Ausgebrannt, erschöpft, am Ende: Die Depression wird zur Volkskrankheit. Rund drei Millionen Menschen leiden laut Bundesgesundheitssurvey in Deutschland an der Krankheit - allein in den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl verdoppelt. Nicht nur seit den jüngsten Offenbarungen von berühmten Sportlern wie Bundesligatrainer Ralf Rangnick ist der Zustand unter dem Begriff "Burn Out" auch in der Arbeitswelt immer mehr ein Thema: Laut Techniker Krankenkasse geht jeder fünfzehnte Arbeitsunfähigkeitstag auf das Konto einer Depression. Wir haben mit Rita Wüst, der Geschäftsführerin des Münchener Bündnisses gegen Depression, über das Massenleiden gesprochen.

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Das Thema Depressionen ist seit einiger Zeit in aller Munde, woran kann das liegen?

In den letzten zehn Jahren wurde viel dafür getan, dass psychische Erkrankungen stärker thematisiert wurden. Und dabei ist die Erkrankung Depression die salonfähigste. Das liegt auch daran, dass jeder ein bisschen nachvollziehen kann, wie es ist, Depressionen zu haben. Ein Gefühl von Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit, kennt man einfach.

Eine erhöhte Aufmerksamkeit ist das eine, aber wie es scheint, haben die Erkrankungen auch zugenommen?

Das stimmt, aber wir haben es momentan mit einer Welle zu tun, die vieles einschließt. Wenn man sich Begriffe wie "Burn Out" ansieht, dann ist man in einem wachsweichen Bereich, zwischen Depression oder Lebenskrise und Erschöpfungszustand. Das macht auch die Steigerung der Zahlen aus. Deswegen muss man unterscheiden, ob man Depression als Krankheitszustand im engeren Sinne meint.

Wann genau spricht man also von einer Depression?

Depression als Krankheit ist dann behandlungsbedürftig, wenn verschiedene Symptome über mindestens zwei bis vier Wochen anhalten und jeden Tag und in allen Lebensbereichen auftreten - also nicht nur im Beruf, sondern auch im privaten Bereich und dieser Zustand mindestens die Hälfte des Tages beeinträchtigt. Neben der zeitlichen Komponente muss man noch analysieren, wie stark die Symptome auftreten. Dabei gibt es drei Kernsymptome: Eine nicht objektive Hoffnungslosigkeit, ein depressives Grundgefühl - selbst positive Dinge können nicht mehr positiv gesehen werden - und ein psychisches und physisches Erschöpfungsgefühl.

Können neben dem Schwächezustand weitere körperliche Symptome auftreten?

Natürlich, häufig hat man mit Einschränkungen im Denkvermögen zu kämpfen, also Konzentrationsschwierigkeiten. Oft leiden Patentien an Appetitverlust oder auch Appetitsteigerung. Schlafprobleme treten ebenfalls sehr häufig auf.

Wie kann man sich den Beginn eines typischen Krankheitsverlaufs vorstellen?

Die meisten Depressionen verlaufen in bestimmen Phasen. Das heißt, nach einer Phase können auch alle Symptome auf einmal wieder verschwinden. Was aber nicht heißt, dass man jetzt geheilt ist und nie wieder etwas aufritt. Ganz im Gegenteil, und das ist auch die Gefahr dabei: Man muss davon ausgehen, dass bei über der Hälfte der Erkrankten, also denjenigen die mal eine solche Phase erlebt haben, wieder Symptome auftreten werden.

Also kann man nach einer bestimmten Zeit ohne Krankheitssymptome nicht von einer Heilung sprechen?

Rita Wüst
Rita Wüst ist Geschäftsführerin des Münchener Bündnisses gegen Depression, ein gemeinnütziger Verein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Aufklärung rund um das Thema Depressionen zu betreiben. Zudem werden Fortbildungs- und Informationsveranstaltungen für Hausärzte, Pflegekräfte und Lehrer, sowie Selbsthilfegruppen für Betroffene organisiert. © Meinen Fotografie München

Ja, es gibt Patienten, die haben nach über einem Jahrzehnt wieder die auftretenden Merkmale. Deswegen sollte man auch nicht abwarten und hoffen, dass es von alleine schon besser wird. Depressionen sind eine ganz ambivalente Krankheit. Einerseits weiß man, dass man Hilfe braucht, auf der anderen Seite kommt man - je länger es dauert - in einen Zustand der Hoffnungslosigkeit und denkt, dass ja alles eh keinen Sinn macht. Deswegen muss so früh wie möglich fachliche Hilfe hinzugezogen werden.

