Wer Post Covid hat, wartet oft über Monate auf einen Termin, um sich in einer darauf spezialisierten Ambulanz vorzustellen. Ein Zustand, der Betroffene sehr frustriert - aber auch Post-Covid-Spezialisten. Ein Gespräch über das, was sich ändern muss, um Post-Covid-Betroffenen zielgerichtet zu helfen.

Ein Interview

Beim zweiten Long-Covid-Kongress Ende November in Jena kamen Forschende, Ärzte und Betroffene zusammen, um über aktuelle Erkenntnisse zu Post Covid zu sprechen. Und über Fortschritte und das, was schiefläuft.

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Einer der beiden Tagungspräsidenten ist Andreas Stallmach. Er ist Direktor der Klinik für Innere Medizin IV am Uniklinikum Jena und leitet die aktuelle Versorgungsstudie "Watch" für Post-Covid-Patienten, bei der ein Bus und Telemedizin zum Einsatz kommen, um Menschen mit Post Covid in ganz Thüringen zu versorgen.

Im Gespräch mit unserer Redaktion spricht er über bessere Versorgungswege, was bei Post-Covid-Rehas eine zentrale Rolle spielen muss und warum gewisse Regeln über Bord geworfen werden sollten.

Herr Stallmach, seit dem letzten Long-Covid-Kongress ist ein Jahr vergangen. Was wurde seitdem getan – und was nicht?

Andreas Stallmach: Post Covid ist eine Erkrankung mit vielen Facetten. Es gibt Facetten, die das körperliche Befinden der Betroffenen einschränken. Aber es gibt eben auch Facetten, die auf eine verminderte Teilhabe im Privatleben und Arbeitsleben abzielen. Wir haben die Aufgabe, dass wir Patienten mit Post Covid in eine Rehabilitation bringen wollen und uns daraus eine Wiedereingliederung erhoffen. Wir haben gelernt, dass es bestimmte Stellschrauben gibt, die dabei zu beachten sind. Die PEM ist eine wesentliche Stellschraube gerade für eine erfolgreiche Rehabilitation.

Was versteht man unter PEM?

  • PEM steht für Post-Exertional Malaise, eine zeitverzögerte Belastungsintoleranz, umganssprachlich oft "Crash" genannt. Die PEM ist das charakteristische Merkmal des Chronischen-Fatigue-Syndroms (ME/CFS), das oft in Verbindung mit Post Covid thematisiert wird: Wenn sich Betroffene emotional, mental oder körperlich zu sehr anstrengen, verschlechtern sich die Symptome teils deutlich. Darunter oft Fatigue, bleierne Schwere und Erschöpfung, oft für mehrere Stunden, Tage oder sogar Monate. In schweren Fällen lösen bereits kleine Bewegungen, Licht oder Geräusche eine PEM aus.

    Mehr dazu finden Sie auch in diesem Artikel: Was ist ein Crash - und was hat er mit Long Covid zu tun?

Das, was wir am Anfang gemacht haben – klassische streng auf die Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit ausgerichtete Rehabilitation – funktioniert nicht. Wir müssen es anders machen und die Konzepte müssen angepasst werden. Das ist gelernt, das ist gesehen. Die Politik hat außerdem erkannt, dass Rahmenbedingungen verändert werden müssen, was die Wiedereingliederung von Patienten betrifft, was Erleichterungen für Kinder und Jugendliche betrifft.

Wie zum Beispiel?

Wir hatten während des Kongresses im Rahmen der Podiumsdiskussion einen sehr emotionalen Appell einer Mutter, die gesagt hat, dass ihr Sohn unter einem schweren Post-Covid-Syndrom mit CFS leidet, er nur eingeschränkt schulfähig ist und es starre Regelungen gibt, die verhindern, dass er mit Teilzeit-Teilhabe am Unterricht Abitur macht. Das kann nicht sein. Man muss besser auf die Erkrankten zugehen und dann auch Regelungen über Bord werfen. Ich habe das Gefühl, dass das Verständnis hierfür in den letzten zwölf Monaten doch ein deutliches Stück gewachsen ist.

