In den USA ist ein Mann freigesprochen worden, der zuvor 33 Jahre lang unschuldig im Gefängnis gesessen hatte. Die Resozialisierung ist nach so langer Zeit besonders schwierig. Häufig verlassen Langzeit-Häftlinge den Knast als gebrochene Menschen.
Für Keith Harward wird der 8. April der erste Tag seit langem in Freiheit sein. Wegen Vergewaltigung und Mordes in den Achtzigern zu lebenslanger Haft verurteilt, saß er mehr als drei Jahrzehnte lang in Burkeville im US-Bundesstaat in Virginia ein - unschuldig, wie sich aufgrund einer DNA-Probe herausstellte.
Harward ist einer von nicht wenigen Gefangenen, die in den USA in den Knast wanderten, obwohl sie das Verbrechen, dessen sie angeklagt waren, nicht begangen haben. 149 Freilassungen aufgrund im Nachhinein erwiesener Unschuld zählte die Universität von Michigan im vergangenen Jahr - bei durchschnittlich 14,5 Jahren unschuldig verbüßter Haftzeit.
Wie viele solcher Fälle es in Deutschland gibt, ist nicht bekannt. Allerdings dürften es deutlich weniger sein. Nichtsdestotrotz bleibt die Gefängniserfahrung für die meisten Häftlinge eine traumatische. Es gebe in deutschen Haftanstalten nicht so viel Gewalt wie in US-Gefängnissen, so Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) im Gespräch mit unserer Redaktion.
"Jedoch haben bei einer unserer Befragungen in Jugendstrafanstalten 27 Prozent der jungen Häftlinge angegeben, schon Opfer massiver Gewalt geworden zu sein." Drei Prozent hätten angegeben, von Mithäftlingen vergewaltigt worden zu sein, sieben Prozent, dass sie sexuell belästigt wurden.
Bei Erwachsenen seien die Zahlen zwar nicht so hoch, "aber einem gewissen Maß an Gewalt, Erpressung und Druck ist fast jeder Häftling ausgesetzt. Das Eingesperrtsein hat eine enorme destruktive Wucht."
Resozialisierung auch für unschuldig Inhaftierte?
Je länger ein Mensch eingesperrt sei, desto größer werde diese Wucht, sagte der Kriminologe weiter. "Wer mehr als zwei Jahrzehnte hinter Gittern verbringt, kommt meist als gebrochener Mensch wieder heraus." Das gelte für unschuldige wie schuldige Häftlinge fast in gleichem Maße. Unschuldig Inhaftierte hätten aber in der Regel mehr Unterstützung aus ihrem sozialen Umfeld und könnten aus ihrem Kampf gegen die Ungerechtigkeit, die ihnen widerfahren ist, Kraft ziehen.
Diese Kraft brauchen sie auch - für ihren Gang durch die gerichtlichen Instanzen und auch nach ihrer Freilassung. Denn Hilfe zur Resozialisierung, wie es sie für andere Ex-Häftlinge etwa in Form des Bewährungshelfers gibt, gibt es für unschuldig Verurteilte nicht. Schließlich besteht bei ihnen ja nicht die Gefahr, dass sie rückfällig werden.
Die Forderung nach einem Wiedereingliederungshelfer wird aber immer wieder vorgebracht. Etwa vom Deutschen Anwaltverein (DAV), der argumentiert, dass die Auswirkungen der Haft für Unschuldige wie Schuldige gleich schwer seien.
25 Euro Entschädigung pro Tag
Auch der Strafverteidiger Heinrich Schmitz fordert in einer Kolumne für das Magazin The European, es müsse alles getan werden, um die gesellschaftliche Reputation von Justizopfern wiederherzustellen, "ihnen eine angemessene Wohnung, ihren alten Arbeitsplatz und was auch sonst ihnen alles genommen wurde, zurückzugeben".
Er ist der Ansicht, dass es Unschuldige im Knast schwerer haben als die anderen Häftlinge. Sie hätten eine "besondere Haftempfindlichkeit", könnten an der staatlich angeordneten Freiheitsberaubung zerbrechen und hätten darunter zu leiden, dass sie "gemeinhin als therapieunwillig, störrisch und nicht resozialisierbar gelten", weil sie sich angeblich nicht mit ihrer Tat auseinandersetzen wollten.
Kritik äußert er auch an der Höhe der Entschädigung für unschuldig Inhaftierte. Sie liegt in Deutschland nach Paragraf 7 des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) bei 25 Euro pro Hafttag. Viel zu wenig, meint Schmitz.
Wichtigste Arbeit wird noch im Knast geleistet
Auch Christian Pfeiffer findet, dass die Fürsorge des Staates für unschuldig Verurteilte nach ihrer Freilassung nicht besonders groß ist. "Sie können nach der Haft eine Traumatherapie beantragen, aber die zu bekommen, ist schwierig", so der ehemalige Direktor des KFN.
Mindestens so wichtig wie die Nachsorge sei aber ohnehin die Arbeit mit den Gefangenen vor der Freilassung. Das heißt: Therapien innerhalb der Gefängnismauern, aber auch Kurse, damit die Häftlinge bei allen Veränderungen, die in der Zeit ihrer Inhaftierung außerhalb der Gefängnismauern vor sich gehen, nicht den Anschluss verlieren.
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