Gesundheitsminister Lauterbach will Homöopathie als Krankenkassenleistung abschaffen. Fans der angeblichen Alternativmedizin sind entsetzt - doch was ist Homöopathie überhaupt? Und warum wird sie so kontrovers diskutiert?

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Globuli als Kassenleistung? Geht es nach Karl Lauterbach, könnte es damit bald vorbei sein. Der Bundesgesundheitsminister will die Finanzierung von homöopathischen Arzneimitteln durch gesetzliche Krankenkassen abschaffen. Stimmt der Bundestag zu, müssen Patientinnen und Patienten solche Mittel in Zukunft aus eigener Tasche bezahlen.

Dem Gesundheitsminister geht es dabei ums Prinzip: "Die Homöopathie ist eine Leistung, die keinen medizinischen Nutzen auf Grundlage eines wissenschaftlichen Sachstandes erbringt", sagte er auf einer Pressekonferenz. "Dann sollte eine solche Leistung auch nicht bezahlt werden."

Bei Fans der angeblichen Alternativmedizin - darunter auch Ärztinnen und Ärzte - trifft er damit auf großes Unverständnis. Sie verweisen auf die alltäglichen Erfolge bei der Behandlung mit Homöopathika und auf Studien, die eine positive Wirkung belegen sollen. Ein Thema – zwei sehr gegensätzliche Ansichten. Was hat es damit auf sich?

Wo hat die Homöopathie ihren Ursprung?

Die Ursprünge der Homöopathie reichen bis in die Antike zurück. Zum Durchbruch verhalf ihr 1796 der deutsche Arzt Samuel Hahnemann. Damals steckte die Medizin noch in den Kinderschuhen. Schröpfen, Aderlässe und Quecksilber gehörten zur gängigen medizinischen Praxis – und verursachten mitunter mehr Schaden als Nutzen.

Hahnemann wandte sich von diesen Behandlungsmethoden ab und entwickelte eine eigene Philosophie: Ähnliches solle durch Ähnliches geheilt werden. Wirkstoffe, die bei Gesunden bestimmte Symptome hervorruft, können in hoher Verdünnung ähnliche Symptome bei Kranken heilen – so seine Idee. Auf dieser Denkschule basiert die Homöopathie heute noch.

Was genau ist Homöopathie?

Homöopathie wird häufig mit Naturheilkunde gleichgesetzt oder verwechselt. Tatsächlich haben die beiden Heilkonzepte wenig gemein: Während die Naturheilkunde auf der Wirkung bewährter Heilpflanzen beruht und nach medizinisch-wissenschaftlichen Grundsätzen arbeitet, steht bei der homöopathischen Heilphilosophie vor allem die wissenschaftlich nicht belegte Herstellungsweise der Arzneien im Vordergrund.

Dabei werden die Ausgangsstoffe, zum Beispiel der Wirkstoff der Tollkirsche, mit Wasser und Alkohol (für Tropfen) oder Zucker (für Globuli) vermischt oder verrieben und somit verdünnt. Wie stark der Wirkstoff verdünnt wird, hängt vom Potenzierungsgrad ab, der als Buchstabe auf der Arznei angegeben wird:

  • D-Potenz: Verdünnung 1:10 + 10 Schüttelschläge
  • C- Potenz: Verdünnung 1:100 + 10 Schüttelschläge
  • Q-Potenz: Verdünnung 1:50.000 + 100 Schüttelschläge

Neben dem Buchstaben der Potenzierungsstufe steht meist eine Zahl, die die Anzahl der Verdünnungsschritte angibt. D6 bedeutet demnach, dass die 1:10-Verdünnung des Wirkstoffs sechsmal wiederholt wurde. Rein rechnerisch sind dann nur noch 0,0001 Prozent der Urtinktur in einer D6-Arznei enthalten. Bei C12 - also einer 12-malig wiederholten Hundertfach-Verdünnung – sind nur 0,0000000000001 Prozent enthalten – der Wirkstoff ist nicht mehr nachweisbar.

In der Homöopathie besteht dennoch der Glaube, dass die Wirkung mit steigender Potenzierung sogar zunimmt, obwohl der Wirkstoff jenseits der Nachweisbarkeitsgrenze liegt. Grund dafür sind angeblich die Schüttelschläge, die zwischen den Verdünnungsschritten ausgeführt werden.

Durch kräftige Schläge des Arzneimittelfläschchens gegen einen elastischen Körper, zum Beispiel einen Lederball, soll die "energetische Information" des ursprünglichen Wirkstoffs auf das Trägermedium übertragen werden. Trägermedien wie Wasser sollen sich dadurch an die Eigenschaft und Wirkung des Ausgangsstoffs "erinnern". Diese Theorie ist höchst umstritten und hat keine wissenschaftliche Grundlage - physikalische oder chemische Belege für ein solches "Wassergedächtnis" gibt es nicht.

Wie lässt sich Homöopathie von klassischer Schulmedizin abgrenzen?