Und wo sehen Sie ganz konkret die Stellschrauben, an denen jetzt justiert werden muss?

Die Politik hat sich in einem Kraftakt darauf verständigt, für die Post-Covid-Forschung 180 Millionen zur Verfügung zu stellen. Und jetzt mal vorbehaltlich der Diskussion um Haushaltsdefizite ist das eine enorme Summe. Aber das Geld muss tatsächlich bei Betroffenen ankommen. Das Geld darf nicht im System versacken und es darf nicht durch zu viel bürokratischen Aufwand aufgebraucht werden.

"Ich wünsche mir, dass es in Deutschland fünf bis sechs Kompetenzzentren gibt für die Betreuung von Patienten mit infektiösen Langzeitfolgen."

Ich wünsche mir, dass es in Deutschland fünf bis sechs Kompetenzzentren für die Betreuung von Patienten mit post-infektiösen Langzeitfolgen gibt. Diese Kompetenzzentren haben zwei Aufgaben: Zum einen die klinische Forschung voranzutreiben, zum anderen die Versorgung von Patienten sicherzustellen. Und das nach vereinheitlichten Regelungen, sodass Patienten tatsächlich auch überall eine gute Betreuung bekommen.

Kompetenzzentren für Post Covid und ME/CFS - schon lang im Gespräch

  • Die Ampel hat sich bereits in ihrem Koalitionsvertrag 2021 für Kompetenzzentren ausgesprochen: "Zur weiteren Erforschung und Sicherstellung einer bedarfsgerechten Versorgung rund um die Langzeitfolgen von Covid-19 sowie für das chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS) schaffen wir ein deutschlandweites Netzwerk von Kompetenzzentren und interdisziplinären Ambulanzen."
  • Tatsächlich umgesetzt wurden diese Pläne bisher nicht. Auf die Frage nach dem aktuellen Stand verweist ein Sprecher des Bundesgesundheitsministerium (BMG) am 5. Dezember 2023 auf die BMG-Initiative Long Covid, die am 12. Juli 2023 gestartet ist. "Die Initiative setzt sich aus mehreren Elementen zusammen: Die Website www.bmg-longcovid.de bietet Antworten auf die wichtigsten Fragen rund um Long Covid, umfassende Informationen zum aktuellen Forschungsstand sowie Hilfsangebote und ein Service-Telefon." Außerdem gab es einen Runden Tisch mit Fachleuten am 12. September 2023.
  • Weiter heißt es seitens des BMG: "Das BMG will ab 2024 im Rahmen eines mehrjährigen Förderschwerpunkts die versorgungsnahe Forschung zu Long Covid fördern. Für die Versorgungsforschung stehen 100 Millionen Euro zur Verfügung. Weitere 50 Millionen Euro sollen speziell für die Forschung zu Long Covid bei Kindern aufgewendet werden. Für die Im Fokus der Förderung stehen Modellprojekte, in denen innovative Versorgungsformen zur Behandlung von Long-Covid-Betroffenen entwickelt und erprobt werden. Von dem Long-Covid-Förderschwerpunkt werden auch Patientinnen und Patienten mit ME/CFS profitieren sowie Menschen mit länger andauernden Long-Covid-ähnlichen Beschwerden im zeitlichen Zusammenhang mit einer Covid-19-Impfung."
  • Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sprach sich am 4. Dezember in der Pressekonferenz nach einem Runden Tisch mit Post-Covid-Fachleuten erneut für eine der an dem Tag vorgestellten Empfehlungen aus: "Was heute nochmal klar geworden ist: Es sind nicht allein die Zahl der Spezialambulanzen von Bedeutung. Sondern was - wie hier wird vorgetragen - unmittelbar einleuchtend ist: Wir bräuchten eigentlich bundesweit um die zehn regional verteilte Zentren, wo sich die Behandelnden selbst informieren können. Centers of Excellence, wenn man so will, wo man dann tatsächlich den neuesten Stand der Wissenschaft und auch die Fragen also geklärt bekommen kann für bestimmte Patientengruppen."

