die Altersgruppe, auf die sich Krüger vor allem bezieht – geht die Zahl der Neudiagnosen sogar tendenziell leicht zurück. In dieser Gruppe waren es zuletzt stets etwa 11.000 Neudiagnosen pro Jahr.

Wie entwickelt sich die Zahl der Krebstoten?

Bei den Todesfällen infolge einer Brustkrebserkrankung ist ebenfalls keine extreme Entwicklung nach dem Start der Impfkampagne Ende 2020 erkennbar. Seit 2015 liegt die Zahl konstant bei mehr als 18.000 Fällen pro Jahr, erreichte 2022 einmal knapp über 19.100, um 2023 wieder auf rund 18.700 zurückzugehen.

Der langfristige Trend bei diesen absoluten Fallzahlen steigt zwar – allerdings in einer wachsenden und alternden Gesellschaft. Je mehr Menschen es gibt und je älter diese sind, desto mehr Krebsfälle wird es geben und desto mehr werden daran sterben.

Besser vergleichbar ist daher die altersstandardisierte Sterberate, und diese geht eindeutig zurück: von 12,4 pro 100.000 Brustkrebs-Patientinnen im Jahr 2018 auf 11,5 im Jahr 2023. Für die Gesamtzahl aller Krebstoten gilt dasselbe. Der Trend bei den absoluten Fallzahlen zeigt seit Jahren leicht nach oben – altersstandardisiert aber sank die Sterblichkeit kontinuierlich, zuletzt von 147,6 pro 100.000 Personen in 2018 auf 137,5 im Jahr 2023.

In der von Krüger zitierten Auswertung britischer Daten traf der Autor eigene Annahmen über Todesursachen zu Sterbefällen des Jahres 2022, für die nach seiner Darstellung bislang keine Ursachen bekannt waren. Diese Annahmen waren, soweit bekannt, nie von unabhängiger Seite bestätigt, sodass hier ein mögliches Verzerrungspotenzial lag.

Jedenfalls sieht die Studie bei bestimmten Krebsarten in jenem Jahr einen teils exorbitanten Anstieg der Todesfälle, etwa bei Bauchspeicheldrüsen- oder schwarzem Hautkrebs. Dabei beschränkte sich der Autor auf die Altersgruppe der 15- bis 44-Jährigen – angeblich wegen der für diese Altersgruppe "wachsenden anekdotischen Evidenz" an unerklärlichen "Turbo-Krebsfällen".

Hautkrebs mit der ABCDE-Regel erkennen
Hautkrebs mit der ABCDE-Regel erkennen © 1&1 Mail und Media

Allerdings ist dies eben auch eine Altersgruppe, in der krebsbedingte Todesfälle äußerst selten sind, gerade bei den genannten Krebsarten. An Bauchspeicheldrüsenkrebs etwa starben in England und Wales jedes Jahr nur ein paar Dutzend Personen vor ihrem 45. Geburtstag. Ein paar Fälle mehr oder weniger, eine übliche Schwankung also – oder auch die offenbar tatsächlich falsch getroffenen Annahmen des Autors über noch nicht bekannte Todesursachen – und schon entsteht ein statistischer Ausreißer, der nichts mit Impffolgen zu tun hat.

Auch in Deutschland ist altersstandardisiert weder bei Bauchspeicheldrüsen- noch bei schwarzem Hautkrebs ein Anstieg in der Sterblichkeit erkennbar, schon gar nicht im Zusammenhang mit der Impfung. Und während 2022 zwar absolut mehr Männer als im Vorjahr an Bauchspeicheldrüsenkrebs starben, ging die Zahl bei den Frauen im selben Jahr zurück. Mit der Impfung lässt sich das schwer begründen. Bereits die unabhängig von einem angeblichen "Turbo-Krebs" verbreitete These von der Impfung als Grund für eine erhöhte Übersterblichkeit hat sich als nicht seriös begründet herausgestellt.

Aber ist es richtig, dass Tumore aggressiver wachsen als früher?

Sollte die Impfung zu einer erhöhten Sterblichkeit bei Krebs führen, könnte dies theoretisch auch erst in einigen Jahren in der Statistik ablesbar sein. Insofern lohnt auch ein näherer Blick auf die Frage, ob Tumore infolge der Impfung zu einem aggressiveren Verhalten neigen. Beim Zentrum für Krebsregisterdaten ist man auf Anfrage hin eigens auf detaillierte Spurensuche in den Registerdaten, in der Todesursachenstatistik und in Krankenhausdaten gegangen, insbesondere zu Brustkrebs – hierauf bezog Pathologin Krüger ihre Beobachtungen.

