Die Diagnose ALS bedeutet den sicheren Tod. Denn gegen die bis heute wenig erforschte Krankheit sind Mediziner machtlos. Für Betroffene meint ALS vor allem ein Sterben auf Raten: Die Muskeln bauen unaufhörlich ab, hinzu kommen Spastik, Krämpfe und Lähmungen. Nina Zacher hat darüber ein Buch geschrieben. Es ist eine bewegende Geschichte über ihren Kampf gegen die tückische Krankheit – tiefsinnig, schonungslos, traurig und schön zugleich.
"Such dir einen schönen Stern am Himmel" ist eines dieser Bücher, das einem beim Lesen die Tränen in die Augen treibt und die Kehle zuschnürt. Das berührt und mitfühlen lässt. Das man nach nur wenigen Seiten Lektüre erst einmal zur Seite legen muss, um ganz tief Luft zu holen – um den dicken Kloß im Hals loszuwerden.
Es ist ein Buch mit besonders schwerer Kost: "Such dir einen schönen Stern am Himmel" ist ein Vermächtnis über das Leben und Sterben, das Lachen und Weinen, über die schönen Dinge und die schlechten, über Glück und Unglück – und über den Tod.
Geschrieben haben es Nina und Karl-Heinz Zacher zusammen mit der Co-Autorin Dorothea Seitz. Es erzählt die Geschichte von Nina und ihrer Familie, die das Schicksal aus heiterem Himmel besonders hart getroffen hat. Nina hatte ALS (Amyotrophe Lateralsklerose). Hatte.
Geschichte eines Abschieds
Nina ist im Alter von 46 Jahren an der Krankheit, bei der der Körper langsam zerfällt, der Geist aber hellwach bleibt, gestorben. Das war im Mai 2016. Einer ihrer letzten Wünsche war es, ein Buch über ihr Leben mit ALS zu veröffentlichen.
Diesen konnte sie sich selbst nicht mehr verwirklichen. Doch ihr Mann Karl-Heinz führte fort, was Nina begonnen hatte und beendete ihr Werk, das den Untertitel "Die Geschichte eines Abschieds" trägt.
Nina und Karl-Heinz berichten, was es bedeutet, mit der Krankheit zu leben und zu wissen, dass es keine Hoffnung auf Heilung gibt.
Nina war gerade einmal 40 Jahre alt, als die ersten Symptome auftauchten. Sie stand mitten im Leben: verheiratet, vierfache Mutter, glücklich.
Zunächst habe sie den ersten Anzeichen keine große Bedeutung beigemessen. Doch als die Beschwerden immer stärker wurden, begannen die Arztbesuche. Es folgte eine lange Odyssee zur Diagnose. Stets zwischen Hoffen und Bangen.
Nina sei immer wieder mit neuen Diagnosen konfrontiert worden. Deshalb habe sie selbst im Internet recherchiert. Ihre größte Angst wurde letztendlich zur schlimmen Gewissheit. Nina hatte ALS.
"Eine Krankheit, die einen packt, wie ein mitreißender Fluss und bei der man verzweifelt versucht, an den ins Wasser ragenden Wurzeln Halt zu finden“, schreibt ihr Mann Karl-Heinz.
Der Körper versteinert
ALS betrifft das zentrale und periphere Nervensystem und führt zu zerstörten Nerven und fortschreitender Muskellähmung. Im Verlauf können sich Betroffene nicht mehr bewegen.
Schlucken, Sprechen und Atmen fällt zunehmend schwer. Der Körper zerfällt langsam, der Geist aber bleibt wach.
Pro Jahr erkranken weltweit etwa 100.000 Menschen an ALS. Etwa die Hälfte stirbt innerhalb der ersten drei Jahre. Etwa drei bis acht von 100.000 Einwohnern leiden an ALS.
"Die Häufigkeit der ALS scheint weltweit etwas zuzunehmen", berichtet die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V..
In wenigen Ausnahmefällen leben sie länger als ein Jahrzehnt mit der unheilbaren Krankheit – wie Stephen Hawking, der eine extrem seltene, langsam verlaufende Form hatte. Die meisten Fälle treten spontan auf, nur bis zu zehn Prozent sind familiär gehäuft.
Ninas öffentlicher Kampf gegen die Krankheit
Die Todesursache ist meist Atemlähmung. Über die genauen Ursachen und Mechanismen der Nervenkrankheit ist wenig bekannt.
Aus diesem Grund war es Nina so wichtig, dass ihr Buch vollendet wird. Sie wollte damit Aufmerksamkeit für eine Krankheit wecken, die noch wenig erforscht ist und für die es keine Therapie gibt.
Deshalb begann Nina auch gleich nach dem Schock über ihre Diagnose, offen mit der Krankheit umzugehen. Sie startete einen entschlossenen Kampf gegen ALS: Nina berichtete auf Facebook und trat in Talk-Shows auf. Sie sprach mutig über das Leben mit der Gewissheit des baldigen Sterbens. All das findet sich im Buch wider.
Dabei ist ihr Vermächtnis aber kein Trauerwerk. Es ist ein Plädoyer für das Leben, für die Akzeptanz des Tabuthemas Tod, für Verständnis.
Nina bei Lanz
In einem Auftritt bei Markus Lanz richtet sie einen Appell an die Menschen: "In unserer Gesellschaft hat alles seinen Preis, aber nichts mehr einen Wert. Es ist so wichtig, sich mal darauf zu konzentrieren, in welchem Land wir leben: Wir leben in einer Oase. Wir haben alles, wir können uns alles leisten, alles ist möglich. Und alle jammern! Wir jammern übers Wetter, über die Jobs, über schlechte Bezahlung, über sämtliche Dinge. Ich kann nur lachen, weil ich mir denke: Solange man gesund ist, muss man dankbar sein für jeden Moment."
Ninas Stimme wird mit ihren Auftritten, ihrem Blog und vor allem jetzt auch mit ihrem Buch, das voraussichtlich am 25. April erscheint, sicher noch lange nachklingen. Und damit einer ihrer letzten Wünsche: "Seid auch bitte nach meinem Tod weiter meine Stimme im Kampf gegen diese schreckliche Krankheit“.
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