- Kinder nicht nur vor COVID, sondern auch vor Long COVID zu schützen: Das ist für manche Eltern ein Grund für eine möglichst baldige Impfung.
- Doch wie verbreitet ist Long COVID eigentlich bei Kindern? Der aktuelle Stand der Forschung.
Immer wieder gehen durch die Medien die Einzelschicksale: von Menschen, die unter Long COVID leiden und durch die Folgen einer Corona-Erkrankung aus dem Leben gerissen sind. Die nicht mehr arbeiten, Sport treiben oder sonstigen Hobbys nachgehen können, die körperlich nicht belastbar sind und unter Atemnot leiden, sich sozial zurückziehen müssen. Die Vorstellung, das eigene Kind könnte über Monate in dieser Situation sein, ist für manche Eltern ein Grund, Kinder so schnell wie möglich impfen zu lassen.
Was allerdings anhand der aktuellen Studienlage kaum zu beurteilen sei: Wie häufig Kinder und Jugendliche eigentlich von Long COVID betroffen sind. Das schreiben australische Forscher in einem Übersichtsartikel in "The Pediatric Infectious Disease Journal". Die Frage nach Long COVID - also dem Anhalten von Corona-Symptomen über viele Wochen - ist brisant, eben weil das Syndrom ein Argument für Kinder-Impfungen sein könnte, sollte es weit verbreitet sein.
COVID-Verlauf bei Kindern mild - meistens
Eine Corona-Erkrankung verläuft bei Kindern und Jugendlichen in der Regel deutlich milder als bei Erwachsenen:
- Die meisten Kinder entwickeln keine Symptome, manche erkranken leicht.
- Zwei Prozent müssen in einem Krankenhaus behandelt werden, schreiben die australischen Forscher mit Verweis auf verschiedene internationale Untersuchungen.
- Rund 0,03 Prozent versterben als Folge der Infektion.
Sollten Kinder unter zwölf Jahren trotzdem geimpft werden? Dazu läuft in Deutschland eine hitzige Debatte.
Daten: Kinder bekommen Long COVID, aber anders als Erwachsene
"Das geringe Risiko der akuten Erkrankung bedeutet, dass einer der Hauptvorteile einer Impfung von Kindern darin liegen könnte, sie vor Long COVID zu schützen", sagt Nigel Curtis von der Universität Melbourne, einer der Autoren des Übersichtsartikels. Er und sein Team fassten vierzehn Einzelstudien zu Long COVID zusammen, die rund 19.426 Kinder einbezogen. Das Auftreten von typischen Symptomen variierte je nach Studie zwischen vier und 66 Prozent. Die kleinen Patienten klagten über Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Konzentrationsschwäche, Bauchschmerzen und Muskel- sowie Gelenkbeschwerden.
In drei Studien waren Mädchen deutlich häufiger betroffen. Nach höchstens zwölf Wochen war der Großteil der Kinder beschwerdefrei. Kinder scheinen zwar an Long COVID zu erkranken - aber weniger lange und ausgeprägt als Erwachsene.
Die Autoren betonen stark die begrenzte Datenlage. "Die vorliegenden Studien geben keine klare Definition für das Syndrom an", erklärt Curtis. Mittels Online-Umfragen oder Telefoninterviews wurden die Daten erhoben. Patienten mit starkem Leidensdruck würden diese Tools vielleicht mehr nutzen als Kinder mit leichten Symptomen. Die Häufigkeit von Long COVID könnte dadurch überschätzt werden.
Zudem sei unklar, ob die berichteten Symptome überhaupt auf eine Infektion mit dem Coronavirus zurückzuführen sind - oder beispielsweise Folgen eines Lockdowns. Für zukünftige Studien fordern die Autoren klare Kontrollgruppen. Long COVID-Patienten müssten mit gesunden Probanden sowie Kindern verglichen werden, die an anderen Atemwegsinfektionen erkrankt sind. Nur so könnte ein kausaler Zusammenhang tatsächlich festgestellt werden.
Long COVID oder nicht? Warum die Diagnose schwierig ist
Sollten Kinder also geimpft werden, um sie vor Langzeitfolgen der Erkrankung zu schützen? "In der Debatte über die Vorteile einer Impfung müssen wir das Risiko für Long COVID in dieser Altersgruppe kennen", meint Curtis. Die aktuellen Studien reichten dafür aber noch nicht aus. Daniel Vilser, leitender Oberarzt für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Jena, sieht das ähnlich.
"Die Studie fasst gut zusammen, wie die Datenlage im Moment aussieht", sagt er zu dem Übersichtsartikel. "Aber die Daten sind noch nicht gut vergleichbar." Über 200 Symptome sind mit Long COVID assoziiert. Es gibt viele Überschneidungen zu Erkrankungen, die schlecht fassbar sind - beispielsweise zu Depressionen und psychosomatischen Krankheitsbildern. Die Übergänge sind fließend. "Wir haben keinen Biomarker, der die Verdachtsdiagnose objektiv bestätigen könnte. Das ist unser Hauptproblem." Vilser leitet eine neu eingerichtete Long COVID-Sprechstunde.
"Wir schulen die Kinder im Umgang mit der Erkrankung", sagt er. Eine kausale Behandlung gibt es nicht. Manche Kinder profitieren von Physio-, Ergo- oder Psychotherapie. "Wir stellen aber auch Bescheinigungen aus, sodass weniger belastbare Kinder zum Beispiel nur für zwei Stunden pro Tag zur Schule gehen müssen."
Vilser stimmt mit den Autoren der Studie überein, dass die Symptome auch als Folge der Pandemie gewertet werden können. "Wenn wir die Schäden durch den Lockdown mit den Schäden durch das Virus betrachten: Dann überwiegt klar der Lockdown", sagt Vilser. Seit Beginn der Pandemie ist die Inzidenz von psychosomatischen Erkrankungen bei Kindern stark gestiegen. "Dass es Long COVID bei Kindern nicht gibt, ist aber falsch. Es wäre schade, wenn die Betroffenen keine Hilfe bekämen." (dpa/af)
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