Aufschieben von unangenehmen Tätigkeiten ist nicht weiter schlimm. Wird es exzessiv, kann es zum Problem werden. "Prokrastination" nennt man das pathologische Aufschiebeverhalten. Betroffene gibt es erstaunlich viele.
Die Steuererklärung kann bis morgen warten, die Hausarbeit hat noch jede Menge Zeit und die Präsentation für die Arbeit fängt man nächste Woche an.
Das Aufschieben von schwierigen oder unangenehmen Aufgaben kennen wohl die meisten Menschen. Gerade Studenten können ein Lied davon singen.
Die Abgabetermine von Hausarbeiten liegen fern in der Zukunft. Warum sich also mit der Arbeit jetzt schon quälen, wenn man doch noch wochenlang Zeit hat.
Der Begriff Prokrastination hat sich an den Unis dafür bereits etabliert. Wer hier lieber den Hausputz erledigt, anstatt für die Prüfung zu lernen, stellt süffisant fest, dass er nur "prokrastiniere".
Für viele Menschen wird das ständige Aufschieben allerdings zum Problem. Wenn die Arbeit immer erst auf den letzten Drücker geschieht, leidet oft die Qualität, und der Stresslevel ist dementsprechend hoch.
Und trotzdem bleibt es für viele schwierig, sich einer Aufgabe sofort zuzuwenden. Dabei kann das Verhalten solche Ausmaße annehmen, dass die Betroffenen stark darunter leiden und in der Ausbildung oder Beruf scheitern.
Hilfe bei der Prokrastinations-Ambulanz
In der Forschung hat man das Problem mittlerweile erkannt. Hier wird Prokrastination unter psychologischen Gesichtspunkten betrachtet.
An der Uni Münster wird dazu sogar eine Prokrastinations-Ambulanz angeboten, um Betroffenen zu helfen. Julia Haferkamp ist als Psychotherapeutin Teil des Teams.
Zwischen einfachem Aufschieben und echter Prokrastination macht sie einen deutlichen Unterschied: "Sporadisch Aufgaben aufzuschieben kennt ja fast jeder von sich selbst. Prokrastination ist dagegen ein exzessives, unflexibles und längerfristiges Aufschiebeverhalten. Die Betroffenen sind dadurch erheblich beeinträchtigt und erleben einen starken Leidensdruck."
Warum das Phänomen gerade bei Studenten so bekannt ist, erklärt sich die Expertin vor allem mit dem freien Arbeiten: "Prokrastination kommt in unterschiedlichen Kontexten vor, am Arbeitsplatz, im Privatleben oder im Studium. Bei Studenten ist es aber besonders auffällig, da ein Studium viel auf Selbstregulierung setzt. Studierende melden sich daher bei uns sehr häufig."
Die Betroffenen würden unter den Folgen ihres Verhaltens stark leiden. Als psychische Krankheit ist Prokrastination trotzdem nicht anerkannt.
"Die Menschen, die zu uns kommen, haben teilweise keinerlei andere psychische Erkrankungen. Oftmals ist das Aufschiebeverhalten ein im Laufe der Zeit erlerntes Verhalten", sagt die Psychotherapeutin. Mit Faulheit oder Willensschwäche hat das nur wenig zu tun.
Prokrastination bringt man sich selbst bei
"Es ist eigentlich ein logisches Verhalten. Aufgaben, die unangenehme Gefühle auslösen, schiebe ich erst einmal von mir weg. Stattdessen wende ich mich Beschäftigungen zu, die im Vergleich weniger Abneigung auslösen oder ein schnelleres Erfolgserlebnis garantieren. Dies führt kurzfristig zu einem positiveren Gefühl", erklärt Haferkamp.
Dass einen später die Arbeit wieder einholen und mit zusätzlichem Stress verbunden sein wird, interessiere in diesem Moment nicht: "Die langfristigen negativen Konsequenzen, wie zum Beispiel verpasste Fristen oder Stresserleben sind einfach nicht verhaltenssteuernd. Das ist vor allem dann der Fall, wenn ein schnelles Eintreten eines Erfolgsgefühls bei der Aufgabe nicht absehbar ist."
Fraglich ist noch, wie viele Menschen von Prokrastination betroffen sind. "Dazu gibt es ganz unterschiedliche Zahlen, je nachdem wie offen oder eng man das Störungsbild formuliert. Bei unseren Forschungen kommen wir auf ungefähr zehn Prozent Betroffene im studentischen Kontext. Dabei sind häufig sowohl Freizeit als auch das Arbeitsleben von dem Verhalten betroffen."
Die Ursachen für dieses Verhalten können unterschiedlich sein: "Ich höre oft, dass Betroffene in der Schule häufig mit wenig Lernen durchgekommen sind. Dass man das Lernen und Aufgabenerledigen also hinausschieben kann, wurde hier schon früh erkannt. Im Studium sehen sie dann oft, dass sie so nicht weiterkommen."
Einige Betroffene lernen das Verhalten auch während des Studiums durch die weit entfernten Fristen. Auch Depressionen oder ADHS stehen vermutlich mit der Störung in Verbindung.
Was man dagegen tun kann
Wenn das Verhalten also pathologische Ausmaße annimmt, sollte eine therapeutische Betreuung in Betracht gezogen werden.
Auf der Website der Münsteraner Prokrastinations-Ambulanz kann ein Selbsttest einen ersten Eindruck vermitteln, wie stark das eigene Aufschiebeverhalten ausgeprägt ist.
Letztlich, so Julia Haferkamp, werde es aber immer dann behandlungsbedürftig, wenn die Betroffenen darunter leiden. Dabei muss nicht immer gleich der Weg zum Therapeuten eingeschlagen werden.
"Von Selbsthilfe kann ich nicht grundsätzlich abraten. Gute und wissenschaftlich fundierte Ratgeberliteratur kann auf jeden Fall weiterhelfen. Es kommt aber auch immer darauf an, wie stark das Aufschiebeverhalten ausgeprägt ist."
Wer das Problem selbst angehen möchte, für den hat die Psychologin auch einige Tipps parat: "Soziale Kontrolle kann sehr hilfreich sein. Sich in Lerngruppen zu verabreden oder zusammen in die Bibliothek zu gehen hat sich bei Studenten bewährt."
Auch solle man sich vor Beginn der Arbeit überlegen, wann, wo und wie die Aufgaben erledigt werden sollen. Gerade feste Arbeitszeiten seien besonders empfehlenswert.
"Man kann auch mit Belohnungen arbeiten: Wenn ich XY erledigt habe, dann gehe ich heute Abend dafür ins Kino. Das darf man aber natürlich dann auch nur machen, wenn man die Aufgabe wirklich geschafft hat", sagt Haferkamp.
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