Besonders während und nach der Schwangerschaft ist Beckenbodentraining wichtig. Aber auch alle anderen Erwachsenen, auch Männer, profitieren davon. Weshalb das so ist und welche Übungen sich leicht umsetzen lassen, erklärt die Sport- und Gymnastiklehrerin Heike Höfler im Interview.

Ein Interview

Frau Höfler, wieso ist es wichtig, den Beckenboden zu trainieren?

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Heike Höfler: Der Beckenboden schwächt im Laufe des Lebens ab, schon ganz allein durch die Schwerkraft. Auch weil wir uns nicht rückenfreundlich halten, sollten wir gegensteuern: Die vorgebeugte Haltung schwächt den Beckenboden natürlich. Und ganz klar: Schwangerschaften und Geburten sind eine Belastung. Es gibt ja auch noch andere Punkte, zum Beispiel Atmung. Wer etwa chronischen Husten hat, belastet seinen Beckenboden mehr. Wer im Fitness-Studio nur die Bauchmuskulatur trainiert, ohne an den Beckenboden zu denken, belastet ihn. Es gibt viele Gründe, warum der Beckenboden der Menschen heute so abschwächt.

Wenn es um den Beckenboden geht, dann fast immer in Verbindung mit Schwangerschaften. Was passiert, wenn Schwangere vor und nach der Geburt nicht auf ihn achten?

Dann kann es sehr schnell passieren, dass vor allem nach der Geburt der Beckenboden so abgeschwächt ist, dass man ihn zunächst überhaupt nicht mehr spürt. Das ist bei vielen ganz normal. Dann kann es zu einer leichten Inkontinenz kommen: Beim Lachen, Niesen oder Husten gehen einfach ein paar Urintröpfchen ab. Bei manchen bleibt das, andere schaffen es durch Beckenbodentraining, das wieder zu verbessern.

Kann das nur nach Schwangerschaften passieren? Oder jederzeit und auch bei Männern?

Auf jeden Fall! Ich habe immer wieder Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer, die inkontinent werden, weil sie sich nicht um ihren Beckenboden gekümmert haben. Gründe für eine Schwäche sind bei Männern oft, dass sie regelmäßig schwere Gegenstände gehoben haben, ohne den Beckenboden anzuspannen. Und auch gynäkologische Operationen oder Übergewicht können dem Muskel schaden.

Wie hängen der Beckenboden und Inkontinenz zusammen?

Zunächst einmal stützt der Beckenboden die inneren Organe. Er ist ein dreischichtiger Muskel. Die äußerste Muskelschicht besteht aus zwei ringförmigen Schließmuskeln um Harnröhre und After. Normalerweise sind diese Muskeln stark genug, um Harnröhre und After geschlossen zu halten. Wenn diese Muskeln aber immer lascher und loser werden, nimmt diese Verschlusskraft ab. Wenn man diese Muskeln im Beckenbodentraining oder beim Üben zu Hause immer wieder zusammenkneift und kräftigt, haben Harnröhre und After einen besseren Halt und sorgen für eine bessere "Abdichtung".

Ab welchem Alter sollte man beginnen, seinen Beckenboden gezielt zu trainieren?

So früh wie möglich. Ich finde Mitte 20 ist ein gutes Alter zum Starten. Ganz toll wäre natürlich, Kinder und Jugendliche würden schon in der Schule lernen, wie wichtig Beckenbodenübungen für das Leben sind. Man sollte auf jeden Fall so früh anfangen, dass man später mit 50, 60 Jahren keine Probleme bekommt.

Wir haben jetzt darüber gesprochen, dass Beckenbodentraining eine vorbeugende Maßnahme ist. Gibt es noch andere Vorteile?