Die Verdünnungsprozedur mit den Schüttelschlägen steht in klarem Gegensatz zu den Prinzipien der konventionellen Pharmakologie, die auf einer klaren Dosis-Wirkungs-Beziehung beruht. Demnach nimmt die Wirkung einer Substanz ab einem gewissen Schwellenwert mit steigender Dosis zu. Homöopathische Arzneimittel, deren Wirkstoffkonzentrationen nicht mehr nachweisbar sind, widersprechen diesem Prinzip.

Ohne erfolgreichen Wirksamkeitsnachweis erhalten Arzneimittel keine Zulassung. Der Nachweis kann nur durch genehmigte klinische Studien geführt werden, deren Kriterien die Arzneimittelbehörde vorgibt. Auch Hersteller von homöopathischen Arzneien werben häufig mit Wirksamkeitsnachweisen. Allerdings gelten für Homöopathika, die im Arzneimittelgesetz zu den "besonderen Therapierichtungen" gehören, andere Zulassungsregeln.

Auch hier muss für eine Zulassung ein Nachweis zur Wirksamkeit des Arzneimittels eingereicht werden – dieser ist aber nicht mit den üblichen klinischen Zulassungsstudien für Medikamente vergleichbar. Kritiker der Homöopathie bezeichnen das Zulassungsverfahren als aus wissenschaftlicher Sicht willkürlich. Und ist die Arznei um den Faktor 1:10.000 verdünnt, braucht es gar keine Zulassung – dann reicht lediglich ein Nachweis über gesundheitliche Unbedenklichkeit.

Gibt es wissenschaftliche Belege für die Wirkung von Homöopathie?

Es gibt zahlreiche Studien, die sich mit einer möglichen Wirkung von Homöopathie beschäftigen. Darunter finden sich vereinzelt auch Studien, die den verdünnten Substanzen einen positiven Effekt zuschreiben. Insgesamt ist die Studienlage allerdings eindeutig: Es gibt kein Leiden, bei dem Homöopathie nach derzeitigem Kenntnisstand besser hilft, als ein Placebo, also ein Wirkstoff-freies Scheinmedikament.

  • Eine großangelegte Metastudie im renommierten Fachblatt "The Lancet" untersuchte schon 1997 weit über hundert vorangegangene Studien zum Thema Homöopathie. Zwar fanden sie bei der Gesamtbetrachtung der Daten mehrerer Studien positive Effekte – allerdings bewerteten sie die Qualität der Studien als nicht ausreichend. Zudem vermuteten sie einen "Publication bias": Demnach könnten Studien, die keinen oder sogar negative Effekte von Homöopathie zeigten, nicht veröffentlicht worden sein, was die Studienlage verzerrt. Die als qualitativ hochwertig angesehenen Studien zeigten hingegen keine Wirkung von Homöopathie. Insgesamt kamen die Autorinnen und Autoren der Metastudie zu dem Ergebnis, dass es keine ausreichenden Belege für die Wirksamkeit homöopathischer Arzneien gibt.
  • Weitere Metastudien erschienen 2014 und 2017 in der Fachzeitschrift "Systematic Reviews". In beiden Fällen bewerteten die Autorinnen und Autoren die Qualität der untersuchten Studien häufig als mangelhaft. Bis auf drei untersuchte Studien standen in der Metastudie von 2017 alle unter dem Verdacht, dass die Interpretation der Ergebnisse - bewusst oder unbewusst - in eine bestimmte Richtung gelenkt wurde. Die drei als zuverlässig erachteten Studien zeigten einen geringen Effekt für individualisierte Homöopathie, bei der die Patienten nach aktuellen Symptomen befragt werden und danach das Homöopathikum ausgewählt wurde. Allerdings war die Datenmenge nach Ansicht der Autorinnen und Autoren zu klein, um eine qualifizierte Aussage zu treffen.
  • 2022 zog eine Metastudie der österreichischen Donau-Universität Krems die Seriosität der homöopathischen Forschung aufgrund fragwürdiger wissenschaftlicher Praxis generell in Zweifel. Die gängigen Leitlinien sehen vor, dass Studien vorab in offiziellen Datenbanken registriert werden. Das soll verhindern, dass die Fragestellung einer Studie nachträglich verändert und an die Ergebnisse angepasst wird. Über 50 Prozent der publizierten Homöo-pathie-Veröffentlichungen waren demnach nicht registriert. Bei mehr als einem Drittel der innerhalb der letzten 20 Jahren registrierten Homöopathie-Studien wurden die Ergebnisse hingegen nie veröffentlicht. Das legt einen "Publication bias" nahe.

Zwar schließen diese großangelegten Metastudien nicht aus, dass Homöopathie nicht doch wirken könnte – doch auch über 200 Jahre nach Hahnemann fehlt ein wissenschaftlicher Nachweis, der eine Wirkung eindeutig belegt.

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Warum glauben dennoch so viele Menschen an Homöopathie?

