- Wer an Long COVID erkrankt ist, hat oft einen langen Weg vor sich.
- Geduld und Optimismus können dabei helfen, auch Rückschlägen gelassen zu begegnen.
- Dabei ist es entscheidend, die eigene Situation zu akzeptieren und zugleich die Hoffnung zu bewahren, dass es wieder besser werden wird.
Die Erschöpfung zieht sich hin: An einigen Tagen ist es besser, an anderen schlechter. Immer wieder kommen neue Symptome hinzu, während andere verschwinden. Wer unter Long COVID leidet, wünscht sich oft, wieder so leistungsfähig wie früher zu sein. Bis dahin ist es aber ein langer Weg, der viel Geduld erfordert. Insbesondere an schlechten Tagen und bei Rückschritten ist es schwierig, optimistisch zu bleiben.
Wie das gelingen kann, warum Zuversicht für die Heilung wichtig ist und wie Betroffene ihre Geduld bewahren können, weiß die Psychologin Stefanie Nüßlein. Sie ist nicht nur Autorin des Ratgebers "Mit Long COVID zurück ins Leben", sondern leidet auch selbst unter Long COVID.
Frau Nüßlein, viele Menschen wollen gern so leistungsfähig wie früher sein, merken aber schnell, dass Long COVID sie schnell an ihre Grenzen bringt. Inwieweit ist Geduld bei dieser Erkrankung eigentlich besonders wichtig?
Stefanie Nüßlein: Geduld spielt eine große Rolle, denn durch Long COVID ist der eigene Akku sprichwörtlich schneller leer und braucht mehr Zeit, um wiederaufzuladen. Darüber hinaus verläuft der Genesungsprozess in Wellen: Es gibt kleine Schritte nach vorne, aber auch immer wieder neue Symptome oder Schritte zurück. Betroffene brauchen also einen langen Atem und viel Geduld, um mit Long COVID den Weg zurück ins Leben zu finden.
Long COVID ist für viele Menschen, die es sonst immer gewohnt waren, leistungsfähig zu sein, eine besondere Geduldsprobe. Wie kann man eigentlich Geduld lernen?
Wir können vor allem dann geduldig mit uns sein, wenn wir tief im Inneren verstanden haben, dass es wirklich notwendig ist. Dieses Annehmen ist aus psychologischer Sicht der wichtigste Schritt, um sein Leben neu auf die Krankheitssituation auszurichten. Akzeptanz heißt deshalb auch: loslassen von alten Gewohnheiten und Überzeugungen. Das belegen übrigens auch wissenschaftliche Studien: Menschen, die in Akzeptanz geübt sind, können Veränderungen besser annehmen und reagieren flexibler auf neue Umweltbedingungen.
Insbesondere viele junge Menschen sind nicht vertraut damit, immer wieder auf die Probe gestellt zu sein und sich immer wieder selbst aufrichten zu müssen, wie es Long COVID erfordern kann. Ist Long COVID für sie besonders schwierig auszuhalten?
Im Laufe der Lebensspanne entwickeln und festigen sich unsere Identität, unsere mentale Stärke und auch die tiefe, innere Überzeugung: Ich bin genug. Dieses Selbstvertrauen hilft uns, auch in schwierigen Situationen nicht aufzugeben, Rückschritte auszuhalten und auch unter widrigen Umständen immer wieder neue Kräfte zu entfalten. Ein solches Bewusstsein entwickeln wir vor allem durch unsere Erfahrungen. Viele junge Menschen werden durch Long COVID womöglich zum ersten Mal "aus der Bahn geworfen". Sie haben vorher vielleicht noch nie die Erfahrung gemacht, dass sie schwierige Lebenssituationen überwinden können. Insofern ist es für junge Menschen eine doppelte Herausforderung, mit Long COVID mental stark zu bleiben.
Bei Long COVID ist es wichtig, die eigenen Grenzen zu wahren und sich nicht zu überfordern. Wie kann man ein Gefühl für die Balance aus kleinen Herausforderungen (Pacing) und Schonung erlernen?
Das ist ein Lernprozess, bei dem es gilt, den eigenen Körper neu kennenzulernen. Je besser man seine Grenzen erkennt und Köpersignale richtig einschätzen kann, desto früher ist man auch in der Lage, einer Überlastung gegenzusteuern. Es gilt also, genau hinzuschauen und die Beobachtungen zunächst erst einmal zu dokumentieren. Denn nicht jeder Tag ist gleich.
Was bedeutet das?
Es gibt Tage, an denen Betroffene schon bei geringer Belastung an ihre Grenzen kommen. Erschöpfung kann sich dann auch ganz unterschiedlich anfühlen. Das Ziel ist, ein Symptom-Bewusstsein zu entwickeln und darauf aufbauend die Balance zwischen Ruhe und Aktivität zu finden.
Was kann dabei helfen?
Es gibt verschiedene Strategien, um im Alltag bewusst zur Ruhe zu kommen und neue Energie zu tanken. Neben Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen helfen dabei auch die richtigen Pausenstrategien. Zum Beispiel durch regelmäßige Reminder am Handy, um sich bewusst daran zu erinnern, kleine Pausen einzulegen. Auch das "wie" muss neu erlernt werden. Wenngleich ein Buch lesen, Fernsehen oder Computer spielen früher gut funktionierten, um die Akkus wiederaufzuladen: Mit Long COVID werden diese Aktivitäten eher stressen, weil der Kopf nicht abschalten kann.
Welche Rolle spielt Optimismus im Genesungsprozess?
Auch wenn es nicht leicht ist, optimistisch zu sein, weil schlechte Tage aufgrund der Symptome nur sehr schwer auszuhalten sind: Optimismus spielt eine große Rolle im Genesungsprozess. Während negative Emotionen unseren Körper in Stress versetzen, bewirken positive Emotionen genau das Gegenteil. Wissenschaftlichen Studien zufolge erhöhen positive Gefühle nicht nur unser Glücksempfinden, sondern nehmen auch Einfluss auf unsere Gedanken und unser Verhalten. Emotionsforscherinnen und -forscher konnten zeigen, dass davon auch unsere Gesundheit profitiert. Aus diesem Grund ist immer auch die Frage wichtig, wie Betroffene trotz ihrer Einschränkungen dem Positiven in ihrem Alltag mehr Raum geben können.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Stefanie Nüßlein
- Buch: Stefanie Nüßlein und Dr. Cornelia Ott: Mit Long COVID zurück ins Leben. Eine Anleitung für mehr Energie, Lebensqualität und Gesundheit, München 2022.
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