Wenn jemand inkontinent ist, kann man das durch Beckenbodentraining verbessern. Der Vorteil ist auch, dass der Rücken gestärkt ist. Viele wissen nicht, dass der Beckenboden die Basis für die Wirbelsäule darstellt und dieser zusammen mit der tiefen Bauch- und unteren Rückenmuskulatur der Schlüssel zu mehr Stabilität der Wirbelsäule und des Rückens ist. Ein gekräftigter Beckenboden hilft auf jeden Fall gegen Rückenprobleme. Und auch bei der Atmung ist der Beckenboden beteiligt. Man spricht vom Beckenboden-Zwerchfell wie vom Atem-Zwerchfell. Aber auch bei sexuellen Störungen, ob bei der Frau oder beim Mann, können Beckenbodenübungen helfen.

Verhilft Beckenbodentraining also zu besserem Sex?

Beim Sex geht es auch um die Beckenbodenmuskeln, die in der Sex-Phase angespannt werden und danach wieder entspannt. Und gerade beim Mann – wenn er Erektionsstörungen oder Inkontinenzstörungen hat – ist Beckenbodentraining immer sehr vorteilhaft. Aber auch für die Frau ist ein gekräftigter Beckenboden von Vorteil, weil dadurch das sexuelle Empfinden besser wird. Denn die Nerven liegen vor allen Dingen in den Genitalmuskeln im Beckenboden.

Beckenbodentraining ist insofern auch entscheidend für Männer?

Absolut. Vor allem dann in späteren Jahren, wenn sie Prostatabeschwerden bekommen, was bei den meisten der Fall ist. Da lässt sich günstig darauf einwirken, weil die Prostata direkt auf dem Beckenboden liegt und durch Anspannungs- und Entspannungsübungen die Durchblutung verbessert wird. Männer haben oft das Problem, dass sie einen verspannten Beckenboden haben, und darum ist es wichtig, dass sie lernen, ihn auch zu entspannen.

Gibt es denn einen Unterschied zwischen Männern und Frauen?

Ja, den gibt es. Ich sage mal so: Männer können sich etwas mehr Zeit lassen, mit dem Training zu beginnen. Sie haben grundsätzlich einen stärkeren Beckenboden als Frauen. Bei Frauen ist der Muskel dünner und schwächer. Außerdem sind beim Mann ja "nur" zwei Öffnungen drinnen, während es bei der Frau drei sind.

Ein Begriff, der immer wieder fällt, ist die Beckenboden-Dysfunktion. Was versteht man darunter?

Darunter versteht man, dass der Beckenboden sich nicht normal öffnet und schließt, sondern ganz verspannt und nicht mehr gut durchblutet ist, dass keine Bewegung mehr stattfindet. Eigentlich muss er sich beim Einatmen leicht öffnen und beim Ausatmen leicht schließen. Eine Dysfunktion liegt auf jeden Fall dann vor, wenn das umgekehrt ist. Viele Menschen atmen verkehrt: Sie ziehen beim Einatmen das Zwerchfell nach oben und der Beckenboden geht dann mit und beim Ausatmen umgekehrt. Das ist verkehrt herum. Wenn ich es richtig mache, schwingt der Beckenboden beim Einatmen leicht nach unten und weitet sich etwas. Beim Ausatmen umgekehrt: Das Atemzwerchfell steigt nach oben, drückt die Lunge aus und das Beckenboden-Zwerchfell steigt ebenfalls nach oben. Die meisten Leute spannen den Beckenboden beim Einatmen an und müssen erst einmal lernen, stattdessen beim Ausatmen anzuspannen und den Beckenboden hochzuziehen. Das fühlt sich zu Beginn falsch an. Stellen Sie sich den Beckenboden wie ein Sprungtuch oder Trampolin vor: Beim Einatmen senkt es sich ein wenig, beim Ausatmen hebt es sich nach oben.

Lässt sich mithilfe einer einfachen Übung denn merken, ob man eine Dysfunktion hat?

So leicht ist es leider nicht. Man muss erst einmal ein Wahrnehmungsgefühl entwickeln. Dafür kann man Übungen machen. Erst einmal sollte man lernen, sich auf den Atem zu konzentrieren. Zum Beispiel: Hände auf den Bauch legen und einatmen. Geht der Bauch dabei raus, ist das gut. Geht der Bauch aber nach innen, ist das ein Anzeichen für eine Dysfunktion.

