Sie erwarten Erdbeeren im Erdbeer-Drink? Wenn Sie sich da mal nicht täuschen! Wer sich im Supermarkt blind darauf verlässt, was auf Etiketten steht, packt sich mit Sicherheit ein paar Mogelpackungen in den Einkaufskorb. Denn die Hersteller von Lebensmitteln tricksen, was das Zeug hält - und das ganz legal.
"Don't jugde a book by its cover" heißt es im Englischen - man soll ein Buch nicht nach seinem Einband beurteilen. Für Lebensmittel gibt es kein solches Sprichwort, dabei ist es mindestens genauso ratsam, Nahrungsmittel nicht nur nach ihrem Etikett zu bewerten. Zwar schreibt der Gesetzgeber vor dort alle Inhaltsstoffe aufzuführen, trotzdem gibt es zahlreiche Ausnahmen und Schlupflöcher. Diese gaukeln dem Verbraucher auf der Verpackung vor, was er im Essen vergeblich sucht, seien es Geschmack, Gesundheit oder Regionalität. Das neu erschienene Buch der Verbraucherzentralen "Lebensmittel-Lügen - Wie die Food-Branche trickst und tarnt" deckt die beliebtesten Verschleierungspraktiken auf.
Lüge 1: Produktnamen
Beim Namen "Crispy Chicken" läuft einem das Wasser schon vor dem Essen im Mund zusammen. Leider gehören Produkte mit solchen Bezeichnungen eher ins Land der Fantasie als in den Einkaufskorb. Dass das Fabrikat nur entfernt mit Hühnchen zu tun hat, erkennt man erst an der Verkehrsbezeichnung. Sie muss auf jedem Etikett angegeben sein und verrät, was sich wirklich hinter dem schönen Namen verbirgt. Im vorliegenden Beispiel also: "Hühnerfleisch zusammengefügt, paniert". Lecker klingt anders. Auch beim "Erdbeer-Drink" sind Erdbeeren häufig nur im Namen zu finden. Seinen Geschmack verdankt das Getränk nicht Früchten, sondern zugesetzten Aromen. Dementsprechend heißt es in der Verkehrsbezeichnung korrekt: "Milchmischgetränk mit Erdbeergeschmack".
Lüge 2: Tierart
Wer automatisch annimmt, dass in Geflügelwienern nur Geflügelfleisch verarbeitet wird, liegt falsch. Es ist nämlich nicht geregelt, zu welchem Anteil das Fleisch von Geflügel stammen muss - und das nutzen Hersteller gnadenlos aus. Erst die Zutatenliste enthüllt die wahre Zusammensetzung. Nicht selten findet sich dann Schweinefleisch an oberster Stelle und macht damit den größten Teil der Geflügelwurst aus.
Lüge 3: Bilder
Abbildungen wie pralle Früchte oder dampfende Suppen mit viel Hühnerfleisch machen Appetit - und täuschen darüber hinweg, dass die gezeigten Inhaltsstoffe oft nur in kleinsten Mengen enthalten sind. Erst im Zutatenverzeichnis ist ersichtlich, wie viel von dem Abgebildeten tatsächlich drin steckt, denn dort herrscht Mengenkennzeichnungspflicht. Besondere Vorsicht gilt bei hübschen Bildern mit dem dezenten Hinweis "Serviervorschlag". Darauf können sogar Zutaten abgebildet sein, die überhaupt nicht im Produkt enthalten sind.
Lüge 4: Alkohol
Ob Salatdressing, Erdbeerkonfitüre oder Schokoriegel: In vielen Lebensmitteln, in denen man ihn nie vermuten würde, verbirgt sich Alkohol. Sofern er nur in kleinen Mengen als Lösungsmittel für Aromen zugesetzt wird, muss er nicht deklariert werden. Doch es gibt viele Menschen, die aus gesundheitlichen oder religiösen Gründen völlig auf Alkohol verzichten möchten. Für sie ist es nicht leicht, Klarheit zu erlangen. Claudia Weiß, Mitautorin des Ratgebers, empfiehlt: "Wer auf Nummer sicher gehen will, muss beim Hersteller selbst nachfragen."
Lüge 5: Regionalität
Viele Konsumenten legen Wert darauf, dass ihre Nahrungsmittel aus der Region stammen und sind bereit, dafür höhere Preise zu zahlen. Es ist gesetzlich aber nicht geregelt, wann sich Produkte "regional" nennen oder mit dem Begriff "Heimat" werben dürfen - die Definitionshoheit liegt ganz beim Hersteller. Für den Käufer bleibt oft unklar, ob alle Rohstoffe oder nur ein Teil davon aus der Region stammen oder ob allein die Herstellung dort erfolgt ist. Die Verbraucherzentralen raten: Halten Sie nach weiteren, aussagekräftigeren Angaben zur Herkunft auf der Verpackung Ausschau. Fehlen diese, dürfte es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um leere Versprechen handeln.
