Gibt es "Liebe auf den ersten Blick"? Studien zur Liebe lesen sich wenig romantisch. Die Rede ist von Hormonen, Genen, "Dreiecksmodellen". Doch obwohl die Liebe wissenschaftlich vielfach durchleuchtet wurde, bleiben einige Fragen offen.
Fotos, Fragebögen und Speed Datings waren die Mittel, die Wissenschaftler Florian Zsok und Kollegen nutzten, um mehr über das Phänomen "Liebe auf den ersten Blick" herauszufinden. Sie hatten rund 400 Versuchsteilnehmer für ihre Studie eingeladen, einige sahen sich Fotos von anderen Männern und Frauen an, andere trafen sich zum Speed Dating.
Nach dem Treffen und dem Ansehen der Bilder wurden sie zu ihren Gefühlen befragt: Spürten sie körperliche Anziehung? Intimität? Verbundenheit? Und: War es "Liebe auf den ersten Blick"?
Heraus kam, dass jene, die "Liebe auf den ersten Blick" fühlten (immerhin 32 der knapp 400 Probanden), ihr Gegenüber, in das sie sich angeblich so schnell verliebten, körperlich besonders anziehend fanden.
Keine große Rolle spielten hingegen die Gefühle Intimität, Bindung und Leidenschaft, die die Autoren der Studie als kennzeichnend für Liebe voraussetzten. Ihre Schlussfolgerung lautete deswegen: "Liebe auf den ersten Blick" ist keine besondere Form von Liebe, sondern lediglich eine Frage der körperlichen Attraktivität.
Meine Liebe hat drei Ecken
Nun kann man, wie es ein Autor der British Psychological Society getan hat, kritisieren, dass das Szenario unrealistisch ist, weil sich die meisten Probanden lediglich Bilder anderer Menschen angesehen haben und nur wenige (rund 50) einander getroffen haben. Wer verliebt sich schon "auf den ersten Blick" in das Foto eines Menschen?
Andererseits ist die "Liebe auf den ersten Blick"-Studie bei weitem nicht die einzige, die versucht, der Liebe mit Fragebögen und anderen wissenschaftlichen Mitteln auf den Grund zu gehen.
Eine der bekanntesten Analysen stammt von Robert J. Sternberg, einem Psychologen aus den USA. Er hat die Liebe Mitte der 1980er Jahre in drei Komponenten zerlegt, die auch den Wissenschaftlern der "Liebe auf den ersten Blick"-Studie als Grundlage dienten, nämlich Intimität, Leidenschaft und Bindung. Inzwischen hat er sein Modell mehrfach erweitert und ergänzt, etwa um den Faktor "gemeinsame Vorstellung von Liebe".
Liebe als Gefühl der Zusammengehörigkeit
Diese gemeinsame Vorstellung ist auch etwas, mit dem der Psychologe und Buchautor Wolfgang Krüger ("So gelingt die Liebe - auch wenn der Partner nicht perfekt ist") arbeitet. Er spricht allerdings vom "inneren Drehbuch der Liebe", das jeder Mensch im Kopf habe und das eine umfassende Phantasie der zukünftigen Beziehung sei.
Als rein körperliches Phänomen will Krüger Verliebtsein und Liebe nicht sehen. "Natürlich unterstützen die Hormone das Verlangen nach Nähe, aber Liebe ist nicht im Kern ein hormoneller Prozess", so Krüger zu unserer Redaktion. Spätestens, wenn man zusammenziehe und Kinder habe, ende der Rausch der Verliebtheit.
Dann müssten Konflikte geklärt und Nähe neu ausgehandelt werden. "Liebe ist dann das Gefühl von Zusammengehörigkeit und Wertschätzung, wenn man den anderen wirklich kennengelernt hat und die ersten Konflikte meistern konnte."
Nach ein paar Jahren: neues Kind mit neuem Partner
Auch der Evolutionsbiologe und Buchautor Thomas Junker ("Die verborgene Natur der Liebe: Sex und Leidenschaft und wie wir die Richtigen finden") glaubt nicht, dass es für das Gefühl der Liebe nur biologische Erklärungen gibt. Allerdings spielten Hormone schon eine große Rolle. "Es gibt drei wichtige Hormonsysteme: Testosteron und Östrogen für die sexuelle Anziehung, Dopamin für die Verliebtheit und Oxytocin für die längerfristige Bindung", so Junker im Gespräch mit unserer Redaktion.
Wenn zwei Menschen gut zueinander passten, folge eine Stufe auf die nächste. "Wenn man aber etwa beim Sex feststellt, dass der Andere doch nicht so gut riecht wie gedacht, wird die nächste Stufe gar nicht erst erreicht."
Die Biologie, vor allem die Evolutionsbiologie, könne aber nicht nur den Anfang, sondern auch das Ende von Beziehungen erklären - vor allem die Frage, warum viele Beziehungen nach einigen Jahren schon wieder in die Brüche gingen. "Schon in den Anfängen der Menschheit war es zunächst wichtig, dass der Mann einige Jahre bei der Familie blieb, zumindest solange die Frau gestillt hat und Mutter und Kind eng aneinander gebunden waren", erklärt Junker.
Wenn das Kind aber aus dem Gröbsten raus war, seien nicht mehr beide Elternteile permanent für die Kindererziehung nötig gewesen – und so habe man sich nach einem neuen Partner umsehen können, mit dem man dann vielleicht noch ein Kind bekam.
"Liebe muss ein Abenteuer bleiben"
Die Anthropologin Helen Fisher hat vor einigen Jahren in einem "Spiegel"-Interview eine ähnliche Erklärung dafür gegeben, dass viele Ehen nach ungefähr vier Jahren geschieden werden. "Im Glücksfall" werde aus der etwa 18 Monate andauernden Verliebtheit mit Hilfe der sogenannten Kuschelhormone Oxytocin und Vasopressin Liebe – aber eben nur im Glücksfall.
Dass Kuschelhormone eine dauerhafte Beziehung in der Regel nicht allein stemmen können, dürften die meisten Menschen aus eigener Erfahrung wissen. Was kann man also für eine lange, liebevolle Beziehung tun? Wolfgang Krüger hält es für am wichtigsten, dass die Partner füreinander interessant bleiben. Liebe entstehe auf Basis eines Abenteuers und ein solches müsse sie auch bleiben, sagt er.
Deswegen müsse auch jeder ein gewisses Maß an Eigenleben pflegen und durch die Erfüllung eigener Lebenspläne Schwung in die Beziehung bringen, der sie lebendig halte: "Das ist schwierig, aber nicht unmöglich."
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.