Contergan war eine Art Lifestyle-Medikament, sehr wirksam, angeblich gut verträglich und als so harmlos eingeordnet, dass es auch Schwangeren empfohlen wurde. Die Folge: Tausende Kinder kamen mit schweren Fehlbildungen auf die Welt. Gegen den Hersteller Grünenthal wurde ein Verfahren eröffnet, am 27. Mai 1968 fand der erste Verhandlungstag statt. 45 Jahre sind seither vergangen, doch immer wieder stellen vergleichbare Skandale die Schattenseite der Medizin dar.

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Contergan kam 1957 als frei verkäufliches Beruhigungs- und Schlafmittel auf den Markt und wurde bis 1961 in mehr als 60 Ländern millionenfach vertrieben. Das Mittel mit dem Wirkstoff Thalidomid half auch sehr effektiv, die morgendliche Übelkeit während der Schwangerschaft zu vertreiben - die entsetzlichen Auswirkungen auf das ungeborene Kind, bei dem es zu Missbildungen an Extremitäten und Organen führte, waren zunächst niemandem bekannt. 1961 wurde das Mittel wegen eventueller Nebenwirkungen auf das Nervensystem zuerst rezeptpflichtig und schließlich vom Markt genommen. Man geht davon aus, dass weltweit etwa 10.000 Kinder mit schweren Fehlbildungen geboren wurden, laut dem Bundesverband Contergangeschädigter lebten im vergangenen Jahr in Deutschland noch etwa 2.400 von ihnen.

Als Ende der 1950er die Häufung von Fehlbildungen bei Neugeborenen das erste Mal im Bundestag diskutiert wurde, vermutete man Kernwaffentests als Auslöser. Erst Ende 1961 wurde Contergan als Auslöser ermittelt, die Grünenthal GmbH als Hersteller nahm Contergan vom Markt. 1968, vor 45 Jahren, begann der Prozess, in dessen Folge die Anklage wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Körperverletzung und Tötung gegen alle Verantwortlichen wegen "geringer Schuld" abgeschmettert wurde, nachdem die Firma zuerst mit einer Klage wegen Rufmord gedroht hatte. Sie zahlte 110 Millionen D-Mark und 2007 nochmal 50 Millionen Euro in einen Hilfsfond ein. Die Opfer bekommen nur eine kleine Rente.

Seit einiger Zeit ist der Wirkstoff Thalidomid wieder zugelassen - als wirksame Arznei gegen Lepra.

Selbst wenn der furchtbare Contergan-Fall weltweit einen verantwortungsvolleren Umgang mit Arzneimittelzulassungen zur Folge hatte, bleiben Medizinskandale als Schattenseite der sich rasant entwickelnden Wissenschaft zum Wohl des Menschen nicht aus. Wissenschaft als Selbstzweck oder perfider Ehrgeiz, wobei das Schicksal des Einzelnen dem großen Ziel geopfert wird, Skrupellosigkeit und Profitgier oder schlichte Unwissenheit und Unachtsamkeit - es gibt leider viele Gründe.

DDR-Bürger als Versuchskaninchen

Wie die Journalisten Stefan Hoge und Carsten Opitz vor kurzem aufgedeckt haben, war die DDR in der zweiten Hälfte 1980er Jahren eines der wichtigsten Testgebiete für neue Arzneimittel westdeutscher Pharmafirmen. Unterlagen beweisen eine planmäßige Zusammenarbeit von staatlichen Institutionen und Ärzten der DDR mit den Firmen, wobei ohne Wissen der Patienten neue Medikamente in großem Stil erprobt wurden.

Auslöser waren einerseits die verschärften Zulassungsbedingungen im Westen, die große Probandengruppen vorschrieben, und andererseits die ostdeutsche Mangelwirtschaft. Das (West-)Geld für die klinischen Tests konnte offenbar zu großen Teilen in die eigenen Kliniken investiert werden. Mehrere Tausend teilweise schwerkranke Bürger der DDR sollen für den von Devisenbeschaffer Schalck-Golodkowski eingefädelten "immateriellen Export" benutzt worden sein. Zum Teil bezahlten sie den riskanten Deal - ohne die Zusammenhänge zu kennen - mit dem Leben.

Tuskegee-Studie

Die genauen Kenntnisse über den Verlauf der Syphilis sind zu einem wichtigen Teil einer kriminellen Studie zu verdanken, die 1932 im US-Bundesstaat Alabama begann und erst vierzig Jahre später aufgedeckt wurde. Infizierte Schwarze, zum großen Teil Analphabeten, wurden bewusst nicht gegen ihre Syphilis behandelt - was mit Penicillin möglich gewesen wäre - um die Endstadien der Krankheit beobachten zu können. Sie bekamen gegen ihre angebliche Bluterkrankung lediglich ein Placebo. Eine ebenfalls afroamerikanische, nichtinfizierte Kontrollgruppe diente dem Vergleich. Die mangelnde Aufklärung über die wahre Erkrankung führte nicht nur zum sicheren Tod, sondern auch dazu, dass Frauen und ungeborene Kinder infiziert wurden.

Was in den USA "nur" unterlassene Hilfeleistung war, wird noch getoppt durch Versuche Ende der 1940er Jahre in Guatemala, wo Gefangene und geistig Behinderte bewusst mit Syphilis infiziert wurden, um die Wirkung von Penicillin auf die Krankheit testen zu können. 1997 hatte sich US-Präsident Clinton öffentlich für die Tuskegee-Studie entschuldigt, Obama tat es ihm 2010 in Bezug auf die 1.500 Infizierten in Guatemala nach.

Organhandel

Wie immer, wenn mehr von einer Sache gebraucht wird, als vorhanden ist, floriert der Schwarzmarkt. Dabei bilden menschliche Organe keine Ausnahme. Weil es international an verbindlichen Regeln mangelt, existiert beispielsweise in Südamerika, Indien und einigen Ländern des Ostblocks ein einträglicher "Organtourismus" zum Beispiel mit Nieren.

Gewissenlose Händler zahlen den bedürftigen Spendern etwa 6.000 Dollar für eine Niere, was bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen in diesen Ländern von 80 Dollar viel erscheint. Der Gewinn für die Händler, die nach Expertenmeinung in weltweiten Kartellen organisiert sind, kann sich aber sehen lassen: Für bis zu 150.000 Dollar verkauften sie das begehrte Organ weiter.

In Deutschland ist der Handel mit Organen verboten. Dass dadurch aber keine Gerechtigkeit bei der Vergabe der überlebenswichtigen "Ersatzteile" gesichert ist, haben die aktuell aufgedeckten Manipulationen bei der Organvergabe unübersehbar deutlich gemacht.

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