Und welche Übungen gibt es, um eine Wahrnehmung für den Beckenboden zu entwickeln?

Um den Beckenboden zu spüren, sollte man ihn anspannen, als ob man den Harnstrahl anhalten wollte. So lernen die Menschen erst einmal, wie sie den Beckenboden spüren. Diese Wahrnehmung müssen wir uns erst wieder aufbauen. Achten Sie außerdem beim Toilettengang auf die Beckenbodenschließmuskulatur. Wenn Sie kurz den Urinstrahl unterbrechen, erspüren Sie die vorderen Schließmuskeln. Dies dient nur der Wahrnehmung und sollte nicht als Übung dienen.

Können Sie eine Übung empfehlen, die sich leicht in der Freizeit oder im Büro machen lässt?

Angenommen, man sitzt auf einem Stuhl, gibt es da eine gute Übung. Zunächst einmal aufrecht hinsetzen, sich auf die Sitzbeinknochen konzentrieren und sich dann vorstellen, dass man den Damm nach innen oben saugt. Dadurch können Sie die tiefen Beckenbodenmuskelschichten anspannen und erspüren lernen. Oder Sie stellen sich vor, dass Sie die Harnröhre zusammenkneifen oder wie mit einer Faust zusammendrücken; danach den Dammbereich, der in der Mitte des Beckenbodens liegt, nach oben ziehen – in Richtung Hals – und ein paar Sekunden halten. Danach die Anspannung langsam lösen und der Übung nachspüren. Die Entspannungsphase ist ebenso wichtig wie die Anspannungsphase. Das Gefühl für den Beckenboden wird sich von Mal zu Mal verbessern und die Muskeln sich kräftigen. Sie können entweder während der Übung weiteratmen oder beim Anspannen ausatmen.

Was für eine Übung empfehlen Sie für daheim?

Da gibt es die Aufzugübung in Rückenlage. Legen Sie in der Rückenlage einen Pilates-, Redondo- oder Noppenball oder einfach Kissen oder Decken unter das Becken und lagern Sie die Unterschenkel auf einen Hocker, Sitzfläche oder Sitzball. Dann das Becken nur im vorderen Teil ein wenig anheben – etwa fünf bis zehn Zentimeter –, indem Sie sich vorstellen, das Steißbein in Richtung Decke zu ziehen. Das Becken dabei einrollen, während der obere Rücken ruhig liegen bleibt. Dabei spürt man gleich, wie alle Eingeweide in den Körper eingezogen werden; man könnte fast sagen: an ihren ursprünglichen Platz.

Spannen Sie nun den Beckenboden bewusst an. Ziehen Sie in Ihrer Vorstellung das Steißbein nach vorn in Richtung Schambein und saugen Sie alle Beckenbodenmuskeln tief in sich hinein, während Sie ausatmen. Beim Einatmen die Spannung wieder loslassen und das Becken auf den Ball oder das Kissen sinken lassen. Schwieriger und intensiver ist die Übung, wenn man sich beim Anspannen einen Fahrstuhl in einem Hochhaus vorstellt: Beim ausatmenden Einsaugen des Beckenbodens geht es Stockwerk für Stockwerk höher. Wichtig: Zum Schluss die Spannung lösen und das Becken wieder ganz ablegen, den Rücken schwer ruhen lassen und der Übung nachspüren.

Zur Expertin: Heike Höfler ist staatlich geprüfte Sport- und Gymnastiklehrerin und war jahrelang an verschiedenen Kliniken als Bewegungstherapeutin tätig. Seit rund 30 Jahren leitet sie Beckenbodenkurse. Unter anderem schrieb sie das Fitnessbuch "Starker Beckenboden" (Riva) und gibt auf ihrer Website heike-hoefler.de Gesundheitstipps.
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