Oft spricht man ja von Depressionen durch Stress. Ist die Krankheit aber auch vererbbar?

Da man von einer Erkrankung spricht, müssen wir davon ausgehen, dass auch eine genetische Veranlagung vorhanden ist. Die Wahrscheinlichkeit unter Depressionen zu leiden, wenn ein- oder beide Elternteile erkrankt sind, steigt deutlich an.

Was gibt es nun für Behandlungsmöglichkeiten und wie lange dauert eine typische Behandlung?

Sollte ein Patient von einer ersten Phase betroffen sein, muss man davon ausgehen, dass diese Phase mindestens ein halbes Jahr anhält. So lange sollte auch mindestens die Behandlung mit Medikamenten und einer Therapie dauern. Optimal ist, wenn der Patient danach noch weiter therapeutisch begleitet wird, so dass wir von einer Behandlungsdauer, bei einer Ersterkrankung, von einem Jahr sprechen.

Inwiefern treffen diese ganzen Kriterien auch auf die "Modekrankheit" "Burn Out" zu?

"Burn Out" ist streng genommen gar keine Diagnose, sondern eine Zustandsbeschreibung. Deswegen kann daraus auch keine konkrete Handlungsempfehlung entstehen. Ein "Burn Out" ist ein Zustand der totalen Erschöpfung. Ob es dann eine Depression ist oder nicht, diese Entscheidung erfolgt im Einzelfall. Der Begriff "Burn Out" wird im Volksmund zu lapidar und oft als Synonym für alle möglichen Erschöpfungszustände, Angststörungen und klassischen Stresssituationen verwendet.

Hat der Begriff "Burn Out" aber nicht auch zu einer höheren Aufmerksamkeit und Akzeptanz in der Bevölkerung geführt?

Es ist Fluch und Segen. Fluch für die Menschen, die ernsthaft psychisch erkrankt sind, weil sie dann womöglich nicht mehr so ernst genommen werden. Auf der anderen Seite ist es ein Türöffner, um überhaupt mal psychische Erkrankungen und Belastungen ins Gespräch zu bringen.

Immer häufiger sind Depressionen der Grund für Krankschreibungen. Wie geht man denn mit seinem Kollegen um, wenn dieser an den Arbeitsplatz zurückkehrt?

Also nach einer wahrscheinlich längeren Phase der Krankschreibung, sollte der Patient eigentlich wieder voll in den Arbeitsalltag integriert werden. Zwar unter der Berücksichtigung, dass eine Krankheit vorliegt, trotzdem sollte er nicht ausgeschlossen werden. Das muss natürlich ganz genau analysiert werden in welchen Umfang. Am besten lässt sich sowas in einem ganz offenen Team-Gespräch klären.

Und im Privatleben? Geht man da genauso vor?

Das ist mit der Arbeitswelt absolut vergleichbar. Auch hier besteht die Kunst darin, einen Mittelweg zwischen Unter- und Überforderung zu finden, was natürlich sehr schwierig ist. Es ist aber auf keinen Fall hilfreich, dem Betroffenen alles abnehmen zu wollen - das isoliert nur noch viel mehr.

Gibt es denn überhaupt eine Möglichkeit, sich gegen Depressionen zu schützen?

Da gibt es eine ganz einfache Regel: Grundsätzlich sollte man einfach Tätigkeiten ausüben, die einem gut tun. Bei dem einen ist es Yoga, bei dem anderen ist es Skifahren oder Tischtennis. Man muss ehrlich zu sich sein und eingestehen, wenn einen manche Dinge zu stark belasten oder man sie einfach nicht kann, zum Beispiel in der Arbeit.

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