Die deutschen Daten bestätigen sie allerdings nicht: "Wir finden keinen Hinweis auf eine höhere Inzidenz, eine höhere Sterblichkeit oder auf ein vermehrt aggressives Tumorverhalten, das sich mit der Impfung in Verbindung bringen ließe", sagt Klaus Kraywinkel, Leiter des Zentrums.

Ein Indikator für ein besonders aggressives Wachstum könnten Tumore sein, die schlecht ausdifferenziert – also besonders bösartig – sind. Auf gut 29 Prozent der Brustkrebspatientinnen traf dies in den Jahren 2018 bis 2020 jeweils zu. 2021 und 2022 ging ihr Anteil sogar geringfügig zurück, auf knapp über 28 Prozent – neuere Daten liegen noch nicht vor.

Auch bei den diagnostizierten Tumorgrößen hat sich das Bild nicht verschlechtert. 2018 stuften Ärzte bei sechs Prozent der betroffenen Frauen den Tumor in die Kategorie "T3" ein, bei sieben Prozent in die Kategorie "T4" – dabei handelt es sich um die beiden größten Tumorarten. In den Folgejahren blieben diese Anteile unverändert, bis zuletzt in 2022.

Einen eigenen Diagnoseschlüssel geben Ärzte an, wenn "mehrere Teilbereiche einer Brust überlappend" betroffen sind – ein möglicher Hinweis auf mehrere Tumore in einer Brust. Tatsächlich erhielten im Jahr 2022 immerhin 17,3 Prozent der Brustkrebspatientinnen den entsprechenden Diagnosecode C50.8 und damit mehr als in den Vorjahren. 2018 hatte der Anteil noch bei 15,7 Prozent gelegen. Allerdings war er bereits vor der Pandemie Jahr für Jahr leicht angestiegen.

Nach Beginn der Impfungen 2021 und 2022 gab es also keine Ausreißer – vielmehr setzte sich ein längst bestehender Trend fort. Der Anteil der Brustkrebspatientinnen mit gleichzeitigen Geschwüren in beiden Brüsten ging, anders als von Krüger beschrieben, sogar zurück: von 2,3 Prozent in 2018 auf 2,0 Prozent in 2022. "Man sieht da definitiv keinen Anstieg", so Registerchef Kraywinkel.

Kehrt der Brustkrebs bei bereits geheilten Patientinnen häufiger wieder zurück?

Eine erhöhte Zahl von Rückfällen bereits geheilter Patientinnen – ein weiteres Argument der "Turbo-Krebs"-These – lässt sich weder bestätigen noch widerlegen, denn: Das Krebsregister erfasst die Rückfälle nicht. Einen Hinweis geben könnte jedoch die Zahl der erfolgten Operationen, die durch Rückfall-Patientinnen eigentlich ansteigen müsste. Erkennbar ist auch das nicht: Die Zahl der Eingriffe schwankte in den vergangenen fünf Jahren zwischen 75.600 und 78.800. 2021 ging es gegenüber dem Vorjahr leicht nach oben, 2022 wieder runter und 2023 etwas deutlicher hoch – ein klarer Trend ist nicht erkennbar.

"Ein gewisser Anstieg bei den Fallzahlen oder bei den Brustkrebs-Operationen ab 2021 wäre sogar plausibel, wenn man von einem Nachholeffekt ausgeht – denn im ersten Pandemiejahr sind die Zahlen zunächst etwas zurückgegangen", bilanziert RKI-Experte Kraywinkel. "Möglicherweise sehen wir später etwas mehr schwerere Fälle und auch eine höhere Mortalität, weil Diagnosen pandemiebedingt später erfolgt sind. Bisher zeichnet sich das jedoch noch nicht ab. Der zeitliche Verlauf der Sterbefälle spricht dagegen sehr dafür, dass die Übersterblichkeit in 2022 zu einem großen Teil auf die Grippewelle am Ende des Jahres und zum Teil auf den heißen Sommer zurückzuführen ist."

Fazit: Keine Daten deuten ernsthaft auf einen "Turbo-Krebs" infolge der Corona-Impfung hin. Auch ein plausibler pathologischer Mechanismus, wie die Impfstoffe Krebs auslösen könnten, ist nicht beschrieben.

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Verwendete Quellen

Brustkrebs-Früherkennung künftig bis 75 Jahre möglich

Frauen dürfen künftig bis zur Vollendung ihres 75. Lebensjahres an der Brustkrebs-Früherkennung teilnehmen. Bisher war das nur bis zum Alter von 69 Jahren möglich.

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