Wie kann man sich dieses Konzept genau vorstellen?

Ein Kompetenzzentrum ist dafür verantwortlich, ein regionales Netzwerk aufzubauen. In diesem Netzwerk sind Hausärzte, Fachärzte und Spezialambulanzen zusammengefasst. Die erste Anlaufstelle für einen Patienten ist immer die Hausärztin, der Hausarzt. Das sollte jemand sein, der in diesem Netzwerk integriert ist und Kooperationspartner hat. Auf hausärztlicher Ebene muss abgeschätzt werden, wie schwer die Erkrankung ist und was getan werden muss. Patienten mit einer niedrigen Krankheitslast bleiben auf dieser Versorgungsebene.

Und wer schwerer betroffen ist?

Patienten mit einer höheren Krankheitslast werden auf einer höheren Versorgungsebene, Patienten mit einer schweren Krankheitslast auf der höchsten Ebene betreut. Auf der höchsten Versorgungsebene muss es dann aber auch so etwas wie Flying Teams (Ärztinnen und Ärzte, die zu Erkrankten nach Hause reisen; Anm.d.Red.) geben, die also entweder virtuell oder auch tatsächlich physisch zu Betroffenen hinkommen und vor Ort versorgen.

Sie leiten das Projekt "Watch", bei dem Post-Covid-Erkrankte in einem Bus untersucht werden. Außerdem ist ein interdisziplinäres Post-Covid-Zentrum geplant – Jena hat eine Vorreiterrolle. Wo sehen Sie ansonsten auch Allgemeinmediziner in der Pflicht? Was denken Sie, muss noch mehr passieren?

Ich weiß nicht, ob "Pflicht" der richtige Begriff ist. Natürlich bin ich verpflichtet, eine breite Patientenversorgung anzubieten. Viele hausärztliche Kolleginnen und Kollegen nehmen sich aus ärztlicher Motivation heraus der Sache an. Sie fragen nicht nach Pflicht und auch nicht nach Vergütung. Ohne Zweifel ist die Vergütung aber auch ein wichtiger Punkt, das ist völlig klar. Aber insgesamt hoffe ich doch auf ein noch breiteres Engagement bei den vielfältigen Aufgaben in der Primärversorgung. Ich bin begeistert, wenn ich sehe, wie viele Menschen auf dem diesjährigen Kongress zusammenkommen sind, aus ganz unterschiedlichen Fachdisziplinen, und hoch engagiert miteinander diskutiert und sich ausgetauscht haben.

"Es hat mich während des Kongresses emotional berührt, dass einige Patienten das Gefühl haben, "übriggeblieben" zu sein und sich nicht gesehen und nicht beachtet fühlen."

Gibt es zum Schluss etwas, das Sie gerne noch ergänzen würden?

Es hat mich während des Kongresses emotional berührt, dass einige Patienten das Gefühl haben, "übriggeblieben" zu sein und sich nicht gesehen und nicht beachtet fühlen. Ich kann das verstehen, sie fragen sich: Warum ist das so? Warum hilft mir keiner? Auch diese Patienten müssen im Moment akzeptieren, dass wir noch nicht für alle Fragen eine Lösung haben. Das Krankheitsbild ist seit Februar 2020 in Deutschland bekannt. Das ist in der Medizin ein relativ kurzer Zeitraum, auch wenn wir inzwischen gelernt haben, dass es ganz viele Gemeinsamkeiten mit anderen Infektionskrankheiten hat. Unser Erkenntnisstand ist aber noch nicht so, wie ich es mir wünsche.

Über den Gesprächspartner

  • Andreas Stallmach ist Professor und Direktor für Innere Medizin IV am Universitätsklinikum Jena und leitet das interdisziplinäre Post-Covid-Zentrum. Neben Martin Walter ist er einer der beiden Tagungspräsidenten des Long-Covid-Kongresses.

Verwendete Quellen

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