Lüge 6: Natur und Tradition
Lebensmittelzusatzstoffen wie Geschmacksverstärkern, Konservierungsstoffen oder Stabilisatoren stehen viele Menschen skeptisch gegenüber. Mancher Hersteller versucht, von ihnen abzulenken und wirbt offensiv mit Begriffen wie "traditionell", "natürlich" oder "nach Hausfrauenart". Hier lohnt sich immer der Blick auf die Zutatenliste. Auch Anbieter, die ihr Produkt als "frei von Geschmacksverstärkern" deklarieren, nehmen es mit der Wahrheit nicht ganz so genau - zumindest, wenn sie Ersatzstoffe wie beispielweise Hefeextrakt verwenden. Diese müssen zwar nicht als Geschmacksverstärker aufgeführt werden, sind de facto aber genau das.
Lüge 7: Gesunder Zusatznutzen
Was gesund klingt, verkauft sich gut - und meist zu einem höheren Preis. Daher versehen Hersteller ihre Produkte oft mit einem vermeintlichen Zusatznutzen. Dann heißt es beispielsweise "unterstützt das Immunsystem", "reich an Kalzium" oder "mit der Extraportion Milch". Das ist vor allem dann absurd, wenn der angebliche Zusatznutzen ohnehin ein natürliches Merkmal des betreffenden Lebensmittels ist, wie etwa Kalzium in Milchprodukten. Zwar sind gesundheits- und nährwertbezogene Angaben seit 2006 durch die Health-Claim-Verordnung geregelt und dürfen nur dann verwendet werden, wenn sie nachgewiesen sind. Es gelten jedoch vielfältige Übergangsfristen und Ausnahmen. Co-Autorin Claudia Weiß urteilt: "Die Hauptschwachstelle dieser Verordnung ist, dass sie noch nicht vollständig und bei vielen Nährstoffen noch nicht anwendbar ist." Darüber hinaus kritisieren die Verbraucherzentralen in dem Ratgeber, dass ein Zuviel an zusätzlichen Vitaminen und Mineralstoffen bestenfalls nichts bringe und im schlechtesten Fall gesundheitlich bedenklich sei.
Lüge 8: Zutatenverzeichnis
Alle Zutaten eines Lebensmittels müssen im Zutatenverzeichnis aufgelistet werden. An erster Stelle befindet sich der Inhaltsstoff, der den größten Anteil am Produkt ausmacht. Damit ist die Zutatenliste eine der wichtigsten Informationsquellen für den Käufer. Doch auch hier gibt es Schlupflöcher: Einige Produkte kommen ganz legal ohne Zutatenliste daher, zum Beispiel Getränke mit einem Alkoholgehalt über 1,2 Volumenprozent (außer Bier), sowie einige Milcherzeugnisse. Sind Verpackungen sehr klein, dürfen Hersteller ebenfalls auf die Angabe der Inhaltsstoffe verzichten. Finden Verbraucher das nicht gerechtfertigt, sollten sie sich beim Anbieter beschweren.
Lüge 9: Verpackungsgröße
Man kennt es bei Chips, Pralinen, Nüssen und vielen anderen abgepackten Lebensmitteln: Reißt man die Tüte auf, muss man den Inhalt erst einmal suchen. Hersteller arbeiten gerne mit Luft, doppelten Böden oder überdimensionierten Umkartons, wenn es darum geht, ihre Packungen zu füllen. Das Verhältnis von Inhalt zu Verpackung ist gesetzlich nicht geregelt.
Lüge 10: Lose Ware
Unverpackte Lebensmittel werden häufig teurer verkauft, weil sie als besonders frisch gelten. Bei ihnen fehlt aber ein Zutatenverzeichnis. So lässt sich die Qualität dieser Produkte vom Verbraucher nur schwer beurteilen. In diesen Fällen sollte das Verkaufspersonal einspringen und über Zusammensetzung, Herstellung und Herkunft der Nahrungsmittel Auskunft geben können.
Lebensmittel: Gesetzgeber ist gefragt
Verbraucher sollen mit dem Ratgeber (erhältlich für 9,90 Euro) in die Lage versetzt werden, Lebensmittel-Lügen zu durchschauen. Allerdings reicht dafür ein Ratgeber alleine nicht aus, findet Gerd Billen, Vorstand der Verbraucherzentrale Bundesverband. Alle wesentlichen Infos über das Lebensmittel sollten auf einen Blick erfassbar sein. Dazu gehörten unter anderem eine klare und verpflichtende Kennzeichnung der Herkunft sowie eine angemessene Schriftgröße. Um diese Lücken zu schließen, sei jetzt die Verbraucherpolitik gefordert.
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