Obwohl ein wissenschaftlicher Beleg für die Wirksamkeit der Homöopathie fehlt, schwören viele Menschen - und auch Ärztinnen und Ärzte - auf die hochverdünnten Mittel. Laut einer 2021 veröffentlichten Forsa-Umfrage im Auftrag der Deutschen Homöopathie-Union (DHU) haben 55 Prozent der Befragten Erfahrung mit homöopathischer Behandlung gemacht - über 60 Prozent waren mit der Wirksamkeit zufrieden. Vor allem Frauen (66 Prozent) und Akademikerinnen und Akademiker (62 Prozent) nutzen demnach Homöopathie.

Wie lässt sich das erklären? Studien schreiben positive Effekte der Homöopathie unter anderem dem Placebo-Effekt zu. Allein der Glaube, dass eine Behandlung helfen wird, kann die Genesung positiv beeinflussen – auch wenn die Behandlung selbst wirkungslos ist. Dies wird auch durch ein vertrauensvolles Verhältnis zur Ärztin oder zum Arzt gefördert.

Oftmals verschwinden Beschwerden dank unseres Immunsystems nach einiger Zeit auch von allein. Werden zeitgleich homöopathische Mittel eingesetzt, wird die Besserung jedoch häufig dem Mittel zugeschrieben.

Kann Homöopathie schaden?

Da in homöopathischen Arzneimitteln kein Wirkstoff nachweisbar ist, sind unerwünschte Nebenwirkungen eher unwahrscheinlich. Direkt schädlich sind sie also vermutlich nicht. Und auch gegen einen Placebo-Effekt spricht nicht unbedingt etwas - so lange es sich um harmlose Beschwerden handelt.

Forscherinnen und Forscher warnen jedoch, dass homöopathische Arzneien dann schädlich sein können, wenn Menschen bei schwereren Erkrankungen zugunsten von Homöopathie auf eine wirksame Behandlung verzichten. Manche zwielichtigen Anbieter und Befürworter von homöopathischen Präparaten behaupten sogar, dass Homöopathie Krebs heilen könne. Für solche hochgegriffenen Behauptungen fehlt allerdings jeglicher Beleg.

Selbst die DHU, einer der größten Hersteller von homöopathischen Arzneimitteln in Deutschland, ist der Ansicht, dass Homöopathie kein Allheilmittel ist. Bei schweren Erkrankungen habe Homöopathie lediglich eine unterstützende Funktion, als Ergänzung zur schulmedizinischen Behandlung.

Homöopathie: Welche Leistungen übernehmen die Krankenkassen derzeit?

Die meisten Krankenkassen, darunter auch viele gesetzliche Kassen, übernehmen die Kosten für homöopathische Präparate. Ob die Kosten vollständig oder nur teilweise übernommen werden, variiert – das entscheiden die Krankenkasse selbst.

Dass Krankenkassen die Kosten für homöopathische Mittel trotz fehlender wissenschaftlicher Belege überhaupt übernehmen, ist vor allem dem Wettbewerb unter den Kassen geschuldet. Mit dem Angebot zur Kostenübernahme versuchen sie, Kunden zu werben.

Damit dürfte es vorbei sein, wenn sich Lauterbach mit seinem Vorstoß durchsetzt. Auch in anderen Ländern werden homöopathische Mittel inzwischen nicht mehr staatlich finanziert. So hat Frankreich Homöopathika 2021 aus dem Kassenkatalog verbannt. Die Begründung entspricht den Argumenten Lauterbachs: Aufgrund des Mangels an wissenschaftlichen Belegen sei die Kostenübernahme von Homöopathie durch gesetzliche Krankenkassen nicht zu rechtfertigen.

Was spricht für Homöopathie als Kassenleistung?

Nach Ansicht von Michaela Geiger, Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte, würde eine Streichung von Homöopathie als Kassenleistung das Therapieangebot in der ärztlichen Versorgung einschränken. "Es würde eine therapeutische Monokultur in den Praxen entstehen – die Leidtragenden wären die Patienten", sagte sie laut einem Bericht von "Zeit Online". "Wir erleben täglich in der Praxis, dass die Therapievielfalt medizinisch sinnvoll ist."

Viele Patientinnen und Patienten kämen gezielt wegen der Homöopathie in Arztpraxen, insbesondere bei chronischen Erkrankungen, sagt Geiger. Begleitend zur konventionellen Medizin sei dies eine wichtige Unterstützung. Durch ein Aus als Kassenleistung könnten sich nicht mehr alle Patientinnen und Patienten homöopathische Arzneien leisten. "Homöopathie aber ist versorgungsrelevant", sagt Geiger.

Lauterbach widerspricht dieser Sichtweise. Wenn Globuli eine Kassenleistung seien, ergebe das "ein falsches Bild von Wissenschaft", sagt der Minister. Dem stimmt auch Nikil Mukerji zu, Vorsitzender des Wissenschaftsrats der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften. "Dadurch hängt man der Homöopathie den Deckmantel der Rationalität über", sagte er im Interview mit "tagesschau.de". "Schamanismus oder andere pseudomedizinische Verfahren werden ja auch nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen."

Verwendete Quellen

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